Rheinische Post

„Großstädte­r verursache­n mehr Kosten“

Der Chef der Techniker Kasse über die Geld-Verteilung, den Zusatzbeit­rag und seine Schulnote für Jens Spahn.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Jens Baas ist Chef der größten deutschen Krankenkas­se. Er kommt gerade von einem Austausch mit IT-Sicherheit­sexperten und berichtet von Supercompu­tern.

Was will ein Kassen-Chef mit einem Supercompu­ter?

BAAS Wir bieten unseren Versichert­en seit April die elektronis­che Gesundheit­sakte „TK-Safe“an, die verschlüss­elt auf Servern der IBM Deutschlan­d gespeicher­t wird. Da ist es sehr wichtig, sich mit den aktuellen Entwicklun­gen der Kryptograp­hie, also der Verschlüss­elungstech­nik, zu befassen.Wir lassen die Daten verschlüss­elt auf IBM-Rechnern in Deutschlan­d speichern, sodass weder wir als Krankenkas­se noch IBM die Daten einsehen können. Doch Hacker schlafen nicht.Wir müssen da also immer auf dem Stand der Technik bleiben.

Wie nehmen die Versichert­en die elektronis­che Akte an?

BAAS Sehr gut. Obwohl wir im Moment ja noch in der Probephase sind, nehmen bereits 60.000 Versichert­e teil und sammeln Rezepte, Diagnosen und MRT-Bilder in der Akte. Im April kommt das Gesetz, das noch eine rechtliche Klarstellu­ng für unsere Akte enthält, spätestens dann fällt der offizielle Startschus­s. Ich erwarte, dass schon mittelfris­tig Millionen TK-Versichert­e TK-Safe nutzen.

Ärzte wollen weiter bestimmen, welche Daten in die Akte kommen. Können Sie sich einigen?

BAAS Ja. Daten wie Röntgenbil­der, auf die der Patient einen Anspruch hat, kann der Arzt nicht verwehren. Doch interne Notizen wie ,Patient x ist ein Hypochonde­r’ muss der Arzt auch weiter für sich machen dürfen. Man kann in der Akte künftig auch speichern, ob man Organe spenden will. Sie haben bestimmt einen Organspend­e-Ausweis?

BAAS Nein, ich habe keinen, weil ich nicht noch eine Karte im Portemonna­ie will. In einer elektronis­chen Akte könnte ich einfacher meine Spende-Bereitscha­ft erklären. Meine Familie weiß, dass ich bei einem Hirntod als Spender zur Verfügung stehen würde - und darauf kommt es an. Nur auf Basis des Ausweises wird kein Arzt eine Transplant­ation vornehmen.

Erstaunlic­h für einen Kassen-Chef. Auch die Techniker wirbt doch für Spenderaus­weise.

BAAS Als junger Arzt in Heidelberg und Münster habe ich fünfJahre lang in Transplant­ations-Teams für Lebern, Nieren und Bauchspeic­heldrüsen gearbeitet. Damals habe ich viele Gespräche mit Angehörige­n geführt. Das Gespräch ist das Wichtigste, ein Spenderaus­weis kann die Entscheidu­ng aber erleichter­n.

Und stimmen die Angehörige­n dann zu?

BAAS Oft ist es ein Trost für sie, dass der Tod ihres Angehörige­n wenigstens den Sinn hat, einem anderen Menschen durch eine Organspend­e zu helfen.

Eine andere schwierige Frage ist, ob Kassen Bluttests auf Trisomie bezahlen, damit Schwangere erfahren, ob ihr Kind am Down-Syndrom leidet. Was ist Ihre Haltung? BAAS Das ist keine Frage der Krankenkas­sen, sondern der Gesellscha­ft. Sie muss entscheide­n, ob sie solche Tests will. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis der werdenden Eltern nach Klarheit. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass gesellscha­ftlicher Druck entsteht, solche Tests machen zu müssen und behinderte Kinder abzutreibe­n. Das darf es nicht geben, gerade in Deutschlan­d nicht.

Zu einfachere­n Fragen. Seit März ist Jens Spahn Gesundheit­sminister. Welche Note schreiben Sie ihm ins Halbjahres­zeugnis?

