Der neue Mensch
ANALYSE Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui gab bekannt, das Erbgut von zwei Neugeborenen manipuliert zu haben. Der Mensch wird damit plötzlich zu einem Produkt.
In wenigen Wochen feiern Christen die Geburt Jesu Christi. Aber noch vor dem Advent scheint eine ganz andere Geburt Menschheitsgeschichte zu schreiben: Denn erstmals sollen Zwillinge nach einer Genmanipulation zur Welt gekommen sein. Das behauptet zumindest der chinesische Wissenschaftler He Jiankui in einem auf Youtube verbreiteten Video. Weitere Bestätigungen dieses„Vorgangs“fehlen noch. Es soll lediglich einen Eintrag in einem chinesischen Register für klinische Tests geben.
So komplex wissenschaftliche Versuche meist sind, so einfach ist es in diesem Fall, das Experiment zu benennen: Es geht um Menschenversuche.
Genmanipulationen gibt es seit Langem – an Pflanzen wie auch an Tieren. Das berühmteste Beispiel ist das Klonschaf „Dolly“, das bereits 1996 geboren wurde und über das neben einigen Bedenken auch noch gewitzelt werden durfte. „Null Bock“hieß eine Schlagzeile damals.
22 Jahre sind seitdem vergangen. Für die Genforschung sind das fast Jahrhunderte, in denen viel möglich wurde. Insbesondere mit der sogenannten Genschere Crispr/Cas9, mit der sich Erbgut verändern lässt und die bereits seit sechs Jahren in den Laboren dieser Welt eingesetzt wird.
Dieses Verfahren diente jetzt in China dazu, das Erbgut zweier Mädchen zu verändern. Laut Register-Eintrag hat sich auf diesen Versuch ein ungewollt kinderloses Paar eingelassen, weil der Mann mit HIV infiziert ist. Der Eingriff der Forscher galt also dem Gen für den sogenannten CCR5-Rezeptor, an den sich HI-Viren für eine Infektion der Zelle anheften. Das heißt: Menschen ohne funktionales CCR5-Protein können sich nicht mit dem Virus anstecken.
Der organische „Materialaufwand“dafür war beträchtlich. He Jiankui behandelte nach eigenen Angaben insge- samt sieben Ehepaare mit unerfülltem Kinderwunsch. Dabei manipulierte er mit der Genschere 16 Embryonen, elf davon wurden sechs Frauen eingepflanzt. Letztlich gab es nur eine Geburt. Und offenbar konnte auch nur bei einem der Kinder der Rezeptor mittels Eingriff inaktiviert werden.
Dennoch wird versucht, diesem Eingriff eine moralische Beglaubigung zu geben. Wer kann schon etwas dagegen haben, wenn künftig Kinder vor einer möglichen HIV-Infektion durch ihre Eltern geschützt werden können? Das wird meist bei Eingriffen ins Erbgut in den Vordergrund geschoben: Heilung, Rettung, Schmerzlinderung – nichts ist schlecht, was dem Menschen dient.
„Ich glaube, Familien brauchen diese Technik“, erklärte He in seiner Videobotschaft. Zwar sei ihm bewusst, dass seine Arbeit jetzt Diskussionen auslösen werde, erklärt er vorsichtshalber und versichert, dass es ihm keineswegs darum gehe, Kinder mit besonders hoher Intelligenz oder auch ausgewählter Haar- und Augenfarbe zu erschaffen. Genveränderungen sollten nach seinen Worten stets „ein Instrument der Heilung“bleiben: „Eltern wollen kein Designer-Baby, sondern nur eines, das nicht von Krankheit betroffen ist.“
Das will jeder. Wie so vieles andere auch, was bisher noch unmöglich erscheint – den Krebs besiegen beispielsweise oder den Alterungsprozess verlangsamen. Jedes Menschenleben steckt voller Tücken, ist unberechenbar, niemals perfekt. Doch das markiert kein Defizit; es macht erst seinen eigentlichen Wert aus.
So wird unser neues Menschenbild nachhaltig dadurch bestimmt werden, welche Antworten wir auf die Frage finden, die uns nun gestellt werden: ob Genveränderungen künftig erlaubt sind und unter welchen Umständen sie einzusetzen sind.
Das hört sich zunächst technisch an und scheint mehr eine Sache der nati- onalen Gesetzgebungen zu sein. Doch die Antworten, die wir geben müssen, sind dann weit mehr als nur eine Art ethische Nachjustierung im 21. Jahrhundert.
Für den Philosophen Jürgen Habermas könnte mit solchen Eingriffen und denVersuchen, Leben bestimmbar und formbar zu machen, die Zerstörung unseres anthropozentrischen Weltbildes einhergehen. Weil nach seinen Worten gerade die Zufälligkeit unserer genetischen Ausstattung die Grundvoraussetzung für eine eigene Identitätsbildung ist.
Mit dem Eingriff ins Genom ist die Unverfügbarkeit der Person in Gefahr. Mit anderen Worten: Der Mensch wird plötzlich zur Sache, mehr noch: zu einem Produkt. Die Verdinglichung des Menschen zieht die Grenze zwischen der Natur, die wir sind, und der organischen Ausstattung, die wir uns geben. In diesem Punkt steht Habermas mit seiner Haltung unmissverständlich an der Seite der christlichen Kirchen.
Als ein „schamloses, unverantwortliches Humanexperiment“bezeichnete der Erlanger Theologe Peter Dabrock – er ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrates – die Geburt der Zwillinge Lulu und Nana. Aber auch 122 chinesische Forscher reagierten gestern in einer Resolution entsetzt: „Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschrieben werden.“Die Büchse der Pandora sei geöffnet worden, hieß es.
Jeder Mensch besitzt eineWürde. Und die ist vollständig unabhängig von seinen individuellen Eigenschaften, seiner genetischen Ausstattung, seiner Leistungs- wie auch seiner Lebensfähigkeit. Dieses Würdeverständnis ist nicht allein dem christlichen Menschenbild geschuldet, aber doch zu einem guten Teil. Den Menschen so anzunehmen, wie er ist, heißt auch, das Leben als etwas Einzigartiges, als etwas Gegebenes und Geschenktes zu begreifen. Das Kind, das vor über 2000 Jahren in einem Stall zu Bethlehem geboren wurde, hat es allen vorgemacht. Heute schaut die Welt gebannt in ein chinesisches Labor: zu zwei neuen Menschen, mitgestaltet durch Menschenhand.
„Eltern wollen kein Designer-Baby, sondern nur eines, das nicht von Krankheit betroffen ist“ He Jiankui Chinesischer Genforscher