„Ich hatte Angst, mich zu blamieren“
Sie wurden immer wieder krank. Kein Arzt konnte sich erklären, warum. Im Prozess um vergiftete Pausenbrote in einem Betrieb in Schloß Holte-Stukenbrock sagten Opfer aus. Sie berichteten, dass es auch andere Auffälligkeiten gab.
BIELEFELD (dpa) Im Prozess um vergiftete Pausenbrote haben am Montag zwei Nebenkläger über ihren jahrelangen rätselhaften körperlichen Verfall berichtet. Die heute 27 und 67 Jahre alten Kollegen des Angeklagten Klaus O. sagten in Bielefeld als Zeugen aus, wie sie über Jahre immer wieder ins Krankenhaus kamen, die Ärzte aber lange keine Ursache für ihr Leiden fanden. Heute sind beide schwer nierenkrank. Der Fall hatte nach Bekanntwerden bundesweit für Aufsehen gesorgt.
Die Zeigen berichteten, dass in ihren Wasserflaschen auffällige Schwebeteilchen gewesen seien. Der Jüngere schilderte, wie er immer wieder auffällige Schmutzpartikel und Pulver auf seinen Pausenbroten in dem Betrieb in Schloß Holte-Stukenbrock fand. Zwar habe er überlegt, die Polizei einzuschalten. Er hatte aber Angst, sich zu blamieren. „Heute mache ich mir Vorwürfe“, sagte der gelernte Industriemechaniker. 2018 ging er dann zur Polizei. Ein drittes Opfer liegt mit schweren Hirnschäden seit Jahren im Wachkoma und ist ein Pflegefall. Beide Zeugen schilderten den Angeklagten als Einzelgänger, mit dem es zwar keinen Streit gab, der gute Arbeite leistete, aber mit seinen Kollegen nichts zu tun haben wollte.
Der 27-Jährige schilderte, dass er bis vor ein paar Jahren körperlich fit war, viel Sport gemacht habe und plötzlich immer mehr abbaute. Es folgten im Wechsel Krankenhausaufenthalte und Arbeit in dem Betrieb in Ostwestfalen. Der Horror: Keiner der Ärzte konnte sich die Sache erklären. Als der Industriemechaniker dann vermehrt Schmutz und Pülverchen auf seinem Pausenbrot entdeckte, schaltete er seine Eltern, später die Firmenleitung und die Polizei ein. Er machte Fotos von den verdächtigen Pausenbroten, die am Montag im Gerichtssaal gezeigt wurden.
Überführt wurde der Angeklagte dann durch eine heimlich installierteVideoüberwachung. Die Maßnahmen wurde in Absprache mit dem Betriebsrat getroffen. Auf den Aufnahmen war zu sehen, wie der Angeklagte das giftige Pulver auf ein Pausenbrot gestreut hatte. Das Gericht zeigte die Filme vom 14. und 15. Mai 2018 im Gerichtssaal. Konkret darauf zu sehen war, wie Klaus O. in einem unbeobachteten Moment, eine Brotdose aus dem Rucksack eines Kollegen nahm und etwas auf das Pausenbrot streute. Mit Hilfe eines Aktendeckels deckte er für den Fall, dass er überrascht würde, die Behälter mit dem Gift ab.Daraufhin wurden Krankheits- und Todesfälle unter den Kollegen unter die Lupe genommen. In der Wohnung des Mannes wurden außerdem Stoffe wie Quecksilber und Cadmium gefunden. Cadmium gilt als krebserregend. In dem Unternehmen waren auffällig viele Beschäftigte noch vor dem Renteneintritt an Herzinfarkten und Krebs gestorben.
Die Anklage wirft dem 57-jährigen Klaus O. versuchten Mord sowie schwere und gefährliche Körperverletzung vor. Er soll über Jahre drei Kollegen mit Quecksilber oder Blei- acetat vergiftet haben. Ein Opfer soll Klaus O. nach zwei Krankenhausaufenthalten und der wiederholten Rückkehr an den Arbeitsplatz erneut vergiftet haben. Bislang äußert sich der Deutsche nicht zu den Vorwürfen. Als Motiv vermutet die Staats- anwaltschaft, dass der Angeklagte den körperlichen Verfall der Kollegen über Jahre beobachten wollte. „Er hat den Tod der Kollegen zumindest billigend in Kauf genommen“, heißt es in der Anklage.
Seine Kollegen waren im Frühjahr 2018 aus allen Wolken gefallen, als die Sache aufflog. Der Anwalt eines kranken Nebenklägers sagte vor dem Prozessstart: „Es gab ein Vertrauensverhältnis wie in jedem Betrieb unter Kollegen, keiner hat mit so etwas gerechnet.“Sein Mandant habe Klaus O. als Einzelgänger geschildert.
Entdeckt wurden die Vergiftungen, als der jetzige Nebenkläger eines Tages vermeintlichen Schmutz auf seinen Broten bemerkte. Am nächsten Tag machte der Nebenkläger einen Test. Er achtete darauf, saubere Stullen einzupacken. Als die Brote dann in der Pause erneut verschmutzt waren, schaltete er die Polizei und die Firmenleitung ein.
Bis Anfang Januar sind bislang vier weitere Verhandlungstermine angesetzt.