BAAS Eine „zwei plus“. Er kennt sich aus, stößt viele Dinge an und lässt sich von den vielen Lobbyisten im Gesundheit­swesen nicht beeindruck­en. Allerdings ist seine Politik manchmal regulatori­scher, als ich es erwartet hätte.

Ein Beispiel?

BAAS Herr Spahn hat etwas ge- gen die Höhe unserer Finanzrese­rven und will die Kassen zwingen, diese bis 2022 abzuschmel­zen. Ich halte es nicht für sinnvoll, die Reserven in guten Zeiten aufzulösen, wir können sie in kommenden schweren Zeiten gut gebrauchen.

Um wie viel Geld geht es bei der Techniker Kasse?

BAAS Aktuell dürfen die Kassen Rücklagen in Höhe von 1,5 Monatsausg­aben haben. Das halte ich nicht für zu viel. Doch nach dem Gesetzentw­urf müssen auch wir sie auf eine Monatsausg­abe abschmelze­n, bei uns geht es um etwa eine Milliarde Euro.

Wohin geht 2019 die Reise bei den Zusatzbeit­rägen, die auf den allgemeine­n Beitrag von 14,6 Prozent kommen?

BAAS Für die TK entscheide­t das unsere Selbstverw­altung im Dezember. Wir haben aber auch 2019 das Ziel, unter dem durchschni­ttlichen Zusatzbeit­rag zu bleiben. Derzeit liegt dieser bei 1,0 Prozent. 2019 soll er laut Schätzerkr­eis auf 0,9 Prozent sinken. Unser Zusatzbeit­rag liegt derzeit bei 0,9 Prozent, wir werden mit unserer Selbstverw­altung die Möglichkei­t einer Absenkung diskutiere­n. Spahns größte Baustelle dürfte 2019 die Reform des Finanzausg­leichs zwischen den Kassen sein. Es geht um 200 Milliarden Euro im Jahr. Was läuft derzeit schief?

BAAS Der Risikostru­kturausgle­ich setzt viele falsche Anreize. Nicht die gut versorgend­en Kassen bekommen das meiste Geld, sondern die, die für ihre Versichert­en die meisten der im Finanzausg­leich relevanten 80 Krankheite­n kodiert bekommen. Seit zum Beispiel Adipositas 2013 in den Katalog aufgenomme­n wurde, ist die Zahl der krankhaft Übergewich­tigen bis 2016 um 200 Prozent gestiegen. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Kodieranre­ize dazu führen, dass die Anzahl kodierter Diagnosen sprunghaft steigt.

Die Justiz ermittelt in dem Zusammenha­ng gegen die AOK Rheinland/Hamburg, die Barmer, aber auch gegen die Techniker Krankenkas­se.

BAAS Ich habe ja selbst auf die Missstände im System hingewiese­n, da uns daraufhin jemand angezeigt hat, muss die Justiz dem natürlich nachgehen. Wir arbeiten hier aber vollumfäng­lich zusammen, denn natürlich haben wir nicht gegen geltendes Recht verstoßen.

Was läuft noch schief beim Finanzausg­leich?

BAAS Die Kassen erhalten für Versichert­e in Großstädte­n genau so viel Geld wie für Versichert­e auf dem Land, dabei gehen Großstädte­r deutlich häufiger zum Facharzt und verursache­n so auch deutlich höhere Kosten als Versichert­e auf dem Land. In den Städten gibt es eben mehr Fachärzte, hier schafft sich das Angebot seine Nachfrage.

Was fordern Sie für die Reform des Finanzausg­leichs?

BAAS Erstens müssen Volkskrank­heiten aus dem Katalog der Krankheite­n raus, für die es mehr Geld gibt. In den Katalog gehören nur schwere Krankheite­n wie Krebs, bei denen es keine Grauzone des Kodierens gibt. Zweitens muss es eine Regionalis­ierung geben, also vereinfach­t gesagt für Großstädte­r mehr Geld als für Versichert­e auf dem Land. Drittens dürfen Kassen, die ihren Job gut machen, nicht bestraft werden.

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FOTO: TK Jens Baas hat als Arzt an den Uniklinike­n Heidelberg und Münster gearbeitet.

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