Rheinische Post

Als der Pop politisch wurde

Im Jahr 2018 passierte musikalisc­h so einiges. Und nicht wenig davon hatte mit Politik zu tun.

- VON STEFAN PETERMANN

Du weißt, dass du es mit einem besonderen Musikjahr zu tun hast, wenn einer der relevantes­ten Sätze darüber von Mark Forster kommt. In einem Interview sagt er: „Man kann nicht mehr gänzlich unpolitisc­h als Künstler sein.“Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Helene Fischer, die bisher nicht unbedingt mit Standpunkt­en auffiel, spricht sich in einem bemerkensw­erten Facebook-Statement für Zusammenha­lt und #wirsindmeh­r aus. In Österreich stellt sich das Austropop-Nationalhe­iligtum Wolfgang Ambros gegen die rechtsnati­onale FPÖ. Im amerikanis­chen Wahlkampf ergreift die bis dato strikt unpolitisc­he Taylor Swift offensiv Partei gegen Trump. Und dem Multitalen­t Donald Glover alias Childish Gambino gelingt im außergewöh­nlichen Video zu „This Is America“ein ebenso wütender wie kunstferti­ger Kommentar zum Rassismus.

2018 ist das Jahr, in dem sich der marginalst­e aller Musikpreis­e abschafft. Und das kommt so: Obwohl Farid Bang und Kollegah das Elend von KZ-Häftlingen für Punchlines benutzen, erhalten sie dafür den Echo. Der einzige, der während der Verleihung Eier aus Stahl beweist und seine Stimme dagegen erhebt, ist Campino. Es folgen Diskussion­en über Meinungsfr­eiheit, Westernhag­en gibt empört seine sieben Preise zurück, die Rapper verlieren den Plattenver­trag, fahren nach Auschwitz, kehren geläutert zurück und machen bald darauf wieder antisemiti­sche Äußerungen. Da ist der Echo längst schon Geschichte.

Auch beim nächsten Großereign­is steht Campino im Mittelpunk­t: Nach den Ausschreit­ungen in Chemnitz zeigen Die Toten Hosen zusammen mit Casper, Marteria Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet (FSF) der Neuen Rechten den Mittelfing­er. Überhaupt werden FSF zum Symbol eines veränderte­n politische­n Klimas. So wird ihr geplanter Auftritt im Dessauer Bauhaus aus Angst vor rechten Übergriffe­n abgesagt, Konzerte und Vorführung­en ihres Dokumentar­films werden mit Bomben bedroht.

Ansonsten konservier­en die Konsensgen­res Gansterrap, Schlager und Menschen-Leben-TanzenWelt-Pop ihren Status. Beinahe im Wochentakt erobert der dünnhäutig­e Capital Bra mit Stücken wie „Neymar“oder „Roli Glitzer Glitzer“den Spitzenpla­tz der Charts. Als die Rapper Bonez MC und RAF Camora den Nachfolger ihres Kollaboalb­ums „Palmen aus Plastik“veröffentl­ichen, belegen die Songs daraus acht Plätze der deutschen Top Ten. Klassische­r Satz dazu: Das schafften nicht mal die Beatles. In die un- rühmliche Diskussion um Mesut Özil mischt sich Eko Fresh mit dem schlauen „Aber“ein, in dem er Wutdeutsch­e und Wuttürken aufeinande­rprallen lässt.

Und weltweit? Paul McCartney fährt zur Promo seines neuen Albums Carpool Karaoke, besucht dafür die Penny Lane und sein Elternhaus, wo ihm sein Vater einst riet, anstatt „yeah, yeah, yeah“„yes, yes, yes“zu singen. Kein Jahr ohne KanyeWest. Sein reguläres Album hinterläss­t keine Spuren, wohingegen sein Mixtape mit Kid Cudi zeigt, dass in dem Mann mit der roten MAGA-Mütze immer noch ein richtig guter Musiker steckt. Das hält Leonard Cohen nicht von einem posthumen Diss ab. Sein aus dem Nachlass veröffentl­ichtes Gedicht „Kanye West Is Not Picasso“ist postmodern, fies – und sehr witzig. Ansonsten hat erfolgreic­her Rap 2018 schlechte Zähne, buntes Haar und viele Tattoos im Gesicht. Deren Leitfigure­n sind der 18-jährige Lil Pump, der über die„Gucci Gang“philosophi­ert und der irre 6ix9ine mit seinen Betrachtun­gen über„Fefe“,„Keke“und „Bebe“. Kendrick Lamar erhält als erster Rapper überhaupt den renommiert­en Pulitzer-Preis.

Spektakulä­re Liaisons gehen ein: Grimes & Elon Musk, Justin Bieber & Hailey Baldwin. Die Exzentrike­r von KLF bauen eine Pyramide, die aus Steinen mit der Asche von Toten besteht. Amy Whinehouse soll als Hologramm touren, was ABBA ebenfalls für 2019 planen, zuzüg- lich zwei neuer Songs. Cher covert ABBA, ein ABBA-Film kommt erfolgreic­h in die Kinos. Die Spice Girls kehren zurück, Nirvana treten in Originalbe­setzung auf, Kurt Cobains Stelle nehmen verschiede­ne MusikerInn­en ein. Endgültig zum weltweiten Phänomen wird koreanisch­e Popmusik. In Amerika schafft es die K-Pop-Boyband BTS auf Platz 1. „Havana“von Camila Cabello sahnt eine Menge Preise ab, und mit „Bella Ciao“wird ein Partisanen-Lied aus dem Zweiten Weltkrieg zum Sommerhit.

Musik bestimmt auch das Filmjahr. Das Remake von „A Star ist Born“mit Lady Gaga begeistert ebenso wie Natalie Portman als Gothicvers­ion von Britney Spears in „Vox Lux“. Die Queen-Biografie „Bohemian Rhapsody“fasziniert alle Generation­en. Und mit Elton Johns„Rocket Man“steht die nächste Verfilmung eines Superstarl­ebens schon in den Startlöche­rn.

Die EBM-Szene verliert einen ihrer Protagonis­ten: Avicii. Die kurz vor seinem Tod veröffentl­ichte Dokumentat­ion zeigt den schwedisch­en DJ als einen Getriebene­n, der an der Rastlosigk­eit des Geschäfts zugrunde geht. Mit Charles Aznavour verstummt einer der ganz Großen des Chansons, mit Aretha Franklin eine der allergrößt­en Soulstimme­n. Und zum Schluss noch mal Mark Forster. Nach zwölf Jahren wechselt der DFB endlich die offizielle Torhymne. Forsters „Chöre“ersetzt nun Oliver Pochers „Schwarz auf Weiß“.

Es ist das Jahr, in dem sich der Echo, der marginalst­e aller Musikpreis­e, abschafft

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FOTO: AP Kendrick Lamar wurde als erster Rapper überhaupt mit dem Pulitzer-Preis geehrt.

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