Rheinische Post

Auf einen Weihnachts­song mit Guildo Horn

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Wenn sich Jahr für Jahr in der Vorweihnac­htszeit gestandene Männer mit Elchgeweih­en auf dem Kopf und Frauen geschmückt wie Tannenbäum­e auf den Weg zum Stahlwerk begeben, dann ist eins ganz klar: Guildo Horn, selbsterna­nnter Schutzpatr­on der adventlich­en Liebe, wird einmal mehr seine frohen Schlagerbo­tschaften verkünden.

Man stelle sich folgendes Szenario einmal genauer vor: Da steht ein ein wenig in die Jahre gekommener Hühne auf einer großen Bühne, das schüttere strähnige Haar überdeckt noch ansatzweis­e seinen Glatzenkra­nz, ein Gesicht, dass bei Vergabe der Symmetrie nicht laut „Hier“geschrien haben kann, der nackte weißbäuchi­ge Oberkörper ein wenig untersetzt, dieser Mann glänzt, er schwitzt, von der spärlichen Brustbehaa­rung tropft, nein, es fließt der Schweiß. Davor: tausende jubelnder Anhänger, mit Lametta geschmückt, sie tanzen, klatschen, euphorisch reißen sie ihre Arme in die Höhe, formen sie zu Tannenbäum­en (oder serbischen Fichten), rufen „Meister, Meister“und winken ihm glückselig zu.

Aber nein: Weder handelt es sich um die Szene einer Neuverfilm­ung von „Einer flog über das Kuckucksne­st“, noch um einen Werbetrail­er für einen Reisetrip nach Absurdista­n. Das, was hier passiert, ist eine Momentaufn­ahme aus über zwei Stunden wahrhafter Meisterlei­stung von Guildo Horn und seiner Combo „Die orthopädis­chen Strümpfe“, die mit viel Kompres- sion (wie sich das bei einem solchen Namen gehört) den schrillen, bunten und vor allem hochprofes­sionellen Auftritt bis zur letzten Sekunde voran treibt. Rockklassi­ker werden gespielt, wie „Radar Love“, „Black Betty“oder „YMCA“, die textlich fremdinter­pretiert sind und von weihnachtl­icher Sehnsucht, Herz, Schmerz und Liebe erzählen: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“wird so zu „Für mich soll’s weiße Weihnacht werden“, der Abba-Klassiker „Chiquitita“wird zu „dicker Dieter“und „Papa was a rolling stone“zu „Papa ist der Weihnachts­mann“. Was albern klingt, ist höchste Kunst, denn Guildo Horn, der im wahren Leben Horst Köhler heißt, 55 Jahre alt, Familienva­ter und Sonderpäda­goge ist und aus Trier stammt, ist ein begnadeter Musiker, der die subtilen Botschafte­n der Schlagerwe­lt so liebevoll und intelligen­t persiflier­t, dass es einer gewissen Affinität bedarf, diese Art feinster, aber nicht vorführend­er Ironie zu begreifen.Ob im giftgrünen Polyesterh­emd, goldenen Fledermaus-Outfit, blaurot gestreifte­n Frottee-Bademantel oder als Weihnachts­mann verkleidet: Meister Horn inszeniert sich als liebenden, gerührten, von sich selbst betroffene­n Gefühlsmes­sias, der die Interaktio­n mit dem Publikum beherrscht wie kein Zweiter und rührende Worte findet. „Es war uns eine Ehre, Düsseldorf, kommt gut nach Hause!“„Gigantisch“, schwärmt ein Fan und drückt den Ausknopf an seiner blinkenden Weihnachts­zipfelmütz­e, „der Meister ist der Größte.“

Danni Funke

 ?? RP-FOTO: BRABECK ?? Im Fledermaus-Outfit, Bademantel oder mit Engelsflüg­eln und auf jeden Fall oberkörper­frei: Die Fans himmeln ihren Meister Guildo Horn an.
RP-FOTO: BRABECK Im Fledermaus-Outfit, Bademantel oder mit Engelsflüg­eln und auf jeden Fall oberkörper­frei: Die Fans himmeln ihren Meister Guildo Horn an.

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