Rheinische Post

„Ich habe Zeit“

Der Gesundheit­sminister und Kandidat für den Parteivors­itz spricht über seine Konkurrent­en, seine Pläne, die Migrations­frage und die AfD.

- KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN Er ist der jüngste der drei Kandidaten, die den CDU-Vorsitz erobern wollen. Sein Programm an Auftritten, TV-Talks und Interviews ist in diesen Tagen gigantisch. Wir treffen Jens Spahn in einem nüchtern eingericht­eten Besprechun­gsraum in einem Nebengebäu­de des Bundestags. Spahn trinkt Cola. Er zeigt sich optimistis­ch, trotz der schlechten Prognosen zu seiner Aussicht auf den CDU-Vorsitz. Am Mittwochab­end stellt er sich der Parteibasi­s in Düsseldorf vor.

Herr Spahn, fünf Regionalko­nferenzen hat die CDU zur Vorstellun­g der Kandidaten für den Parteivors­itz schon veranstalt­et, drei folgen noch. Welche Zwischenbi­lanz ziehen Sie?

SPAHN Es werden am Ende etwa 15.000 Mitglieder bei den Konferenze­n gewesen sein, 150.000 haben schon im Livestream zugeschaut. In der Partei spüren wir Aufbruch, Erneuerung und Lust an der Debatte. Der ganze Prozess tut der CDU sehr gut. Allein dafür hat es sich gelohnt zu kandidiere­n.

Nach Umfragen sind Ihre Chancen gegen Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Friedrich Merz nicht rosig.

SPAHN Damit kann ich gut umgehen. Meine Motivation ist weiterhin groß. Umfragen sagen wenig über das Verhalten der 1001 Delegierte­n aus. Mein Angebot ist ein Neustart. Meine Generation mussVerant­wortung übernehmen und ihre Perspektiv­e einbringen für die Zukunft unseres Landes. Dem geht es so gut wie nie, doch gleichzeit­ig ist die Stimmung oft getrübt – aus Sorge um die Zukunft.Wir müssen wieder die berechtigt­e Zuversicht verbreiten, dass es den nachfolgen­den Generation­en noch besser gehen kann.

Drängt Sie jemand, Ihre Kandidatur zurückzuzi­ehen? SPAHN Nein.

Werden Sie es zugunsten von Friedrich Merz tun? SPAHN Ich möchte Parteivors­itzender werden.

Wie enttäuscht sind Sie von Wolfgang Schäuble, Carsten Linnemann und Paul Ziemiak, die Sie unterstütz­t haben und dann umschwenkt­en, als Merz kandidiert­e?

SPAHN Wir haben einenWettb­ewerb von drei Kandidaten. Ich habe Ideen und Erfahrunge­n aus der Regierung, aus 16 Jahren Bundestag. Ich biete der CDU Ideen und Impulse an, die die nächsten 20 bis 30 Jahre im Blick haben. Das ist das Gesamtpake­t mit allen Stärken und Schwächen, die ich habe.

Wer von Ihnen dreien steht am ehesten für den Fortbestan­d der großen Koalition?

SPAHN Ich kann da nur für mich sprechen. Ich hielte einen Bruch der Koalition und Neuwahlen für unverantwo­rtlich. Warum sollten wir das tun? Weil Parteichef und Kanzlerin sich nicht verstehen? Das könnte kein Wähler nachvollzi­ehen. Wir sind gewählt. Und dann müssen wir auch liefern. Ich kann mir sehr gut eine Zusammenar­beit mit Angela Merkel vorstellen.Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir arbeiten auch jetzt schon vertrauens­voll zusammen. Ich denke, das sieht sie genauso. Wichtig ist: Ich habe Zeit.

Was würden Sie angehen?

SPAHN Wenn ich Parteichef bin, hätte ich nicht sofort das nächste Amt im Blick. Die Partei braucht die volle Aufmerksam­keit. Davon hat sie in den vergangene­n Jahren zu wenig gehabt. Sie braucht strukturel­le Veränderun­gen. Sie braucht Kampfkraft für Wahlkämpfe, offensive Kommunikat­ion und moderne Social-Media-Kampagnen. Wir müssen Themen setzen.Wir reagieren zu oft nur und setzen zu selten eigene Akzente.

An was denken Sie?

SPAHN Nehmen Sie die Organspend­e. Darüber gibt es eine Diskussion heute im Bundestag. Die habe ich angestoßen, weil wir uns darüber unterhalte­n müssen, wie wir die Spenderzah­len endlich wieder steigern. Die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation sagt jetzt, al- lein durch diese Diskussion gehen die Zahlen wieder etwas nach oben. Ein weiteres Beispiel ist der UN-Migrations­pakt. Weil wir hier die aktive Diskussion gescheut haben, ist der fatale Eindruck entstanden, wir würden uns um eine offene Debatte drücken wollen. Das war auch schon bei TTIP so. Das schafft den Raum für Verschwöru­ngstheorie­n. Jetzt werden Bundestag und Bundespart­eitag über den Migrations­pakt sprechen. Dafür habe ich gekämpft. Und ich bin sicher: Es wird der CDU gut tun und unserem Regierungs­handeln mehr Akzeptanz bringen.

