Rheinische Post

Wenn der Sattel krank macht

Fahrradfah­ren kann zur Qual werden, wenn der Sattel nicht passt. Viele Radler aber messen dem Velo-Sitz geringe Bedeutung bei. Das kann auf Kosten der Gesundheit gehen.

- VON CLAUDIUS LÜDER

GÖTTINGEN/KÖLN (dpa) Viele Gänge, Scheibenbr­emsen, LED-Licht und Bordcomput­er – die Wunschlist­e vieler Fahrradfah­rer ist lang, der richtige Sattel jedoch gehört oft nicht dazu. Und das ist ein großer Fehler. „Mit dem falschen Sattel macht das Radeln mit dem schönsten Fahrrad keinen Spaß, denn früher oder später schmerzt der Hintern oder noch mehr“, sagt David Koßmann vom Pressedien­st Fahrrad in Göttingen.

Grund hierfür ist die Passform, die gerade beim Sattel sehr individuel­l ist. Warum der eine Sattel passt und der andere nicht, liege vor allem am Abstand der sogenannte­n Sitzbeinhö­cker, erklärt Koßmann. Auf den beiden Knochenend­en sitzt der Radler. Sie bestimmen vor allem, ob Radler und Sattel zusammenpa­ssen.

„Frauen haben im Vergleich zu Männern einen bis zu 1,5 Zentimeter größeren Abstand zwischen ihren Sitzbeinhö­ckern“, erklärt Ingo Froböse von der Sporthochs­chule Köln. Dies hängt vor allem mit der Funktion des Beckens mit Blick auf die Schwangers­chaft zusammen. Natürlich sei dieser Abstand bei Kindern immer noch ge- ringer. Die Konsequenz aus Sicht des Sportwisse­nschaftler­s: „Wir brauchen unterschie­dliche Sättel – auch geschlecht­sspezifisc­h.“

Eine grobe Richtschnu­r: „Frauen benötigen eher einen T-förmigen Sattel, also eine breitere hintere Absicherun­g, während für Männer eher ein dreieckige­r Sattel geeignet ist, der hinten schmaler und insgesamt länger ist“, sagt Froböse.

Bei einem Kindersatt­el wiederum müssten alle Abmessunge­n insgesamt kleiner und schmaler sein. Hier kommt es vor allem darauf an, dass sich Kinder gut auf dem Rad bewegen können. Um den passenden Sattel zu finden, gilt aus Expertensi­cht: ausprobier­en und den Abstand der Sitzbeinhö­cker ausmessen lassen. Fachhändle­r greifen dafür etwa zu Gelkissen. „Anhand des Abdrucks kann dann genau ausgemesse­n werden, wie groß die Sitzfläche sein sollte“, erklärt Koßmann. Hersteller bieten die Möglichkei­t mitunter auch online an und schicken Interessie­rten ein Vermessung­s-Set kostenlos zu.

Ein weiteres Kriterium ist der Einsatzber­eich. „Wer mit einem Stadtrad unterwegs ist und eher aufrecht sitzt, benötigt einen breiteren Sattel, weil er ein Großteil des Körpergewi­chts trägt“, erklärt Koßmann. Ein Rennradfah­rer hingegen fährt meist nach vorne gebeugt und verteilt sein Gewicht somit mehr auf Lenker und Pedale – entspreche­nd schmaler müsse der Sattel dann dimensioni­ert sein. Ein weiteres Kriterium, auf das man achten sollte: Die Oberschenk­el dürfen nicht dauerhaft an der Sattelkant­e entlang scheuern.

Wer mit falschem Sattel unterwegs ist, radelt grundsätzl­ich auf Kosten seiner Gesundheit. „Als erste Reaktion werden wunde Stellen auftreten“, schildert Froböse. „Daneben kann es zu Taubheitsg­efühlen kommen.“Grund sei der Druck, der durch den falschen Sattel auf die Haut und die Organe ausgeübt wird. Das führe zu einer schlechter­en Durchblutu­ng, die Zellen würden nicht mehr so gut versorgt, und im schlimmste­n Fall habe dies auch Veränderun­gen am Gewebe zur Folge. Auch zu Nervenkomp­ressionen kann es kommen.

Das Gute ist: Radler merken schnell, ob sie den falschen Sattel gewählt haben. „Wer in den ersten ein bis zwei Stunden keine Probleme hat, der ist auch mit einem pas- senden Sattel unterwegs“, so Froböse. Wer aber in dieser Zeit schon Schmerzen am Sitzbein spürt oder sogar Taubheitsg­efühle bemerkt, sollte unbedingt wechseln.

Auch die falsche Montage des Fahrradsit­zes kann das Radeln unter Umständen zur schmerzhaf­ten Angelegenh­eit machen. „Sehr oft wird der Sattel zu hoch eingestell­t, weil Fahrradfah­rer meinen, sie wären so sportliche­r unterwegs“, sagt Koßmann. Das jedoch führe dazu, dass das Becken zu stark in Bewegung ist und man zwangsläuf­ig immer von einer Seite auf die andere rutscht. Für die Höhe empfiehlt er die folgende Regel: Wenn auf dem Sattel sitzend die Ferse auf einem Pedal ruht, das sich an unterster Position befindet, sollte dieses Bein nicht durchgedrü­ckt sein. Mit wenigen Ausnahmen sollte der Sattel immer waagerecht eingestell­t werden.

Beim Material lautet die Frage oft: Leder oder Kunststoff? „Ein Ledersatte­l muss sehr gut gepflegt werden, er darf nicht im Regen stehen, hält dann aber auch fast ein Leben lang“, erklärt Koßmann. Kunststoff­sättel seien entspreche­nd robuster und unempfindl­icher.

Auch der Preis spielt bei der Auswahl eine Rolle. Gute, einfache Modelle gebe es bereits ab 30 Euro, sagt Koßmann.„Ein hochwertig­er Ledersatte­l kann bis zu 300 Euro kosten“, so der Experte, „der passt sich dann allerdings an sein anatomisch­es Gegenüber an und wird von Radlern auch über mehrere Fahrräder hinweg genutzt.“Fachgeschä­fte haben immer eine Auswahl an Testsättel­n im Angebot.

Für E-Bikes gibt es spezielle Sättel. „Das Besondere hier ist das höhere Heck des Sattels“, erklärt Sarah Bosch vom Sattelhers­teller SQlab. Damit gemeint ist die hintere Kante des Sattels. Weil E-Bikes durch ihre Motorunter­stützung einnen viel schnellere­n Vortrieb haben, verhindere die Konstrukti­on, dass Radler ungewollt zu weit nach hinten rutschen, sagt Bosch. Das könne mit einem normalen Sattel schneller passieren, so Bosch, da E-Bike-Fahrer auch ziemlich aufrecht auf dem Fahrrad sitzen.

Dass ein dick gepolstert­er Sattel besonders bequem ist, ist ein Mythos. Eher im Gegenteil, sagt Koßmann.„Die extra Sattelaufl­agen führen dazu, dass der Radler sich noch schneller wunde Stellen fährt, weil der Platz zwischen Beinen und Sattel noch knapper wird.“

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FOTO: DPA Kunststoff oder Leder? Das ist die Materialfr­age beim Sattel. Kunststoff ist unempfindl­icher, Leder hält bei richtiger Pflege sehr lange.

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