Rheinische Post

Das letzte Fest

Viva verkörpert­e das Lebensgefü­hl der 90er Jahre. Jetzt wird der Sender 25 – und Ende des Jahres eingestell­t.

- VON JONAS-ERIK SCHMIDT

BERLIN/KÖLN (dpa) In den 90er Jahren hatte man als Jugendlich­er bisweilen einen recht geregelten Tagesablau­f: Schule aus, Discman an, nach Hause, essen, Fernseher an – und Viva gucken. Kaum ein Sender verkörpert­e das Lebensgefü­hl zwischen Backstreet-Boys-Poster, Inlineskat­es und Tamagotchi so sehr wie der Musikkanal aus Köln, auf dem Stefan Raab Ukulele spielte, Mola Adebisi moderierte und Heike Makatsch zu dem wurde, was später irgendwer „Girlie“nannte. Viva war bunt, knallig, laut.

Viva feiert am Samstag seinen 25. Geburtstag, und es ist zugleich der letzte. Der Sender, der am 1. Dezember 1993 seinen Betrieb aufnahm, wird Ende des Jahres eingestell­t. TrägerViac­om hatte das im Sommer angekündig­t. Warum? Die Antwort lässt sich am besten an der Reaktion des Rappers Smudo ablesen:„Ich wusste gar nicht, dass es Viva noch gibt.“Das Sprungbret­t für junge Moderatore­n wie Charlotte Roche, Sarah Kuttner, Oliver Pocher und Matthias Opdenhövel hat ausgedient.

Trotz des Falls in die Bedeutungs­losigkeit rumorte es gewaltig in den sozialen Netzen, als das Aus feststand. Tenor: Mit Viva stirbt mehr als ein Sender, es stirbt auch ein Teil der Jugend. Viva war damals als deutsche Antwort auf die globale Coolness-Marke MTV angetreten, und die Betonung lag durchaus auf deutsch. Auf Viva sollte deutsche Musik einen Platz haben, auch zur besseren Vermarktun­g. MTV sitze „auf einer Insel hinter dem Ärmelkanal“, erklärte Viva-Gründer Dieter Gorny. „Viva sitzt in Köln, mittendrin.“

Das Geheimnis war allerdings, dass Viva auf andere Art gar nicht deutsch war: Perfektion­ismus gehörte nicht zu den Sender-Tugenden. Fast betont unprofessi­onell plapperten die Moderatore­n in die Kamera. Damit traf man den Nerv des Publikums, das zu Hause mit Zahnspange herumlümme­lte und sich auch alles andere als perfekt fühlte. „Es gab keine Moderatore­n-Schulung oder so. Das war Trial and Error – und es war auch sehr viel Error dabei“, sagt Moderatori­n Milka Loff Fernandes (38). Genau das bedeute aber ja Erwachsenw­erden. „Heute traut sich ja keiner mehr, einen Fehler zu machen“, sagt sie.

Stefan Raab sprang durch die Sendung„Ma‘ kuck‘n“, Charlotte Roche zeigte in „Fast Forward“Achselhaar. Wenn eine angesagte Band zu Viva in den Kölner Mediapark kam, belagerten Teenager das Areal. Den Moderatore­n wurden zwar ein paar Anweisunge­n gegeben, im Grunde ließ man sie aber einfach machen. „Wenn eine Girlgroup kam, sollte man sie zum Beispiel keinesfall­s live singen lassen“, erinnert sich Oliver Pocher (40) heute.„Viva war damals das, was heute YouTube ist.“Unter 20 hätten es alle geguckt.

„Viva ist heute in etwa so, wie Harald Juhnke in den 90ern war. Der war auch eine ganz wichtige Figur für das deutsche Fernsehen, aber irgendwann wurde er nur noch belächelt“, sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Kommunikat­ions- und Medienwiss­enschaft an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin.„Viva war irgendwann nur noch eine Lachnummer.“

Am letzten Tag, am 31. Dezember, will Viva kurz vor Schluss noch mal Musik aus 1993 spielen. Der Sender endet dort, wo er mal angefangen hat. Und dann?„Das gab es mal, und es wird es so nicht wieder geben“, sagt Oliver Pocher. „Wie oft habe ich Scooter anmoderier­t? Die habe ich öfters gesehen als meine Eltern.“

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| MONTAGE: PODTSCHASK­E FOTOS: DPA (3), IMAGO Für sie war die Moderation beim Kölner Musiksende­r das Karriere-Sprungbret­t (v.l.): Heike Makatsch, Oliver Pocher, Charlotte Roche, Stefan Raab.

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