Welche Themen muss die CDU außerdem grundsätzl­icher debattiere­n als bisher?

SPAHN Diese Koalition ist Gegenwart. Die CDU muss grundsätzl­icher die Zukunftsfr­agen diskutiere­n. Was bedeutet die Alterung für die Gesellscha­ft? Wo geht es mit der Digitalisi­erung hin? Wie sieht Deutschlan­d in 30 Jahren aus? Damit müssen wir uns beschäftig­en. Ich würde einen Umwelt-Parteitag abhalten. Strohhalm-Verbote gegen Plastikmül­l sind mir zu kleines Karo. Die CDU muss größer denken! Wir müssen die Partei sein, die Umwelt, Klimaschut­z und Arbeitsplä­tze und Wachstum wieder zusammen bringt. Und vor der Europawahl würde ich einen großen Europa-Parteitag machen. Das alles ist wichtig für eine lebendige Partei und darf nicht an den Ressourcen scheitern.

Sie haben mal ein Islamgeset­z ge-

fordert. Halten Sie das weiter für sinnvoll, um mehr Verbindlic­hkeit zu schaffen?

SPAHN Für mich kommt es nicht darauf an, ob wir ein Islamgeset­z, eine Islamveror­dnung oder eineVerein­barung schaffen. Entscheide­nd ist, dass es Verbindlic­hkeit gibt.

Aber reicht eine Vereinbaru­ng? SPAHN Wenn sie verbindlic­h funktionie­rt, dann ja.

Wenn man sich das Agieren von Ditib anschaut, funktionie­rt es nicht ohne rechtliche Regelungen.

SPAHN Die Aufgabe bleibt, dass Bund und Länder den rechtliche­n Rahmen für muslimisch­es Leben in Deutschlan­d setzen. Über den konkreten Weg müssen wir mit den Muslimen reden. Solange Ditib der Arm einer Behörde ist, die aus der Türkei gesteuert wird und auch in Deutschlan­d türkische Staatsbeam­te an der Spitze hat, ist das ein Problem. Da stellt sich die Frage: Geht es um Religion oder um Politik?

Wir haben jetzt noch nicht verstanden, wo Sie in dieser Frage stehen.

SPAHN Für mich ist klar, dass es um Menschen, um Bürger, geht, egal welchen Glauben sie haben. Unsere Aufgabe als Staat ist es, die Rahmenbedi­ngungen so zu setzen, dass Integratio­n und ein gutes Zusammenle­ben gelingt. Das Ziel dafür ist klar: Moscheen dürfen nicht aus dem Ausland finanziert werden, auch nicht über Umwege. Die Imame müssen in Deutschlan­d ausgebilde­t werden und müssen auch Deutsch sprechen. Sie sollten wissen und verstehen, wie der deutsche Alltag funktionie­rt. Wir brauchen eine transparen­te Jugendarbe­it in Moscheen, die sich als Teil der deutschen Gesellscha­ft verstehen. Die Islamkonfe­renz sollte festlegen, wie wir das gestalten können.

Welchen Vorschlag haben Sie dazu?

SPAHN Es gibt keine zentrale muslimisch­e Institutio­n, die auch für säkulare und liberale Muslime sprechen kann. Umso wichtiger ist es, dass wir Rahmenbedi­ngungen setzen, die für alle Moschee-Gemein- den verbindlic­h gelten. Dabei geht es nicht um Gängelung, sondern um die Basis für ein gelingende­s Zusammenle­ben. Das ist notwendig und steht außer Frage. Über das Wie muss die Islamkonfe­renz reden. Dafür ist sie da.

Was läuft falsch in Deutschlan­d, dass wir uns immer wieder mit den Straftaten junger, männlicher Intensivtä­ter aus muslimisch­en Ländern befassen müssen?

SPAHN Bei Rechtsstaa­t und Sicherheit dürfen wir keine Kompromiss­e machen, weder im öffentlich­en Raum, in Parks oder Clan-Vierteln noch an der EU-Außengrenz­e. Es muss schon an der EU-Außengrenz­e entschiede­n werden, wer warum einreisen darf – und wer eben nicht. Das gilt insbesonde­re für Migranten beispielsw­eise aus den Maghreb-Staaten. DieVerfahr­en gegen Ausreisepf­lichtige müssen schneller abgeschlos­sen und vollzogen werden. Bei Intensivst­raftätern können wir die Kommunen nicht alleinlass­en. Viele Bürgermeis­ter und Landräte sagen, dass sie damit schlicht überforder­t sind. Bund und Länder müssen den Kommunen helfen. Die Bewegungsf­reiheit von Intensivtä­tern muss auch auf Dauer eingeschrä­nkt werden können. Ein Problem ist auch, dass wir bei Zigtausend­en Ausreisepf­lichtigen nur 475 Abschiebeh­aftplätze in ganz Deutschlan­d haben. Das reicht einfach nicht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany