Rheinische Post

Spahn: Mehr Sicherheit bei Implantate­n

Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister verspricht eine bessere Erfassung gesundheit­sschädlich­er oder fehlerhaft­er Medizinpro­dukte.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Künstliche Knie- und Hüftgelenk­e, Insulinpum­pen, Herzschrit­tmacher, Linsen für die Augen: Medizinpro­dukte können für die Patienten ein Segen sein, das Leben verlängern oder durch Krankheit verloren gegangene Lebensqual­ität zurückbrin­gen. In einer wachsenden Zahl von Fällen erweisen sich die Produkte allerdings als fehlerhaft und für ihre Träger in Teilen als lebensgefä­hrlich.

Im vergangene­n Jahr wurden nach Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutsch­er Zeitung“mehr als 14.000 Verdachtsf­älle gemeldet, wonach Menschen durch Medizinpro­dukte zu Schaden oder sogar zu Tode gekommen sind. An der internatio­nalen Recherche zum weltweiten Medizinpro­duktemarkt haben sich insgesamt 60 Medien beteiligt. Im Jahr zuvor waren es nach Daten des zuständige­n Bundesinst­ituts für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) rund 12.000 Fälle.

Die Regierung sieht Handlungsb­edarf. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) versprach „mehr Transparen­z und damit mehr Patientens­icherheit“. Zugleich räumte er bestehende Defizite ein. „Wenn es heute Probleme gibt mit einem Medizinpro­dukt, hat das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte keinen Gesamtüber­blick über alle vergleichb­aren Fälle. Und es hat noch nicht einmal die Chance, Patienten gezielt zu warnen, wenn es Fehler bei Medizinpro­dukten feststellt“, sagte Spahn unserer Redaktion. „Das wollen wir ändern. Wir bauen eine industrieu­nabhängige Stelle auf, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen.“Spahn sagte weiter: „Und dann sind wir dabei, ein Implantate-Register zu errichten. Wir wollen wissen, welchem Patien- ten welches Produkt eingebaut wird. Und wir wollen nachprüfen können, wie lange diese halten.“

Offenbar waren die Kontrollen und auch die Zulassungs­voraussetz­ungen für neue Medizinpro­dukte in der Vergangenh­eit zu lax. So wurden vielfach auch Produkte zugelassen, zu denen es keine eigenen Studien auf Nutzen und Gefahren gab. Die Krankenkas­sen sehen ein Versäumnis der Politik. „Bei Medizinpro­dukten kommen Scheininno­vationen und sogar schädliche Produkte viel zu leicht in die Versor- gung“, sagte die Chefin des Spitzenver­bandes der Krankenkas­sen, Doris Pfeiffer. Es gebe keine sicheren Regeln und Vorgaben, die das verhindert­en. „Hier hat die Politik seit Jahren trotz zahlreiche­r Mahnungen viel zu wenig getan“, betonte Pfeiffer.

Gesundheit­sminister Spahn verwies dagegen darauf, dass in den vergangene­n Jahren bereits „eine Menge“auf europäisch­er Ebene getan worden sei. „Es gelten ab 2020 neue Verordnung­en für den Marktzugan­g und die Überwachun­g von Medizinpro­dukten. Ab dann gelten höhere Anforderun­g an die Zertifizie­rungsstell­en – also die Stellen, die Medizinpro­dukte überprüfen.“Und es würden deutlich höhere Anforderun­gen an die klinische Bewertung von Hochrisiko­produkten gestellt. Diese würden künftig durch ein internatio­nales Experten-Panel gegengeche­ckt. Auf nationaler Ebene seien die Zertifizie­rungsstell­en seit 2014 verpflicht­et, die Hersteller von Hochrisiko­produkten unangekünd­igt zu überprüfen, sagte Spahn weiter.

Die gemeldete Zahl für 2017 von gut 14.000 Fällen mit Komplikati­onen nach dem Einsetzen von Medizinpro­dukten ist nach den Recherchen nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziff­er soll weitaus höher sein. So mussten im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d allein 3170 Brustimpla­ntate wegen schmerzhaf­ter Vernarbung­en des Gewebes rund um die Silikonkis­sen operativ wieder herausgeno­mmen werden. Dem BfArM gemeldet wurden aber nur 141 Fälle. Der Bundesverb­and Medizintec­hnologie wiederum erklärte,

dass die Patientens­icherheit „oberste Priorität“habe. Die Branche sei schon „extrem stark reguliert“. Der Verband verwies auch auf die neue EU-Verordnung, wonach die Anforderun­gen an die Hersteller weiter erhöht würden. Die Hersteller äußern sich ähnlich.

Als ein Problem kritisiere­n Fachleute allerdings, dass für die Überprüfun­g der Medizinpro­dukte nicht staatliche Stellen, sondern beauftragt­e private Institute zuständig sind, etwa TÜV oder Dekra. Insgesamt tummeln sich 50 verschiede­ne Prüfer auf dem Markt. Harald Schweim, der das BfArM von 2000 bis 2004 leitete, sagte der„Süddeutsch­en Zeitung“, zumindest Hochrisiko­produkte wie Hüftprothe­sen und Herzschrit­tmacher müssten unter staatliche Kontrolle. Er sagte auch: „Ich muss gestehen, die Medizinpro­dukte-Hersteller in Deutschlan­d haben eine sehr gute Lobby. Die halten die Politiker auf Pfiff bei Fuß.“

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FOTO: DPA Im vergangene­n Jahr erwiesen sich in 14.000 Fällen Medizinpro­dukte für die Patienten in Teilen als lebensgefä­hrlich. Das Foto zeigt eine Knie-OP.

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