Einfach mal Fremde einladen
Das Forum Freies Theater ist mit dem Projekt „Inviting Strangers“unterwegs: Performances in den Wohnzimmern der Bürger.
Natürlich sind wir alle auch ein bisschen aufgeregt an diesem Abend. Wir, das sind diesmal nicht die Journalisten, die ins Theater gehen. Wir sind diesmal die Gastgeber, also irgendwie das Theater selbst, und wissen noch nicht so genau, was uns und ein paar unserer Freunde daheim erwarten wird.
Die Sache ist die: Unter der Regie von Ingo Toben ist das Forum Freies Theater (FFT) mit einem Projekt in der Stadt unterwegs. „Inviting Strangers“heißt es, und der Name ist Programm: Fremde einladen bedeutet, dass wir nicht wissen, wer kommt und was aufgeführt wird, was es überhaupt zu hören und zu erleben gibt. Für diesen Abend mit einer guten Portion Ungewissheit muss man sich bewerben; wer dann ein bisschen Glück hat, bekommt den Zuschlag für einen Auftritt, das heißt für eine Art Theaterperformance frei Haus. Eine „Living Room Performance“heißt das in der Projektsprache – einen Auftritt mitten im Wohnzimmer.
Benötigt werde ein Tisch, hieß es im ersten Vorgespräch, aber besser noch sei eine halbwegs große freie Bodenfläche sowie eine Steckdose. Ist alles vorhanden. Zwei Tage vorher gibt es dann noch einmal so etwas wie einen Kontrollanruf, an dem nicht nur an den Termin erinnert wird, sondern auch an die Steckdose, sicher ist sicher. Ja, doch; und die zehn Freunde sind auch längst eingeladen und mindestens so neugierig wie wir. Die Steckdose hinter der Coach wurde vorsorglich abgestaubt.
Kurz vor 19 Uhr schellt es dann, als sei das so etwas wie der erste Gong, um die Plätze einzunehmen. Doch bis dahin dauert es noch etwas. Denn Sara, 17 Jahre alt und aus Albanien, der gleichaltrige Mohammad aus Syrien und Sha (15 Jahre, aus dem Irak stammend), inspizieren erst einmal die größeren Räume der Wohnung, entscheiden sich dann aber – in kurzer Absprache mit Produktionsleiterin Kamila Kurczewski – doch fürs Wohn- zimmer.
Der Aufbau beginnt. Eigentlich ist es mehr eine technische Friemelei. Allerlei skurrile Kleingeräte werden in Stellung gebracht und miteinander verdrahtet. Schrauben und Nägel kommen auf ein kleines Trapez, ein hochkant hängender Spachtel wird hinter einen Magneten gespannt und ein Haufen undefinierbarer Knubbel an einer Stange befestigt, von denen wir erst später erfahren werden, dass es Ziegenfüße aus Hamburg sind. Wie auch immer: Dass alles lässt sich über eine kleine Steuereinheit digital in Bewegung setzen. Eine Geräuschkulisse erfüllt damit den Raum, Rhythmen entstehen, die die Erzählungen auf sehr eigene Art begleiten, verstärken, untermalen und ankündigen.
Diese Sound-Dramaturgie wird Teil all der Lebensgeschichten sein, die Sara uns aus Albanien erzählt, Mohammad aus Syrien und Sha aus seiner Heimat Irak. Nicht mitmachen konnte an diesem Abend Abdoulaye (21) aus Burkina Faso. Sein Text – gesprochen von Hayat – erklingt aus einem winzigen Lautsprecher inmitten der akustischen Basteleien. Auch das hat seine besondere Wirkung.
Es sind Geschichten von Flucht und Migration, von der Fremde in Deutschland, die vielleicht mal eine neue Heimat werden könnte, und der Heimat, die allmählich beginnt, weiter und weiter in die Ferne zu rücken. Natürlich sind die Texte vorbereitet und inzwischen eingeübt. Doch es bleiben Erzählungen, weil sie erlebt wurden, weil sie die Gegenwart junger Menschen beschreiben und vorsichtig in die Zukunft schielen. Die Geschichten leben, weil sie lange noch nicht abgeschlossen sind.
Wichtig erscheint uns Zuhörern, dass die jungen Leute zwar viel von sich berichten, aber längst nicht alles. Niemand muss sich also wie ein Voyeur vorkommen. Bei all den unterschiedlichen Lebensläufen und -erfahrungen, sind es die Fragen ans Leben, die alle miteinander zu verbinden scheint. Die Inszenierung hilft dabei ein wenig: Die Vorhänge des Zimmers sind zugezogen, wir sitzen alle ringsum im dunklen Raum, der in der Mitte nur von einer quadratischen, flachen Lampe auf dem Boden beleuchtet wird. Wir sitzen wie um ein Lagerfeuer, das der Nacht etwas Licht und Hoffnung auf den neuen Tag schenkt. Die Stadt da draußen und ihre Geräusche sind jetzt sehr fern. Später wird zufälligerweise ein Einsatzwagen der Polizei direkt vor dem Fens-
ter des Wohnzimmers halten und ein paar Minuten mit seinem Blaulicht das Zimmer auf seine Art illuminieren. So spät noch im Dienst. Mohammad lacht dazu. Schließlich ist sein Berufsziel genau das: später einmal als Polizeibeamter zu arbeiten. Sara hat ihre Zukunft auch schon ausgemalt. Studieren möchte sie einmal in Deutschland. Und wie sie das allen erzählt, mit ihrer ruhigen und selbstgewissen Stimme, ist man überzeugt, dass sie das auch schaffen wird.
Das Lagerfeuer ist dann irgendwann erloschen, der Bedarf am Sprechen längst noch nicht. Ein Geschichtenabend daheim. Später ziehen die vormals Fremden weiter. Zu anderen Menschen in der Stadt, neugierigen Zuhörern. Um auch dort ihre Geschichten zu erzählen – in Wohnzimmern mit Steckdosen bei Fremden.