„Ich habe Zeit“
Der Gesundheitsminister und Kandidat für den Parteivorsitz spricht über seine Konkurrenten, seine Pläne, die Migrationsfrage und die AfD.
BERLIN Er ist der jüngste der drei Kandidaten, die den CDU-Vorsitz erobern wollen. Sein Programm an Auftritten, TV-Talks und Interviews ist in diesen Tagen gigantisch. Wir treffen Jens Spahn in einem nüchtern eingerichteten Besprechungsraum in einem Nebengebäude des Bundestags. Spahn trinkt Cola. Er zeigt sich optimistisch, trotz der schlechten Prognosen zu seiner Aussicht auf den CDU-Vorsitz. Am Mittwochabend stellt er sich der Parteibasis in Düsseldorf vor.
Herr Spahn, fünf Regionalkonferenzen hat die CDU zur Vorstellung der Kandidaten für den Parteivorsitz schon veranstaltet, drei folgen noch. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?
SPAHN Es werden am Ende etwa 15.000 Mitglieder bei den Konferenzen gewesen sein, 150.000 haben schon im Livestream zugeschaut. In der Partei spüren wir Aufbruch, Erneuerung und Lust an der Debatte. Der ganze Prozess tut der CDU sehr gut. Allein dafür hat es sich gelohnt zu kandidieren.
Nach Umfragen sind Ihre Chancen gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz nicht rosig.
SPAHN Damit kann ich gut umgehen. Meine Motivation ist weiterhin groß. Umfragen sagen wenig über das Verhalten der 1001 Delegierten aus. Mein Angebot ist ein Neustart. Meine Generation mussVerantwortung übernehmen und ihre Perspektive einbringen für die Zukunft unseres Landes. Dem geht es so gut wie nie, doch gleichzeitig ist die Stimmung oft getrübt – aus Sorge um die Zukunft.Wir müssen wieder die berechtigte Zuversicht verbreiten, dass es den nachfolgenden Generationen noch besser gehen kann.
Drängt Sie jemand, Ihre Kandidatur zurückzuziehen? SPAHN Nein.
Werden Sie es zugunsten von Friedrich Merz tun? SPAHN Ich möchte Parteivorsitzender werden.
Wie enttäuscht sind Sie von Wolfgang Schäuble, Carsten Linnemann und Paul Ziemiak, die Sie unterstützt haben und dann umschwenkten, als Merz kandidierte?
SPAHN Wir haben einenWettbewerb von drei Kandidaten. Ich habe Ideen und Erfahrungen aus der Regierung, aus 16 Jahren Bundestag. Ich biete der CDU Ideen und Impulse an, die die nächsten 20 bis 30 Jahre im Blick haben. Das ist das Gesamtpaket mit allen Stärken und Schwächen, die ich habe.
Wer von Ihnen dreien steht am ehesten für den Fortbestand der großen Koalition?
SPAHN Ich kann da nur für mich sprechen. Ich hielte einen Bruch der Koalition und Neuwahlen für unverantwortlich. Warum sollten wir das tun? Weil Parteichef und Kanzlerin sich nicht verstehen? Das könnte kein Wähler nachvollziehen. Wir sind gewählt. Und dann müssen wir auch liefern. Ich kann mir sehr gut eine Zusammenarbeit mit Angela Merkel vorstellen.Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir arbeiten auch jetzt schon vertrauensvoll zusammen. Ich denke, das sieht sie genauso. Wichtig ist: Ich habe Zeit.
Was würden Sie angehen?
SPAHN Wenn ich Parteichef bin, hätte ich nicht sofort das nächste Amt im Blick. Die Partei braucht die volle Aufmerksamkeit. Davon hat sie in den vergangenen Jahren zu wenig gehabt. Sie braucht strukturelle Veränderungen. Sie braucht Kampfkraft für Wahlkämpfe, offensive Kommunikation und moderne Social-Media-Kampagnen. Wir müssen Themen setzen.Wir reagieren zu oft nur und setzen zu selten eigene Akzente.
An was denken Sie?
SPAHN Nehmen Sie die Organspende. Darüber gibt es eine Diskussion heute im Bundestag. Die habe ich angestoßen, weil wir uns darüber unterhalten müssen, wie wir die Spenderzahlen endlich wieder steigern. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation sagt jetzt, al- lein durch diese Diskussion gehen die Zahlen wieder etwas nach oben. Ein weiteres Beispiel ist der UN-Migrationspakt. Weil wir hier die aktive Diskussion gescheut haben, ist der fatale Eindruck entstanden, wir würden uns um eine offene Debatte drücken wollen. Das war auch schon bei TTIP so. Das schafft den Raum für Verschwörungstheorien. Jetzt werden Bundestag und Bundesparteitag über den Migrationspakt sprechen. Dafür habe ich gekämpft. Und ich bin sicher: Es wird der CDU gut tun und unserem Regierungshandeln mehr Akzeptanz bringen.
