Aufbau in der Zweitklassigkeit
Deutschlands Abstieg in die B-Liga der Nations League ist besiegelt. Im letzten Spiel des Jahres geht es gegen die Niederlande auch um die Platzierung auf der Setzliste für die Spiele in der EM-Qualifikation.
GELSENKIRCHEN So schnell wird aus einem Pflichtspiel ein Freundschaftsspiel. Seit dem 2:0-Erfolg der Niederlande über Frankreich steht fest, dass Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft aus der A-Liga der Nations League abgestiegen ist. In der abschließenden Partie gegen die Holländer (Montag, 20.45 Uhr) kann die DFB-Auswahl den letzten Tabellenplatz in der Gruppe 1 nicht mehr verlassen. „Das ist bitter“, stellte Bundestrainer Joachim Löw pflichtgemäß fest.
Noch in der vergangenen Woche hatte er auf Fragen nach einem möglichen Abstieg in die europäische Zweitklassigkeit noch geantwortet: „Dann steigen wir halt ab. Wenn wir mal eine Gruppe tiefer spielen, dann ist das kein Weltuntergang, dann kann man auch wieder aufsteigen. Wichtiger ist die Qualifikation für die EM 2020. Und die werden wir schaffen.“
Genau an dieser Stelle bekommt die Begegnung mit den Holländern doch noch eine Bedeutung, die über den reinen Zahlenwert in der Länderspielstatistik hinausgeht. Mit einem Sieg nämlich kann sich die DFB-Auswahl in der Setzliste für die Qualifikationsspiele verbessern. Damit würde sie Hochkarätern aus dem Weg gehen.
Selbst wenn sich ein wenig prominenteres Personal in den Lebensweg des Weltmeisters von 2014 stellen sollte, kann die Qualifikation keine wirkliche Hürde sein. Von 55 Mitgliedsländern der Europäischen Fußball-Union werden sich 24 Auswahl-Mannschaften fürs Endturnier qualifizieren, das wegen der Feierlichkeiten zum 60-Jährigen dieses Wettbewerbs in zwölf Städten auf dem Kontinent ausgetragen wird. Deutschland ist mit München dabei.
Natürlich steht noch nicht fest, wo die deutsche Mannschaft antreten wird. Löws Ziel aber ist schon jetzt deutlich umrissen. „Wir wollen wieder eine starke Mannschaft ins Turnier schicken, klar“, erklärte er. Und damit das so ist, werde das Trainerteam „weiter Räume für unsere jungen Spieler schaffen und sie nach und nach an die Nationalmannschaft heranführen“.
Auf diesem Weg gab es im Testspiel gegen Russland in Leipzig ein paar vorzeigbare Fortschritte. Ge- gen einen allerdings sehr dankbaren Aufbaugegner boten einige Athleten aus dem Nachwuchs ordentliche Ansätze. Die Spitzen Leroy Sané (22), TimoWerner (22) und Serge Gnabry (23) brachten mit ihren Sprints viel Geschwindigkeit ins Spiel. Kai Havertz (19) und Joshua Kimmich (23) sortierten im Mittelfeld den Auftritt, sie gaben den Aktionen Struktur. Insgesamt herrschte 45 Minuten lang tüchtig Zug im deutschen Spiel.
Man könnte aber auch sagen: Es herrschte nur 45 Minuten lang Zug im deutschen Spiel. Denn nach der Pause gab es eine Fehlerparade, die ebenso eindrucksvoll ausfiel wie die Tempo-Vorführung in der ersten Halbzeit. Löw wird das mit klammheimlicher Freude („Hab ich es nicht immer gesagt?“) als Lektion für sein jugendliches Personal abbuchen. Er hat ohnehin nicht vor, sein Team allein nach derVorgabe„wer jung und schnell ist, spielt“aufzustellen. „Für die großen Erfolge“, versicherte der Trainer,„braucht es einen guten Mix zwischen Erfahrung und Jugend.“Deshalb ist nicht vorstellbar, dass er künftig auf Manuel Neuer (32), Toni Kroos (28) und Marco Reus (29) verzichtet, nur weil sie nicht mehr 17 sind. Das wäre auch fahrlässig.
Am Stil der Mannschaft aber wird
er weiter schrauben. Zur Erkenntnis, dass Geschwindigkeit im Spiel die wesentliche Tugend auf dem Weg zu größeren Erfolgen ist, hat ihn der trübe Auftritt des Weltmeisters bei der WM in Russland regelrecht getrieben – auch wenn er das erst mitVerspätung einsehen mochte. In den jüngsten beiden Spielen (beim 1:2 in Frankreich und beim 3:0 gegen Russland) hat sein Team auf dem Platz bewiesen, dass die ersten praktischen Schlüsse aus dieser Erkenntnis gezogen wurden.
Sie kehrt allerdings nicht von heu- te auf morgen zurück in die Elite des Fußballs – in die „ab-so-lu-te Weltklasse“, wie Löw das spricht, wenn er besonders bedeutungsvoll werden will und deswegen die Stimme hebt. Dazu ist mehr nötig als Jugend und Antrittsschnelligkeit. Es geht auch umWettkampfhärte, eine gemeinsame Spielidee, Automatismen im mannschaftlichen Zusammenhang und Balance zwischen Angriffslust und den Notwendigkeiten einer gesunden Absicherung. Ein Gegner der ersten Kategorie hätte die Fehler der Deutschen in der zweiten Halbzeit von Leipzig mit reichlich Gegentreffern belohnt.
Da kommen die Holländer für den nächsten öffentlichen Unterricht gerade recht. Sie scheinen auf dem Rückweg zur alten Klasse einen Schritt weiter zu sein als die Deutschen. Ihr Trainer Ronald Koeman verfolgt dabei einen sehr pragmatischen Ansatz. Er lässt seine Mannschaft so spielen, wie es zum Personal passt, und er setzt seinem Team nicht das von seinenVorgängern geradezu geheiligte 4-3-3 auf, weil es zur holländischen Fußball-Tradition gehört wie die Farbe Oranje.
Löw muss einen ähnlichen Ansatz verfolgen. Er hat zum Beispiel keinen klassischen Mittelstürmer im Aufgebot – es wächst auch gera- de keiner heran. Deshalb operiert er mit eher umeinander rennenden Angreifern wie gegen Russland – neuerdings nennt die Fachwelt solche Menschen „schwimmende Stürmer“. IhrVorteil gegenüber den klassischen Stoßstürmern: Gegnerische Abwehrreichen kriegen sie nur schwer zu fassen. Und sie kommen aus der Tiefe des Raumes, in der sich nicht erst seit Günter Netzers Tagen die Spiele entscheiden.
Es ändert sich aber nichts daran, dass die Position in der Mitte bei jedem Angriff besetzt sein muss – als Anspielmöglichkeit und als Abschluss-Basis. Das erfordert Improvisationsfähigkeit, die Löws junge Leute in Leipzig nachwiesen. Es erfordert jedoch auch Training, was Löws junge Leute in Leipzig eher unfreiwillig nachwiesen, als ihnen nach dem Kabinengang die Sicherheit abhanden kam.
Löw wird Prozesse anstoßen müssen, um seine Mannschaft von innen zu verändern. Gegen die Niederlande kann sie zeigen, ob sie auf dem Weg wirklich vorangekommen ist.Vor einem Monat wurde die DFB-Auswahl in Amsterdam beim 0:3 nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Es geht also doch um mehr als eine Zahl in der Länderspiel-Statistik.