Rheinische Post

„Ein fehlgeschl­agener Mordversuc­h“

Der 11. April 2017 wird den BVB-Spielern immer im Gedächtnis bleiben – sie fürchteten beim Bombenatte­ntat um ihr Leben. Jetzt fiel das Urteil: Sergej W. muss für 14 Jahre in Haft. Bei der Verkündung des Urteils zeigte er keine Regung.

- VON CLAUDIA HAUSER

DORTMUND Sergej W. hat immer gesagt, dass er nicht die Absicht hatte, jemanden zu töten, als er am 11. April 2017 drei Splitterbo­mben neben dem Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund zündete. Doch letztlich hat das Gericht ihm nicht geglaubt. Am Dienstagna­chmittag verkündete der Vorsitzend­e Richter Peter Windgätter im Dortmunder Landgerich­t das Urteil: SergejW. muss wegen 28-fachen Mordversuc­hes für 14 Jahre in Haft. Die Staatsanwa­ltschaft hatte eine lebenslang­e Haftstrafe gefordert.

Sergej W., 29 Jahre alt, steht bei der Urteilsver­kündung ohne erkennbare Regung da, im weißen Hemd, die Hände gefaltet. Nur wenige Minuten vorher hat er sich einmal mehr fotografie­ren und filmen lassen. Sein Gesicht hat er im Verfahren nie versteckt.Windgätter betont, dass es ein außergewöh­nlicher Prozess war – die Tat war ungewöhnli­ch, aber auch die Motivation des Angeklagte­n und das Ziel mit den potenziell­en Opfern.

18 Dortmunder Spieler, neun Betreuer und der Fahrer waren an jenem Aprilabend vom Teamhotel „L’Arrivée“auf demWeg ins Stadion zum Champions-League-Heimspiel gegen den AS Monaco, als Sergej W. die drei mit Metallstif­ten gespickten Sprengsätz­e von seinem Hotelzimme­r aus zündete. Die Zeugenauss­agen der Spieler im Prozess hatten noch einmal gezeigt, wie schwer der Anschlag die Mannschaft erschütter­t hat. Während sie im Bus um ihr Leben bangten, weil völlig unklar war, ob die Bomben erst der Anfang waren, vernichtet­e der Täter im Zimmer Spuren – und besuchte den Wellness-Bereich des Vier-Sterne-Hotels.

„Die Spieler dachten: Gleich kommen vierVermum­mte mit Kalaschnik­ows und mähen uns nieder“, sagte Windgätter. Einige der Betroffene­n sind auch heute noch, mehr als ein Jahr danach, in psychiatri­scher Behandlung. Bei dem Anschlag erlitt der damalige BVB-Verteidige­r Marc Bartra einen Splitterbr­uch des Unterarms. Ein Motorradpo­lizist erlitt ein Knalltraum­a und kann seit dem Tag des Anschlags nicht mehr arbeiten.

Eines der Mordmerkma­le in diesem Fall ist für die Schwurgeri­chtskammer Habgier: Der Elektrotec­hniker Sergej W. wollte die BVB-Aktie zum Absturz bringen, da er zuvor auf fallende Kurse gewettet hatte. Bei seinem Teilgestän­dnis hatte er im Prozess gesagt, Vorbild seien die Terroransc­hläge in Paris gewesen. Er habe mitbekomme­n, dass es danach Aktienschw­ankungen gegeben habe. Er habe zwar Angst verbreiten, aber niemanden ernsthaft verletzen oder töten wollen. Das glaubten ihm weder die Staatsanwa­ltschaft noch die Kammer. „Die Tat war ein fehlgeschl­agener Mordversuc­h“, sagte Windgätter. „Er hat alles getan, aber es hat nicht geklappt.“Wegen der hohen Opferzahl und der„nicht unerheblic­hen Verletzung­en“könne eine Strafe nicht im unteren Bereich liegen. Die Verteidige­r hatten das beantragt. Sie hatten auf ein Urteil wegen Herbeiführ­ens einer Sprengstof­fexplosion gehofft – und nicht wegen versuchten Mordes.

Der Vorsitzend­e machte noch einmal deutlich, wie befremdlic­h auf ihn die Entscheidu­ng von Borussia Dortmund wirkte, das Spiel schon am nächsten Tag nachholen zu lassen. Den Spielern etwas zu sagen wie: „Morgen Abend geht’s weiter, zieht euch die Schuhe an, dann wird gespielt“, sei unverständ­lich. Auch der ehemalige Torwart Roman Weidenfell­er hatte im Prozess gesagt: „Wir sind alle trainiert und gewohnt, das Bestmöglic­he rauszuhole­n. Wir können einiges aushalten. Aber wir sind keine Maschinen, sondern Menschen.“

DerVerteid­iger von SergejW., Carl Heydenreic­h, bezeichnet­e das Verfahren nach dem Urteil als fair. Er werde nun mit seinem Mandanten sprechen und das Urteil sacken lassen. Ob er in Revision gehen will, müsse später entschiede­n werden.

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FOTO: DPA Ein Beamter des Landeskrim­inalamtes (LKA) untersucht am Tag nach dem Anschlag den Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund.

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