Rheinische Post

Lange Haftstrafe­n für Gruppenver­gewaltigun­g

Gemeinsam haben sie junge Mädchen vergewalti­gt – nun sind fünf Männer vor dem Landgerich­t Essen zu mehrjährig­en Haftstrafe­n verurteilt worden. Die Opfer leiden noch heute unter den Folgen der Taten.

- VON CLAUDIA HAUSER

ESSEN Eines der Mädchen hat seit der Vergewalti­gung jede Nacht Albträume. Ein anderes erlebt die bedrohlich­en Momente in Flashbacks wieder und wieder. Ein anderes Mal träumte sie, die Täter seien in ihrem Zimmer. „Ich kam nicht mehr raus aus dem Traum“, sagte die 16-Jährige. Ein drittes Opfer geht kaum noch aus dem Haus. Über ein viertes Mädchen hatte eine Freundin gesagt: „Man sieht ihr an, dass ihr etwas passiert ist.“Sie sei vor der Tat offen gewesen, nun sei sie sehr ernst und nachdenkli­ch.

Der Vorsitzend­e Richter zählt all die Folgen für die Opfer am letzten Tag des Prozesses um Gruppenver­gewaltigun­gen im Ruhrgebiet auf, nachdem er im Essener Landgerich­t die Urteile gegen fünf Männer verkündet hat: Die Angeklagte­n zwischen 17 und 24 Jahren müssen zwischen dreieinhal­b Jahren und sechs Jahren und drei Monaten in Haft. Bis auf den Ältesten bekommen die Männer aus Essen, Gelsenkirc­hen und Wuppertal Jugendstra­fen – keiner war einschlägi­g straffälli­g geworden.

Fünf Monate hat der Prozess gedauert, noch immer ist unklar, wie viele Mädchen Oper von Vergewalti­gungen und sexuellen Nötigungen geworden sind. Die Ermittler gehen von einer Dunkelziff­er aus, weil möglicherw­eise nicht alle Opfer zur Polizei gegangen sind. Bisher wurden auch nicht alle Täter ermittelt. Im Prozess ging es um sieben Taten und sechs Opfer, drei waren erst 16. Einer der Fälle wurde während des Prozesses eingestell­t.

„Wir mussten über schwere Straftaten junger Menschen urteilen. Menschen, keine Monster“, sagt der Vorsitzend­e bei der Urteilsbeg­ründung. Trotzdem bleibt unklar, was die jungen Männer zu den Taten getrieben hat. Klar wird aber, dass fast alle wenig mit sich anzufangen wussten, einer hatte dem Gericht gesagt, er sei immer„sinnlos herumgelau­fen“, habe in den Tag hinein gelebt. Ein anderer hatte die Schule in der achten Klasse abgebroche­n und fuhr in Gelsenkirc­hen mit dem Audi R8 seines Opas herum.

Es fing alles im August 2016 mit der Gründung einer Whatsapp-Gruppe an, „Spinnen GE“nannten die Jungs sie. Dort tauschten sie sich über Mädchen aus – auch, um einvernehm­lichen Sex mit ihnen zu haben. Doch dann entwickelt­en sie ihre Masche, die sie „Skorpion machen“nannten: Einer von ihnen nahm Kontakt zu einem Mädchen auf, das er kannte, verabredet­e sich mit ihm zu einem Shisha-Bar-Besuch oder einem Ausflug.

Im Auto, mit dem das Mädchen abgeholt wurde, saß aber nicht nur der, mit dem es sich verabredet hatte, sondern bis zu drei weitere Männer. Einer nahm dem Mädchen dann unter einem Vorwand das Handy weg. Dann fuhren sie raus an den Stadtrand Essens oder Gelsenkirc­hens. In einen Wald oder aufs Feld. Dort erfuhren die Mädchen, was die Jungs mit ihnen vor hatten. „Wir spielen jetzt ein Spiel, zieh dich doch mal aus“, hieß es. Oder: „Entweder du machst das jetzt, oder ich schlage dich kaputt.“Auf dem Rücksitz des Autos, einmal auch in einem Hotel, taten die jungen Frauen dann, was von ihnen verlangt wurde. Bis zu vier Täter zwangen sie nacheinand­er zum Sex.

Dann bekamen sie ihre Handys zurück und wurden nach Hau- se gefahren. „Ich kann dich auch rausschmei­ßen und umbringen“, drohte einer, als eines der Opfer sich weigerte, bettelte und weinte. Eine 18-Jährige war aber derart wehrhaft, dass sie verschont blieb. Sie drohte den Jungs, die der Minderheit der Sinti angehören, in der gesamten Sinti-Gemeinde zu erzählen, was sie vorgehabt hätten. Sie brachten sie dann nach Hause, ohne ihr etwas zu tun. Die anderen schafften es nicht, der bedrohlich­en Situation zu entkommen. Als besonders erniedrige­nd bezeichnet der Vorsitzend­e die Tatsache, dass die Männer sich gegenseiti­g bei den Vergewalti­gungen zuschauten.

In einem „selbstherr­lichen und frauenvera­chtenden Ton“machten sich die Täter im Chat über ihre Opfer lustig: „Halt du mal ein biss- chen Händchen mit ihr, und dann komm ich, dann kriegt sie mal einen richtigen Mann.“Einer schrieb: „Ich weiß, dass wir keine Gentlemen sind. Wir sind alle kleine Wichser“. Oder:„Wenn es um Sex geht, geh ich über Leichen.“

Im Prozess hatten sich alle entschuldi­gt, auch Schmerzens­geld angeboten. „Die Entschuldi­gungen waren sehr unterschie­dlich“, sagt der Vorsitzend­e. Mal seien sie glaubhaft gewesen, in einem anderen Fall eher „in läppischem Tonfall“vorgetrage­n. Nicht alle Mädchen, die unter Ausschluss der Öffentlich­keit gehört worden waren, nahmen die Entschuldi­gungen an. „Ich weiß nicht, ob die Entschuldi­gung ernst gemeint ist“, hatte eine Jugendlich­e gesagt. „Ich kann das nicht verzeihen.“

 ?? FOTO: DPA ?? Szene aus dem Gericht: Das Urteil ist nicht rechtskräf­tig, der Richter riet, sich die Revision gut zu überlegen. Diese würde das Leiden der Opfer verlängern.
FOTO: DPA Szene aus dem Gericht: Das Urteil ist nicht rechtskräf­tig, der Richter riet, sich die Revision gut zu überlegen. Diese würde das Leiden der Opfer verlängern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany