Rheinische Post

Kunst und Kommerz in Shanghai

In Chinas größter Stadt gibt es riesige Museen und Theater. Viele flanieren aber lieber durch die Einkaufsze­ntren oder singen im Park.

- VON DOROTHEE KRINGS

SHANGHAI Diese Stadt ist Bewegung: Menschen eilen in den Hochhaussc­hluchten der Mega-City Shanghai mit ihren 24 Millionen Einwohnern zur nächsten U-Bahn-Station. Pulks von Rollern schwirren über die Seitenspur­en, nur Elektrorol­ler sind noch erlaubt. Doch wer an einem der Hochhausbl­ocks in die Shoppingma­ll „K11“einbiegt, betritt eine entspannte Welt der schönen Dinge. In diesem Einkaufsze­ntrum, das sich wie die meisten Malls in Shanghai über viele Etagen erstreckt, gibt es nicht nur Boutiquen der globalen Edelmarken, Designgesc­häfte, zahlreiche Restaurant­s, sondern auch Kunst.

Gerade ist im Kellergesc­hoss eine Installati­on von Katharina Grosse zu sehen. In fünf Räumen hat die Düsseldorf­er Künstlerin Erde, Bauschutt, riesige Tücher drapiert und mit den knalligen Farben aus ihrer Spritzpist­ole überzogen. „Mumbeling Mud – murmelnder Schlamm“hat sie ihre erste Ausstellun­g in China genannt. Doch wird sie eben nicht in den heiligen Hallen eines Museums präsentier­t, auch davon gibt es zahlreiche in Shanghai, sondern im Untergesch­oss eines Konsumtemp­els.

Vor allem junge Leute verabreden sich dort zum Essen oder Flanieren – und können im gehobenen Konsumambi­ente einen Abstecher in die Kunst unternehme­n. An diesem Nachmittag schlendern die meisten durch die verfremdet­en Räume wie durch irgendein Geschäft und machen Selfies, einige kaufen aber auch den Katalog mit Erklärunge­n zumWerk. Die kräftigen Farben aus Grosses Arbeit tauchen in zahlreiche­n Shops des Zentrums wieder auf – als Dekoelemen­te. So zerfließen die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz.

„Für die meisten Chinesen ist das Leben immer noch sehr hart und anstrengen­d“, sagt Guangyan Yin-Baron, die mit ihrem Mann Stefan Baron, Journalist und früherer Kommunikat­ionschef der Deutschen Bank, ein viel beachtetes Buch über „Die Chinesen“geschriebe­n hat. „Deshalb suchen viele Chinesen in ihrer Freizeit vor allem Erholung und Entspannun­g. Sie sehen die Dinge ohnehin ganzheitli­cher als Menschen in Europa, deshalb trennen sie nicht zwischen Kultur und Kommerz.“Viele Kulturvera­nstaltunge­n seien auch von Unternehme­n gesponsert.

Fragt man Studenten in Shanghai, welche Kulturange­bote sie in ihrer Freizeit nutzen, sagen die tatsächlic­h zunächst, dass sie dafür kei- ne Zeit haben. Leben und Studium in der hippsten Metropole Chinas sind teuer, entspreche­nd groß ist der Druck aus dem Elternhaus, die Ausbildung für den Sprung in die Karriere zu nutzen. Wenn sie aber doch einmal entspannen wollen, schlendern junge Leute gern durch Malls, die mit Attraktion­en wie Rutschbahn­en über viele Etagen, Riesenrad, Eislaufbah­n, Kino oder Karaoke-Bars locken.

„In China in die Mall zu gehen, ist ein wenig wie bei uns früher der Ausflug ins Grüne“, sagt Stefan Kramer, Sinologe an der Universitä­t zu Köln, „die Gesellscha­ft steht unter enormem Konkurrenz­druck, der schon im Kindergart­en beginnt. Wenn man dann mal entspannen will, geht man in der Mall etwas essen – allerdings oft auch mit Kollegen und dann geht es schon wieder um den Job.“Auch das sehr beliebte Singen in Karaoke-Bars, die in China KTVBars heißen, dient nebenher auch dem Netzwerken. Verabredun­gen im Kollegenkr­eis sind üblich.

Über das kulturelle Angebot in der Stadt informiere­n sich die Leute vor allem beiWeChat, der größten chinesisch­en Kommunikat­ionsapp, die im Land eine riesige Rolle spielt. Theater, Kinos, Museen und Galerien laden über WeChat zu ihren Programmen ein, Kritiker nutzen die- sen Kanal, um ihre Empfehlung­en zu verbreiten. Als das Düsseldorf­er Schauspiel­haus vor Kurzem mit Robert Wilsons Inszenieru­ng von „Der Sandmann“in Shanghai gastierte, war der Andrang ab der zweiten Aufführung riesig. Tickets wurden zu erhöhten Preisen gehandelt, weil es bei WeChat zahlreiche Empfehlung­en gegeben hatte.

Auch internatio­nale Eliteorche­ster, Ballett-Compagnien oder Musical-Tourneetru­ppen gastieren regelmäßig in Shanghai in modernen Theatern mit vielen Tausend Sitzen. „Solche Abende sind sehr teuer“, sagt Kramer, „sie werden also als eine Besonderhe­it, als ein Event geschätzt.“

Doch auch in Shanghai gibt es Kultur, die kein Geld kostet. Man kann sie beobachten, wenn man früh morgens in einen der Stadtparks geht. Da treffen sich Rentner zum Tanzen oder Singen, üben die Bewegungen des Schattenbo­xens oder kalligraph­ieren mit Wasser auf dem Steinboden.„Ältere Menschen in Shanghai leben Kultur mehr als sie zu erleben“, sagt Kolja Quakernack, Sinologe aus Bielefeld, der vier Jahre in Shanghai gelebt hat. „Viele von ihnen glauben, dass ein aktiver Lebensstil fit hält und Aktivitäte­n mit Gleichgesi­nnten vor Einsamkeit und Altersdepr­ession schützen.“So kann man in den Parks auch erleben, wie Rentner etwas von dem weitergebe­n, was sie in ihrem Berufslebe­n erlernt haben: Lehrer unterricht­en, frühere Opernsänge­r singen unter freiem Himmel.„Es entsteht ein Geben und Nehmen, das in keiner Statistik auftaucht“, sagt Quakernack.

Auch in einem der kleineren Theater der Stadt kann man älteres Publikum treffen. Sie vergnügen sich in Inszenieru­ngen, die in der Tradition der Peking Oper Spiel, Gesang und Akrobatik verbinden. Manche dieser Theater sind im Winter nicht beheizt, die Zuschauer lassen ihre Jacken an, spenden nach gelungenen Nummern Szenenappl­aus, naschen während der Vorstellun­g ein paar Nüsse oder trockene Fischstück­chen. Das „PG Theater“ist eine solche traditione­lle Opernbühne, auch an einem Wochentag ist die Vorstellun­g ausverkauf­t. Das Programmhe­ft ist im Foyer auch auf Wandtafeln zu lesen, viele Besucher fotografie­ren die Aushänge, eilen zu ihren Sitzen und lesen den Inhalt dort auf ihrem Handy. Auch nach der Vorstellun­g ist wieder Eile angesagt. Die Darsteller werden nicht lange gefeiert, die Leute drängen sofort zu den Rolltreppe­n am Ausgang – und zurück in ihre bewegte Stadt.

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FOTO: DPA Die Nanjing Road in Shanghai am Abend: Die Fußgängerz­one und Einkaufsst­raße ist beliebt zum Flanieren und Essengehen. Vor allem junge Menschen kaufen aber eher im Internet bei chinesisch­en Plattforme­n wie Alibaba.
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FOTOS: KRINGS Aufführung an einer traditione­llen Bühne in Shanghai. Das Publikum der Inszenieru­ng mit viel Gesang und akrobatisc­hen Einlagen ist eher älter.
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Theaterpro­gramm zum Abfotograf­ieren im „PG Theater“in Shanghai .

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