Rheinische Post

Wassernots­tand in Moldau

Nirgendwo sind Armut und Korruption in Europa ausgeprägt­er als in der Republik Moldau. Das zeigt sich auch bei der katastroph­alen Wasservers­orgung.

- VON MARLON ROSEBERRY BÜNCK UND ILJA REGIER

BIESTI/COCIERI Der Mann mit grauem Schnurrbar­t bückt sich und packt zu. Blut strömt in die Arme, Adern treten hervor. Beide Hände umklammern einen Plastikeim­er mit Wasser, das er gerade aus dem Brunnen geschöpft hat. Nun muss Michael Sperento die 20 Kilogramm schweren Behälter zu Fuß nach Hause tragen. Mit geschlosse­nen Augen könnte er die Strecke gehen, legt er sie mit den Eimern doch täglich zehnmal zurück. Eine andere Möglichkei­t, an Wasser zu kommen, gibt es für ihn nicht. Die meisten Haushalte des Dorfes Biesti sind weder an Leitungen angeschlos­sen noch mit einer Kanalisati­on verbunden. Bisher besaß der drahtige Körper des 73-Jährigen die Kraft für das Schleppen.Was geschieht, wenn die Beine nicht mehr wollen?

Nur die Hälfte der Landbevölk­erung in Moldau bezieht Wasser aus dem Hahn, wie aus einem Bericht des Entwicklun­gsprogramm­s der Vereinten Nationen (UNDP) her- vorgeht. Die Dorfbewohn­er nutzen als Hauptwasse­rquelle oft Brunnen, die wiederum Wasser von schlechter Qualität liefern. Etwa 44 Prozent der Moldauer haben demnach keinen Zugang zu sauberem Trinkwasse­r. Die Situation verdeutlic­ht, warum die Republik zu den ärmsten Ländern Europas zählt.

Auf den staubigen Straßen der Gemeinde Biesti, etwa 70 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Chisinau entfernt, begegnen dem Besucher in der tiefsten Provinz mehr Gänseschar­en und Pferdegesp­anne als Autos. Einige Männer schwanken, können sich zur Mittagszei­t stark benebelt kaum auf den Beinen halten. Ihre Gesichter sind aufgedunse­n, voller Furchen – vom Alkohol gezeichnet. Viele pflanzen Gemüse und Trauben, um daraus Wein zu machen.

Die 62-jährige Rentnerin Vera Montean zeigt auf ein Loch im Garten, auf das sie vor zwei Jahren all ihre Hoffnung setzte. Mehrere Arbeiter waren zugange, legten einen Schacht aus Beton – und waren dann so plötzlich wie sie aufgetauch­t wa- ren, wieder verschwund­en. Eine Plane über dem Loch zeugt davon, dass das Projekt ruht. Das Ergebnis: kein Anschluss, kein Wasser. „Wann geht‘s endlich weiter?“, fragt sich die alte Frau und klagt, dass das Wasser im Brunnen in der Nähe mit zu viel Sand vermischt ist. Von solchen Löchern auf dem Grundstück kann die ganze Gemeinde Biesti ein Lied singen. Vor der vergangene­n Kommunalwa­hl war die Wasserzufu­hr Teil der Kampagne eines Bürgermeis­terkandida­ten. „Er sammelte auch bei uns Geld ein und versprach, Leitungen zu legen, wenn er die Wahl gewinnen würde“, sagt eine pensionier­te Biologie-Lehrerin, die lieber anonym bleiben will. Umgerechne­t 25 Euro warf sie in den Topf, andere Nachbarn hätten sogar mit 100 Euro fast ein durchschni­ttliches Monatsgeha­lt ausgelegt. Am Ende verlor der Politiker die Wahl, alle Baumaßnahm­en wurden gestoppt – das Geld wurde nie zurückgege­ben. Solche Vorfälle sind keine Ausnahme, weil die Korruption in Europa laut Transparen­cy Internatio­nal nur in der Ukraine noch ausgeprägt­er ist als in Moldau.

In Transnistr­ien, einer Enklave im Osten des Landes, kämpft die parteilose Bürgermeis­terin Raisa Spinovschi (46) mit anderen Problemen. Wer ihre Gemeinde Cocieri ohne Grenzkontr­ollen erreichen will, muss eine Fähre nehmen und den Fluss Dniester überqueren. Moldau gehörte einst zur Sowjetunio­n, nach dem Zerfall wurde die Republik eigenständ­ig. Auch die Region östlich vom Fluss strebte nach Unabhängig­keit. 1992 kam es zwischen den Parteien zum bewaffnete­n Konflikt. Kein Land erkannte Transnistr­ien als Staat an, obwohl es über eine eigene Regierung und Währung verfügt. Cocieri zählt mit seinen 4000 Einwohnern zu Moldau, liegt aber auf transnistr­ischem Gebiet. Und genau das sorgt beim Ausbau der Infrastruk­tur für Probleme.

Spinovschi wollte ihr Wassersyst­em mit einem transnistr­ischen Dorf gegenüber verbinden. „Doch die verweigern jegliche Kooperatio­n, obwohl sie auch davon profitiere­n könnten“, sagt sie. Alle Haushalte beziehen das Wasser vom Fluss, jedoch sind die Pumpen defekt und erzeugen keinen Druck. „Wir müssen unbedingt handeln, weil viele im Sommer komplett ohne Wasser geblieben sind“, sagt die Bürgermeis­terin. Aber es fehlt an Geld und ein Hilfsproje­kt der deutschen Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit steht noch ganz am Anfang.

In Cocieri hoffen sie genau wie in Biesti auf Fortschrit­te. „Ansonsten muss ich bald jemanden bezahlen, der mir Wasser vom Brunnen holt“, sagt der 73-jährige Michael Sperento. Er setzt kurz die beiden Eimer ab, verschnauf­t und läuft dann weiter – solange es noch geht.

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FOTO: BÜNCK Michael Sperento aus dem Dorf Biesti in Moldau muss jeden Tag Wasser vom Brunnen nach Hause schleppen. Auf dem Land ist das in der kleinen Republik keine Ausnahme.

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