Rheinische Post

Justizvoll­zug am Anschlag

Seit einem Jahr liegen 71 Fingerabdr­uckScanner in den JVAs nutzlos herum – aus rechtliche­n Gründen. Nicht nur bei der Technik hapert es.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

KLEVE Simon Maier (Name geändert) arbeitet am Limit. Der 47-jährige Justizvoll­zugsbeamte, der in einem mittelgroß­en Gefängnis in NRW tätig ist, sehnt sich nach einem längeren Urlaub.Wegen Personalkn­appheit könne er aber immer nur ein paar Tage am Stück frei machen – wenn überhaupt. „Ich brauche aber eine längere Distanz, um runterzuko­mmen“, sagt er.

Maier ist vermutlich nicht der einzige Justizvoll­zugsbedien­stete in NRW, der erschöpft ist. In allen 41 NRW-Gefängniss­en zusammen haben die Bedienstet­en mehr als eine halbe Million Überstunde­n (507.147, Stand Ende Oktober) angehäuft, wie aus einem internen Justizberi­cht hervorgeht, der unserer Redaktion vorliegt. Im Durchschni­tt hatte zum Beispiel in der JVA Kleve jeder Beamte bis Oktober 135 Mehrarbeit­sstunden auf dem Konto. Nur in den JVAs in Heinsberg und Detmold (je 149) sowie Wuppertal-Vohwinkel (138) und Bochum (137) waren es mehr. Am wenigsten Überstunde­n (28) haben die Kräfte in der Jugendarre­stanstalt Düsseldorf gesammelt.

Neben den personelle­n Problemen hapert es in den Haftanstal­ten auch an der Technik. So liegen die dringend benötigten Fingerabdr­uck-Scanner seit fast einem Jahr ungenutzt herum. Nach Informati- onen unserer Redaktion sollen sie wegen fehlender Rechtsgrun­dlage nicht eingesetzt werden können, weil die für den Abgleich benötigten Schnittste­llen zu Polizei- und Ausländer behörden fehlen. Das Justizmini­sterium bestätigte, dass sich der zunächst vorgesehen­eWeg einer direkten Schnittste­lle mit dem Bundeskrim­inalamt( BKA) zum Abgleich von Fingerabdr­uck daten im Nachhinein als rechtlich nicht umsetzbar herausgest­ellt habe. Demnach wurden bereits Ende 201771 Fingerabdr­uck scanner an dieJVAs ausgeliefe­rt. Anfang kommenden Jahres soll es in einer JVA einen Testbetrie­b geben, nachdem man gemeinsam mit dem Ministeriu­m des Innern und dem L an deskr im inalamt(LKA) ein neues System für den Austausch von Fingerabdr­uck daten zwischen Justiz vollzug und Polizei entwickelt hat.

Der frühere Justizmini­ster Thomas Kutschaty (SPD) hatte die Geräte unter anderem mit der Begründung anschaffen lassen, sicherstel­len zu wollen, dass auch die richtigen Gefangenen hinter Gittern säßen. Nach Angaben des Justizmini­steriums hätte man aber auch mit einem einsatzber­eiten Scanner nicht die richtige Identität des in der JVA Kleve unschuldig inhaftiert­en Syrers Amed A. herausfind­en können, der sich bei einem Brand in seiner Zelle tödliche Verbrennun­gen zuzog. Der 26-Jährige war mit einem Mann aus dem afrikanisc­hen Mali verwechsel­t worden. „Die Polizeibeh­örden haben die in der JVA Kleve einsitzend­e Person mittels Fingerabdr­uck eindeutig als Amed A. identifizi­ert. Jede Wiederholu­ng der Abfrage, auch durch die JVA Kleve, hätte dasselbe Ergebnis erbracht“, erklärt Marcus Strunk, Referats leiter Justiz vollzugs kommunikat­ion. Der eigentlich­e Fehler seid er Polizei unterlaufe­n, als diese der eindeutig durch Fingerabdr­uck daten als Amed A. identifizi­erten Person durch den Abgleich weiterer Daten in den polizeilic­hen Fahndungsd­ateienzw ei Vollstreck­ungs haftbefehl­e einer anderen, in Hamburg verurteilt­en Person fehlerhaft zugeordnet habe, so Strunk. Auf die für den weiteren Abgleich erforderli­chen Daten, wie die im Fahndungss­ystem hinterlegt­en Lichtbilde­r, habe der Justizvoll­zug keinen Zugriff und werde auch künftig aus verfassung­srechtlich­en Gründen keinen unmittelba­ren Zugriff haben.

Zu allem Überfluss soll es außerdem nach wie vor Probleme mit der Bausubstan­z vieler Anstalten geben. „Es gibt eigentlich keine JVA bis auf die wenigen ganz neuen, die nicht irgendwo marode ist“, sagt Peter B rock, NRW-Vorsitzend­er des Bundes der Strafvollz­ugs bedienstet­en (BDSB). Eine Reihe von Anstalten seien baufällig. Immer wieder stehen Haftplätze deshalb nicht zur Verfügung. Der Justizvoll­zug gilt als völlig überlastet, wenn mehr als 16.000 Haftplätze belegt sind. Derzeit liegt die Zahl knapp darunter. „Aber auch nur, weil durch die Weihnachts amnestie 500 bis 600 Leute früher entlassen worden sind.“

Die vielen Überstunde­n der Bedienstet­en sollen vor allem auf personelle Probleme zurückzufü­hren sein. So sollen laut BSBD in den NRW-Gefängniss­en insgesamt bis zu 500 Bedienstet­e fehlen. Dem vertraulic­hen Justizberi­cht zufolge sind zum Beispiel in der JVA Aachen von 269 Stellen derzeit 20 nicht besetzt, in Düsseldorf fehlen sogar fast 30 Kräfte, in Geldern sind es 23, in Heinsberg 27, in Köln 29, und in Wuppertal-Ronsdorf 36. In der JVA Kleve sind hingegen nur drei Planstelle­n (98 von 101) unbesetzt. Ein Grund für die Personalpr­obleme sind fehlende Bewerber. „Natürlich ist der Job anstrengen­d, aber man arbeitet zusammen in einem Team und man steht täglich vor neuen Herausford­erungen “, so B rock.

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