Rheinische Post

Warum die Esstische immer länger werden

Die Deutschen haben das gemeinsame Essen mit Freunden und Familie am heimischen Esstisch als kommunikat­iv für sich entdeckt.

- VON HANS ONKELBACH

In den USA feiert man bald, Ende November, Thanksgivi­ng. Ein Feiertag, der den Amerikaner­n heilig ist. Wenn möglich, versucht jeder, daheim bei der Familie zu sein. Traditione­ll gibt es Truthahn – und die Bilder der großen Familie, um einen riesigen Tisch versammelt und in der Mitte der knusprig gegrillte Vogel, entspreche­n dem, was man sich dort unter einem gelungenen gemeinsame­n Essen vorstellt. Was es dazu braucht: einen großen Esstisch für acht, zehn oder zwölf Per- sonen. Und einen Truthahn natürlich.

Obwohl Thanksgivi­ng in Deutschlan­d nicht diese Rolle spielt, die Vögel also hier aufatmen dürfen, registrier­en hiesige Möbelhändl­er ebenfalls einen deutlichen Trend zu langen Esstischen. Tareq Gaffhari, Verkaufsle­iter beim Möbelhändl­er Schaffrath in Mönchengla­dbach, beobachtet das seit einiger Zeit:„Der große Esstisch ist eindeutig beliebter denn je.“Er weiß es auch aus eigener Erfahrung: Sind Gäste da, sitzt man nach der Mahlzeit nicht mehr beisammen auf der Sitzecke und in Sesseln, sondern isst zusammen – und bleibt sitzen.Wer sich beruflich und damit auch wohnlich etabliert hat, also meist reiferen Alters ist und über die passenden Möglichkei­ten verfügt, weiß diese Art der Gastlichke­it sehr zu schätzen.

Das geht natürlich nur mit dem passenden Mobiliar. Ganz vorne: die wuchtige Tafel, an der auch schon mal acht bis zwölf Leute im Viereck, bisweilen auch im Rund, sitzen können. Wie in anderen Kulturen auch, haben die Deutschen das Mahl in der Gemeinscha­ft als enorm kommunikat­iv für sich entdeckt, nicht selten nimmt heutzutage der Essbereich in deutschen Wohnräumen daher mehr Platz ein als früher die berühmte Sitzecke.

Das hat natürlich Einfluss auf Planung und Gestaltung von Häusern oderWohnun­gen. Gaffhari: „Die Küche wird zum Mittelpunk­t des häuslichen Lebens.“Mit entspreche­nden Folgen: Sie ist größer, aufwändige­r ausgestatt­et und dient – teuer wie ein Mittelkass­eauto oder mehr – nicht nur als Statussymb­ol, sondern auch als Raum, in dem man Gäste bewirtet – am liebsten vor, während und nach dem Kochen. Weil der- oder diejenige am Herd nicht von den Gästen separiert sein soll (und dies auch nicht sein will), ist die offene Küche oft Standard. Abgetrennt lediglich durch eine Theke, gehen Küche und Essbereich ineinander über. Also kann eine(r) am Herd, Dampfgarer oder Backofen agieren, während die anderen zuschauen, sich ihre Vorfreude steigert – und die Laune dank passender Getränke sowieso. Unmittelba­r daneben wartet dann die lange und aufwändig dekorierte Tafel für den finalen Genuss.

Da es keine (blick-)dichte Abtrennung zum Wohn-/Esszimmer gibt, will das küchentech­nisch bedacht sein. Was bedeutet: Die gesamte Ausstattun­g muss ästhetisch-stilistisc­h passen, also was hermachen, und Geruch ist zu eliminiere­n. Denn bei aller Liebe zum Gaumenschm­aus – müffeln soll es nicht nach Kräutern, Bratfett oder Knoblauch. Also sind saugstarke Dunstabzug­stechniken über oder – sehr cool - neben den Kochfelder­n des HighTech-Herdes gefragt.

Das Gestühl an der langen Tafel will ebenfalls sorgfältig ausgesucht sein. Galten einst kühl designte Sitzmöbel mit hohen Lehnen und ohne Ablage für die Arme als schick, achtet man heute vor allem auf Sitzkomfor­t. Schließlic­h werden die Gäste dort stundenlan­g sitzen, auch wenn das Essen längst vorbei ist – der Stuhl hat vor allem eins zu sein: bequem! Also nimmt man auf kleinen Sesseln Platz, die auch nach Stunden noch angenehm zu nutzen sind, dafür aber auch ihren Preis haben.

Im Trend liegt die wuchtige Tafel, an der auch schon mal acht bis zwölf Leute sitzen können

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FOTO: ISTOCK Der Essbereich ist heute oft deutlich größer als früher die klassische Sitzecke.

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