Als der Pop politisch wurde
Im Jahr 2018 passierte musikalisch so einiges. Und nicht wenig davon hatte mit Politik zu tun.
Du weißt, dass du es mit einem besonderen Musikjahr zu tun hast, wenn einer der relevantesten Sätze darüber von Mark Forster kommt. In einem Interview sagt er: „Man kann nicht mehr gänzlich unpolitisch als Künstler sein.“Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Helene Fischer, die bisher nicht unbedingt mit Standpunkten auffiel, spricht sich in einem bemerkenswerten Facebook-Statement für Zusammenhalt und #wirsindmehr aus. In Österreich stellt sich das Austropop-Nationalheiligtum Wolfgang Ambros gegen die rechtsnationale FPÖ. Im amerikanischen Wahlkampf ergreift die bis dato strikt unpolitische Taylor Swift offensiv Partei gegen Trump. Und dem Multitalent Donald Glover alias Childish Gambino gelingt im außergewöhnlichen Video zu „This Is America“ein ebenso wütender wie kunstfertiger Kommentar zum Rassismus.
2018 ist das Jahr, in dem sich der marginalste aller Musikpreise abschafft. Und das kommt so: Obwohl Farid Bang und Kollegah das Elend von KZ-Häftlingen für Punchlines benutzen, erhalten sie dafür den Echo. Der einzige, der während der Verleihung Eier aus Stahl beweist und seine Stimme dagegen erhebt, ist Campino. Es folgen Diskussionen über Meinungsfreiheit, Westernhagen gibt empört seine sieben Preise zurück, die Rapper verlieren den Plattenvertrag, fahren nach Auschwitz, kehren geläutert zurück und machen bald darauf wieder antisemitische Äußerungen. Da ist der Echo längst schon Geschichte.
Auch beim nächsten Großereignis steht Campino im Mittelpunkt: Nach den Ausschreitungen in Chemnitz zeigen Die Toten Hosen zusammen mit Casper, Marteria Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet (FSF) der Neuen Rechten den Mittelfinger. Überhaupt werden FSF zum Symbol eines veränderten politischen Klimas. So wird ihr geplanter Auftritt im Dessauer Bauhaus aus Angst vor rechten Übergriffen abgesagt, Konzerte und Vorführungen ihres Dokumentarfilms werden mit Bomben bedroht.
Ansonsten konservieren die Konsensgenres Gansterrap, Schlager und Menschen-Leben-TanzenWelt-Pop ihren Status. Beinahe im Wochentakt erobert der dünnhäutige Capital Bra mit Stücken wie „Neymar“oder „Roli Glitzer Glitzer“den Spitzenplatz der Charts. Als die Rapper Bonez MC und RAF Camora den Nachfolger ihres Kollaboalbums „Palmen aus Plastik“veröffentlichen, belegen die Songs daraus acht Plätze der deutschen Top Ten. Klassischer Satz dazu: Das schafften nicht mal die Beatles. In die un- rühmliche Diskussion um Mesut Özil mischt sich Eko Fresh mit dem schlauen „Aber“ein, in dem er Wutdeutsche und Wuttürken aufeinanderprallen lässt.
Und weltweit? Paul McCartney fährt zur Promo seines neuen Albums Carpool Karaoke, besucht dafür die Penny Lane und sein Elternhaus, wo ihm sein Vater einst riet, anstatt „yeah, yeah, yeah“„yes, yes, yes“zu singen. Kein Jahr ohne KanyeWest. Sein reguläres Album hinterlässt keine Spuren, wohingegen sein Mixtape mit Kid Cudi zeigt, dass in dem Mann mit der roten MAGA-Mütze immer noch ein richtig guter Musiker steckt. Das hält Leonard Cohen nicht von einem posthumen Diss ab. Sein aus dem Nachlass veröffentlichtes Gedicht „Kanye West Is Not Picasso“ist postmodern, fies – und sehr witzig. Ansonsten hat erfolgreicher Rap 2018 schlechte Zähne, buntes Haar und viele Tattoos im Gesicht. Deren Leitfiguren sind der 18-jährige Lil Pump, der über die„Gucci Gang“philosophiert und der irre 6ix9ine mit seinen Betrachtungen über„Fefe“,„Keke“und „Bebe“. Kendrick Lamar erhält als erster Rapper überhaupt den renommierten Pulitzer-Preis.
Spektakuläre Liaisons gehen ein: Grimes & Elon Musk, Justin Bieber & Hailey Baldwin. Die Exzentriker von KLF bauen eine Pyramide, die aus Steinen mit der Asche von Toten besteht. Amy Whinehouse soll als Hologramm touren, was ABBA ebenfalls für 2019 planen, zuzüg- lich zwei neuer Songs. Cher covert ABBA, ein ABBA-Film kommt erfolgreich in die Kinos. Die Spice Girls kehren zurück, Nirvana treten in Originalbesetzung auf, Kurt Cobains Stelle nehmen verschiedene MusikerInnen ein. Endgültig zum weltweiten Phänomen wird koreanische Popmusik. In Amerika schafft es die K-Pop-Boyband BTS auf Platz 1. „Havana“von Camila Cabello sahnt eine Menge Preise ab, und mit „Bella Ciao“wird ein Partisanen-Lied aus dem Zweiten Weltkrieg zum Sommerhit.
Musik bestimmt auch das Filmjahr. Das Remake von „A Star ist Born“mit Lady Gaga begeistert ebenso wie Natalie Portman als Gothicversion von Britney Spears in „Vox Lux“. Die Queen-Biografie „Bohemian Rhapsody“fasziniert alle Generationen. Und mit Elton Johns„Rocket Man“steht die nächste Verfilmung eines Superstarlebens schon in den Startlöchern.
Die EBM-Szene verliert einen ihrer Protagonisten: Avicii. Die kurz vor seinem Tod veröffentlichte Dokumentation zeigt den schwedischen DJ als einen Getriebenen, der an der Rastlosigkeit des Geschäfts zugrunde geht. Mit Charles Aznavour verstummt einer der ganz Großen des Chansons, mit Aretha Franklin eine der allergrößten Soulstimmen. Und zum Schluss noch mal Mark Forster. Nach zwölf Jahren wechselt der DFB endlich die offizielle Torhymne. Forsters „Chöre“ersetzt nun Oliver Pochers „Schwarz auf Weiß“.
Es ist das Jahr, in dem sich der Echo, der marginalste aller Musikpreise, abschafft