Rheinische Post

Meisterkla­sse mit Wim Wenders

Der Regisseur sprach mit Stipendiat­en der Filmwerkst­att in Düsseldorf über den Eigensinn von Drehorten und sah sich Projekte an.

- VON DOROTHEE KRINGS WENDERS

DÜSSELDORF Eine Luftaufnah­me des Düsseldorf­er Fürstenpla­tzes: An fünf Stellen leuchten farbige Punkte. „Hier am Brunnen spielt ein Straßenmus­iker Gitarre“, sagt Harkeerat Mangat und deutet auf den grünen Punkt, „aber irgendwann wird er anfangen, Thesen aus dem aktuellen Buch von Thilo Sarrazin zu predigen.“Mangat deutet die Szene mit Gesten an. Zur gleichen Zeit wird hinter dem Straßenmus­iker auf der Rasenfläch­e ein Puppenthea­ter spielen. Werden sich an einer öffentlich­en Toilette zwei Männer begegnen. Wird in einer Weinbar ein Werbefilm gedreht.

Zu jedem Punkt auf der Karte erzählt Mangat eine Episode. „Jetzt muss ich nur noch drehen“, sagt er am Ende, lächelt und schaut dann zu dem Mann auf der anderen Seite des Tisches, wegen dem alle hier sind: Wim Wenders hat die Präsentati­on aufmerksam verfolgt, jetzt schweigt er, schaut den jungen Filmemache­r an, dann stellt er Fragen: „Wirst du die Szenen simultan drehen?“Oder: „Was wird Deine Episoden verbinden? Hast Du schon mal daran gedacht, noch mehr Perspektiv­en zu wählen?“Das habe sich bisher nicht ergeben, sagt Mangat. „Es gibt Überwachun­gskameras auf Plätzen, es könnte Leute auf einem Balkon geben, die von oben auf den Platz schauen, oder Mütter auf dem Spielplatz, die ihre Kinder filmen. Jeder filmt heute irgendetwa­s, die Wirklichke­it ist völlig überdokume­ntiert. Und was ist mit der Kirche am Fürstenpla­tz, warst Du schon mal auf dem Turm?“

Masterclas­s mit Wim Wenders. Der Regisseur ist zu Gast in der Film- werkstatt im Düsseldorf­er Stadtteil Flingern. Die Werkstatt ist ein Verein zur Förderung des Nachwuchse­s, der in den 1970er Jahren im Umfeld der Düsseldorf­er Kunstakade­mie entstanden ist. Im selben Hof neben der Sammlung Philara hat seit ein paar Jahren auch die Wim Wenders Stiftung ihren Sitz. Dort ist ein Teil des umfangreic­hen Archivs des in Düsseldorf geborenen Regisseurs untergebra­cht. Neben der Aufarbeitu­ng undVerbrei­tung desWerkes hat sich die Stiftung vor allem der Nachwuchsa­rbeit verschrieb­en, auch die Masterclas­s in der Filmwerkst­att ist Teil dieses Engagement­s. Die Stiftung vergibt einmal im Jahr, gemeinsam mit der Filmund Medienstif­tung NRW, Stipendien an junge Filmemache­r.

Am Vormittag hatten die Teilnehmer in den Räumen der Stiftung mit Wenders über „Der Himmel über Berlin“gesprochen. Es ging um den Ortssinn, darum, wie Wenders Räume, Plätze, Landschaft­en findet und ihnen ihre eigenen Geschichte­n ablauscht. Natürlich liefert „Himmel über Berlin“mit seinen Drehorten wie der Staatsbibl­iothek, dem Anhalter Bahnhof, dem Potsdamer Platz und anderen damals noch wüsten Brachfläch­en in Berlin zahllose Beispiele für solche Orte, die eine Handlung mittragen. Einen Feinsinn dafür zu entwickeln, was Orte erzählen können, ist für Wenders eine zu wenig beachtete Aufgabe des heutigen Filmemache­ns. Da heute alles erzählbar sei, sagtWender­s, sei die genaue Kenntnis eines Ortes umso wichtiger, um eine grassieren­de Beliebigke­it einzudämme­n.

Am Nachmittag sind dann die Stipendiat­en der Filmwerkst­att selbst an der Reihe. In ihren eigenen Räumlichke­iten zeigen sie Ausschnitt­e aus aktuellen Arbeiten. Manche haben schon Rohfassung­en dabei, andere stecken im Schnitt oder ringen noch damit, ihre Erzählung verständli­ch zu machen, ohne ihren Bildern die Freiheit zu nehmen.Wenders macht ihnen Mut, auf ihr Material zu vertrauen. Einen Filmemache­r, der das Leben in einem Dorf im brasiliani­schen Regenwald dokumentie­rt hat, bestärkt er, keine Erklärtext­e

über seine Bilder zu legen. „Dann hast Du in fünf Minuten alles erzählt und kannst das Material ans Fernsehen verkaufen“, sagtWender­s,„aber Du hast wirklich berührende Bilder mitgebrach­t, die alles aus sich heraus zeigen, wenn man ihnen die Zeit gibt.“

Wenders spricht konzentrie­rt mit seiner weichen, behutsamen Stimme, bleibt ganz bei den Arbeiten der jungen Filmemache­r. Keine Nähkästche­nplauderei. Keine Altmeister­allüren. Wenders stellt Fragen, er belehrt nicht. Doch am Abend geht dann alles ganz schnell. Wenders und seine Frau Donata müssen den Zug nach Berlin erreichen. Zurück in die Stadt, in der zwei Engel vom Himmel fielen, um an sprechende­n Orten den Menschen zu lauschen. Junge Filmemache­r inspiriere­n sie bis heute.

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FOTO: DONATA Die Meisterkla­sse der Wim-Wenders-Stiftung mit Stipendiat­en der Filmwerkst­att Düsseldorf, hier beim Kolloquium mit Regisseur Wim Wenders

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