Welche Themen muss die CDU außerdem grundsätzlicher debattieren als bisher?
SPAHN Diese Koalition ist Gegenwart. Die CDU muss grundsätzlicher die Zukunftsfragen diskutieren. Was bedeutet die Alterung für die Gesellschaft? Wo geht es mit der Digitalisierung hin? Wie sieht Deutschland in 30 Jahren aus? Damit müssen wir uns beschäftigen. Ich würde einen Umwelt-Parteitag abhalten. Strohhalm-Verbote gegen Plastikmüll sind mir zu kleines Karo. Die CDU muss größer denken! Wir müssen die Partei sein, die Umwelt, Klimaschutz und Arbeitsplätze und Wachstum wieder zusammen bringt. Und vor der Europawahl würde ich einen großen Europa-Parteitag machen. Das alles ist wichtig für eine lebendige Partei und darf nicht an den Ressourcen scheitern.
Sie haben mal ein Islamgesetz ge-
fordert. Halten Sie das weiter für sinnvoll, um mehr Verbindlichkeit zu schaffen?
SPAHN Für mich kommt es nicht darauf an, ob wir ein Islamgesetz, eine Islamverordnung oder eineVereinbarung schaffen. Entscheidend ist, dass es Verbindlichkeit gibt.
Aber reicht eine Vereinbarung? SPAHN Wenn sie verbindlich funktioniert, dann ja.
Wenn man sich das Agieren von Ditib anschaut, funktioniert es nicht ohne rechtliche Regelungen.
SPAHN Die Aufgabe bleibt, dass Bund und Länder den rechtlichen Rahmen für muslimisches Leben in Deutschland setzen. Über den konkreten Weg müssen wir mit den Muslimen reden. Solange Ditib der Arm einer Behörde ist, die aus der Türkei gesteuert wird und auch in Deutschland türkische Staatsbeamte an der Spitze hat, ist das ein Problem. Da stellt sich die Frage: Geht es um Religion oder um Politik?
Wir haben jetzt noch nicht verstanden, wo Sie in dieser Frage stehen.
SPAHN Für mich ist klar, dass es um Menschen, um Bürger, geht, egal welchen Glauben sie haben. Unsere Aufgabe als Staat ist es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Integration und ein gutes Zusammenleben gelingt. Das Ziel dafür ist klar: Moscheen dürfen nicht aus dem Ausland finanziert werden, auch nicht über Umwege. Die Imame müssen in Deutschland ausgebildet werden und müssen auch Deutsch sprechen. Sie sollten wissen und verstehen, wie der deutsche Alltag funktioniert. Wir brauchen eine transparente Jugendarbeit in Moscheen, die sich als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen. Die Islamkonferenz sollte festlegen, wie wir das gestalten können.
Welchen Vorschlag haben Sie dazu?
SPAHN Es gibt keine zentrale muslimische Institution, die auch für säkulare und liberale Muslime sprechen kann. Umso wichtiger ist es, dass wir Rahmenbedingungen setzen, die für alle Moschee-Gemein- den verbindlich gelten. Dabei geht es nicht um Gängelung, sondern um die Basis für ein gelingendes Zusammenleben. Das ist notwendig und steht außer Frage. Über das Wie muss die Islamkonferenz reden. Dafür ist sie da.
Was läuft falsch in Deutschland, dass wir uns immer wieder mit den Straftaten junger, männlicher Intensivtäter aus muslimischen Ländern befassen müssen?
SPAHN Bei Rechtsstaat und Sicherheit dürfen wir keine Kompromisse machen, weder im öffentlichen Raum, in Parks oder Clan-Vierteln noch an der EU-Außengrenze. Es muss schon an der EU-Außengrenze entschieden werden, wer warum einreisen darf – und wer eben nicht. Das gilt insbesondere für Migranten beispielsweise aus den Maghreb-Staaten. DieVerfahren gegen Ausreisepflichtige müssen schneller abgeschlossen und vollzogen werden. Bei Intensivstraftätern können wir die Kommunen nicht alleinlassen. Viele Bürgermeister und Landräte sagen, dass sie damit schlicht überfordert sind. Bund und Länder müssen den Kommunen helfen. Die Bewegungsfreiheit von Intensivtätern muss auch auf Dauer eingeschränkt werden können. Ein Problem ist auch, dass wir bei Zigtausenden Ausreisepflichtigen nur 475 Abschiebehaftplätze in ganz Deutschland haben. Das reicht einfach nicht.