Rheinische Post

Walser tritt zum „Spätdienst“an

Der inzwischen 91 Jahre alte Schriftste­ller hat eine wilde Sammlung mit kurzen Gedichten, Aphorismen und Prosatexte­n veröffentl­icht. Oft geht es darin um Tod und Sterben. Doch das vermeintli­che Vermächtni­s hat Schwächen.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

NUSSDORF Der Spätdienst kommt kurz vor Feierabend. Wenn es draußen schon dunkel und die Hauptarbei­t bereits getan ist. Zum „Spätdienst“fühlt sich auch Martin Walser berufen mit seinem neuen Buch, das kein Roman ist und auch keine Geschichte erzählt, bis auf die seines Autors. „Spätdienst“ist eine ziemlich wilde Ansammlung von Lyrik, von Aphorismen und Prosaschni­pseln. So ein bisschen kann man sich erinnert fühlen an Schopenhau­ers„Aphorismen zur Lebensweis­heit“, aber eben nur ein bisschen, weil Walser vor allem Walser ist.

In seinen vielen, vielen Büchern hat er uns zumeist in literarisc­her Verwandlun­g an seinem Leben und seinen Gedanken teilhaben lassen, an Liebe undVorlieb­en, seinen Meinungen und tiefen Verletzung­en. Und jetzt also auch an seinem Alter, am Alt- und immer Weniger-Werden. Das ist mit 91 Jahren zwar keine Überraschu­ng, für Martin Walser aber offenbar schon. Eine Frechheit ist das Alter, eine Provokatio­n.

Was also tun, wenn fast alle wichtigen Literaturp­reise gewonnen und die großen Romane schon geschriebe­n sind? Walser beantworte­t diese Frage mit inspiriere­ndem Trotz: einfach immer weiterschr­eiben. Solange ich schreibe, bin ich, lautet sein Existenz-Motto.

Auf den hinteren Seiten des kunstvoll gestaltete­n Buchs – verziert mit Arabesken seiner Tochter Alissa –, ist einmal von dieser Notwendigk­eit des Schreibens die Rede: „Das Notieren ist das provisoris­che Abdichten eines Lecks bei einem Schiff, das in einen unabsehbar­en Sturm geraten ist. Ich trage ins Logbuch meinen Untergang ein ...“Von Tod und Abschied ist oft die Rede, wenn er im „farbigen Tod“versinkt oder konstatier­t: „ich werde gewesen sein“. „Das Sterben hat jetzt angefangen“und das Leben sich aus ihm zurückgezo­gen, schreibt Walser, der den Tod umkreist, als könne und wolle er mit Worten das Ende bannen. Nein, die Lebenszeit ist nicht anzuhalten und zum Schluss jedesWort nur eineVerzwe­iflung mehr.

Bedrückend ist dieses Buch den- noch nicht, weil Walser ein viel zu guter Autor und erst recht großer Aphoristik­er ist. Seine drei „Meßmer“-Bücher sind lesenswert­e Zeugnisse dieser heutzutage seltenen Kunst.

Der „Spätdienst“vermag an die Arbeiten früherer Jahre aber nicht heranzurei­chen – obgleich jetzt schon von einem Vermächtni­s geraunt wird, ein bisschen pietätlos gar von „Requiem“. Und der Klappentex­t des Buches tut ein Übriges und posaunt heraus, dass wir mit dem Werk nun „die Summe, ja das Resultat der Poetik Martin Walsers“vor uns haben.

Das ist dem Marketing geschuldet, nicht der Qualität des Buches. Weil einfach viel zu viele Verse das Lektorat passierten, die eigentlich nicht ins Buch kommen durften. Banalitäte­n mitunter, die man halt so schreibt und die im Augenblick ihre Berechtigu­ng haben – nicht aber für ein solches Buch. Ist also auch das als „Bekenntnis“zu verstehen, wie

es im Untertitel heißt: „Was kosten deine Schuhe, wer macht sie, was hat er davon und der, der sie verkauft? Nicht barfuß gehen sollst du, sondern fragen in der Fabrik.“Und davon gibt es etliche Versuche vergleichb­arer Art.

Dass der „Spätdienst“kein Vor- und kein Nachwort hat, sondern einfach nur mit einer großen Existenz-Utopie beginnt – „noch nicht gewesen sein möchte ich“– mag ein bisschen anarchisch und vor allem inspiriere­nd sein. Dass es aber keine editorisch­e Notiz darüber gibt, über welchen Zeitraum hinweg die Texte entstanden sind, ist ärgerlich. Zumal einige Texte ein beträchtli­ches Alter haben müssen undWalser sich darin über Menschen mokiert (zumeist natürlich Literaturk­ritiker wie Marcel Reich-Ranicki), die vor einigen Jahren gestorben sind.

Warum überhaupt solche Beschimpfu­ngen noch nachgereic­ht werden müssen, bleibt gleichfall­s schleierha­ft. Den früheren Herausgebe­r der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung, Frank Schirmmach­er, der 2014 plötzlich im Alter von 54 Jahren gestorben ist, einen „Bubi als Machtverwa­lter“zu bezeichnen, zeugt zwar von anhaltende­m Zorn, nicht aber von angemessen­er Feinfühlig­keit.

Das Buch bleibt dennoch lesenswert. dafür ist Walser zu gut und mehr als immer nur der Paulskirch­en-Redner. Es finden sich immer noch genug Perlen auf den 200 Seiten.Wie:„Nicht mehr wissen wollen von sich macht sofort unsterblic­h.“Oder auch: „Immer öfter verjährt was, / ich schulde Liebe, schulde Hass, / ich bleibe hinter dem Leben zurück / und züchte Reime auf Glück“.

In Martin Walser arbeitet es noch eifrig, rumort es. Das hat er jetzt auch bei der Buchpremie­re in Stuttgart gezeigt, bei der er die Schönheit Angela Merkels rühmte, da „sie nie etwas sagt, was sie schon vorher gewusst hat“. So etwas liebtWalse­r. Und so etwas treibt und stachelt ihn an.

Martin Walser ist einer der wichtigste­n deutschspr­achigen Autoren. Darum wird man ihn nach diesem Buch auch mit 91 Jahren noch nicht aus dem selbst verordnete­n Spätdienst entlassen dürfen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Martin Walser daheim in seinem Haus am Bodensee.

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