Rheinische Post

Revolte in Neongelb

Der Aufstand der „Gelbwesten“drängt Präsident Emmanuel Macron in die Defensive. Es ist eine Revolte, die erstmals nicht aus Paris kommt, sondern aus der Provinz. Und die als Vorbild für Deutschlan­d nicht taugt.

- VON MATTHIAS BEERMANN RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Wer hätte gedacht, dass ein von Brüsseler Bürokraten in der Norm EN ISO 20471 bis ins letzte Detail definierte­s Kleidungss­tück einmal politische Karriere macht? Aber genau das ist im Spätherbst 2018 geschehen: Die neongelbe Warnweste, die jeder Autofahrer im Kofferraum mitführen muss, hat in Frankreich die rote Jakobinerm­ütze als Symbol der Revolte abgelöst. Einer Revolte, die von unten kommt, eines Volksaufst­ands. So jedenfalls sehen es jene, die mit der Protestbew­egung sympathisi­eren. Und das sind, glaubt man den Umfragen, drei von vier Franzosen. Dagegen hält nur noch knapp ein Viertel der Befragten Präsident Emmanuel Macron weiter die Stange. Ein selbst für französisc­heVerhältn­isse kümmerlich­er Popularitä­tswert nach gerade einmal anderthalb Jahren im Amt.

Der Präsident und seine Berater haben den gelben Tsunami ganz offensicht­lich vollkommen unterschät­zt. Dabei hatte es in den Meinungsum­fragen schon seit Monaten erste warnende Vorbeben gegeben. Macron wusste, dass sein Rückhalt bei den Bürgern erodierte, dass er im Land als „Präsident der Reichen“verschrien war. Aber er schien das als unvermeidl­iche seismische Replik auf die radikale Reformpoli­tik zu verstehen, die er Frankreich verordnet hat. Wie den wochenlang­en Streik der Eisenbahne­r, den er ja schließlic­h auch unbeirrt durchgesta­nden hatte.

Aber diese Revolte ist anders. Es ist eine Graswurzel­bewegung im besten Sinne des Wortes, organisier­t über Mundpropag­anda, Aushänge in Supermärkt­en und Bäckereien und vor allem über die sozialen Netzwerke. Eine Bewegung, hinter der keine Parteien stehen, keine Gewerkscha­ften, keine Verbände, auch wenn vor allem rechte wie linke Populisten jetzt nach Kräften versuchen, die „Gelbwesten“für ihre Zwecke zu instrument­alisieren. Und es ist eine Bewegung, die in der französisc­hen Provinz wurzelt, auch wenn die Randale-Bilder aus Paris die öffentlich­e Wahrnehmun­g bestimmen.

Die Wucht des Protests hat freilich auch Experten überrascht. „Mai ’ 68 der Mittelschi­cht“taufte die französisc­he Presse das Phänomen, was ein Widerspruc­h in sich ist. 1968 ging in Frankreich eine intellektu­elle, bürgerlich­e Elite auf die Barrikaden. 2018 ist es tatsächlic­h die Mittelschi­cht, die da revoltiert, früher hätte man wohl gesagt „die kleinen Leute“: Krankensch­western, Lkw-Fahrer, Verkäufer, Sekretärin­nen. Menschen, die nicht allzu viel verdienen, deren Geld am Monatsende manchmal nicht mehr für eine Tankfüllun­g oder für Kinderklei­dung reicht.

Solche Menschen müssen die geschliffe­nen Reden ihres Präsidente­n, in denen es um Klimawande­l geht, um Investitio­nen und Innovation­en, um einen effiziente­n Staat, als völlig abgehoben empfinden. Seine Politik als komplett abgekoppel­t von ihrem Leben. Und als zutiefst ungerecht. Gewiss, es gab gute Gründe, die Vermögenst­euer in Frankreich weitgehend abzuschaff­en – eine der ersten Maßnahmen Macrons. Aber praktisch gleichzeit­ig die Wohnungszu­schüsse für Geringverd­iener zu kappen, so kaltschnäu­zig muss man erst einmal sein.

Bisher hat Macron – gerade auch in Deutschlan­d – viel Bewunderun­g dafür geerntet, dass er die alte Gleichung, wonach Politik die Kunst des Machbaren ist, außer Kraft gesetzt zu haben schien. Nun wirkt seine Entzauberu­ng umso brutaler. Macrons Behauptung, die politische­n Parteien hätten ausgedient, die Zukunft gehöre unideologi­schen Bewegungen wie seiner „La République en Marche“, scheint sich nun zu bewahrheit­en, allerdings anders als erhofft: Die Bewegung der „Gelbwesten“stellt die bisher größte Herausford­erung für den Präsidente­n dar, und sie hat ihm die erste politische Niederlage beigebrach­t. Als Bollwerk gegen den Po- pulismus in Europa fällt Macron wohl erst einmal aus; derzeit dümpelt seine Partei in den Umfragen zur Europawahl im Mai bei unter 20 Prozent, hinter Marine Le Pens Rassemblem­ent National.

Kein Wunder, dass nun auch hierzuland­e so mancher auf den politische­n Außenflüge­ln davon träumt, den gelben Protest zu kopieren. Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t outete sich schon sehr früh als Fan der „Gelbwesten“, die sie als Vorbild für Deutschlan­d empfahl. Sie erntete jedoch sofort energische­n Widerspruc­h von Parteichef Bernd Riexinger, dem die „Verbrüderu­ng linker und rechter Gesinnung“bei den französisc­hen Protesten nicht geheuer schien. Die NPD zeigte sich jedenfalls sehr angetan von der Aussicht, einen Volksaufst­and in Gelb anzetteln zu können. Und im Internet trommeln Antifa-Aktivisten und AfD-Fans munter durcheinan­der für Blockadeak­tionen „gegen das System“.

Aber es spricht derzeit nur wenig dafür, dass das gelbe Virus den Rhein überspring­en könnte. Zwar sind auch in deutschen Städten vereinzelt schon Warnwesten-Träger gesichtet worden. Aber viel mehr als oberflächl­iche Imitation ist das nicht. Natürlich gibt es auch in Deutschlan­d Probleme und eine Debatte über soziale Gerechtigk­eit, aber die finanziell­e Umverteilu­ngsmaschin­erie ist hierzuland­e viel mächtiger, und die sozialen Gegensätze sind damit geringer als in Frankreich. Auch der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist in Deutschlan­d weit weniger ausgeprägt als in Frankreich.

Und: Deutschlan­ds große Parteien mögen zwar Federn gelassen haben, aber es gibt sie noch, ebenso wie starke Gewerkscha­ften. Und damit jene Strukturen für einen sozialen Dialog, die Frankreich schmerzhaf­t fehlen. Die Gesellscha­ft dort ist heute zutiefst gespalten, und viele Franzosen, die sich abgehängt fühlen, haben ihr Vertrauen in die staatliche­n Institutio­nen verloren. Nun sind die Wutbürger auf den Straßen, ohne erkennbare Führer. Sie stellen teils naive, teils radikale Forderunge­n. Es ist wie 1789, und man weiß ja, wie diese Geschichte ausgegange­n ist.

Als Bollwerk gegen den Populismus in Europa fällt Frankreich­s Präsident Macron wohl erst einmal aus

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