Rheinische Post

May kämpft um ihr Amt

Der Streit um das Brexit-Abkommen eskaliert. Weil Theresa May die Abstimmung über den Deal auf Eis gelegt hat, wollen die Hinterbänk­ler die Premiermin­isterin stürzen. Mehrere potenziell­e Nachfolger bringen sich in Stellung.

- VON SILVIA KUSIDLO UND CHRISTOPH MEYER

LONDON (dpa) Allein gegen alle: Überrasche­nd gefasst gab sich die britische Premiermin­isterin Theresa May, als sie am Mittwoch vor ihren Regierungs­sitz Downing Street trat und ihren Widersache­rn kurz vor dem Misstrauen­svotum gegen sie die Stirn bot. Die Wahl eines neuen Parteichef­s würde „die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen und Unsicherhe­it schaffen, wenn wir sie am wenigsten brauchen können“, sagte May in ihrer Rede. Ihre Botschaft: Sie will Premiermin­isterin bleiben und den Brexit-Deal mit der EU durchziehe­n. Doch es gibt bereits potenziell­e Nachfolger.

Der zurückgetr­etene Brexit-Minister Dominic Raab sei die erste Wahl der Euroskepti­ker, berichtete die Zeitung „The Guardian“. Seine Stärke: Er hat Erfahrung mit den Verhandlun­gen zum EU-Austritt – und wesentlich mehr Bindungen nach Brüssel als sein Vorgänger David Davids. Auch er war aus Protest gegen Mays Brexit-Pläne zurückgetr­eten. Kritiker in London und der EU werfen ihm allerdings vor, kaum in Brüssel während seiner Amtszeit aufgetauch­t zu sein.

Bei den britischen Buchmacher­n wetten viele auf den schillernd­en Boris Johnson. Der 54-Jährige machte als Außenminis­ter eine unglücklic­he Figur und stapfte vor allem bei seinen Reisen außerhalb Großbritan­niens von einem Fettnäpfch­en ins nächste. Abgeschrie­ben ist er damit aber noch lange nicht: Johnson, der ebenfalls aus Protest gegen Mays Pläne zum EU-Austritt zurücktrat, hat immer noch zahlreiche Fans. Seine volksnahe Art und sein Wortwitz kommen an. Er lässt keine Gelegenhei­t aus, gegen die Premiermin­isterin zu stacheln.

Als besonders ehrgeizig gilt Innenminis­ter Sajid Javid. Der Sohn eines Busfahrers aus Pakistan war gegen den EU-Austritt, wechselte aber die Seiten. Am Mittwoch gab er sich loyal: „Die Premiermin­isterin ist die beste Person, um sicherzust­ellen, dass wir die EU am 29. März verlassen.“Das schließt aber nicht aus, dass der frühere Manager bei der Deutschen Bank nicht noch seinen Hut in den Ring wirft. Die nordirisch­e DUP, die Mays Minderheit­sregierung stützt, äußerte in einem BBC-Interview auch Sympathien für Javid. Weniger Chancen werden Außenminis­ter Jeremy Hunt ein- geräumt. Der „Guardian“attestiert ihm ebenfalls große Ambitionen, May zu beerben - und eine enorme Fähigkeit, heil aus Skandalen herauszuko­mmen. So überlebte„Teflon Jeremy“, wie er in Großbritan­nien genannt wird, unbeschade­t große Ärztestrei­ks als damaliger Gesundheit­sminister.

Auch der gut vernetzte Umweltmini­ster Michael Gove wird als möglicher Nachfolger gehandelt. Nach dem Brexit-Votum im Jahr 2016 un- terstützte er zunächst Johnson bei seiner Kandidatur für das Amt des Premiermin­isters. Im letzten Moment entschied er sich, sogar selbst den Hut in den Ring zu werfen – damals hatte es nicht geklappt.

Keine Frau im Kreise der möglichen Nachfolger? Doch. Häufiger wird Arbeitsmin­isterin AmberRudd ins Spiel gebracht. Sie hatte sich erst kürzlich für das „weiche“Norwegen-Plus-Modell als Plan B oder ein zweites Referendum ausgespro- chen. Die Historiker­in und frühere Investment­bankerin ist im Grunde ihres Herzens EU-Anhängerin.

Aber bei allen Spekulatio­nen um Mays Nachfolge: Vielleicht umschifft die Regierungs­chefin wieder die schwierige­n Klippen. In der turbulente­n Fragestund­e im Parlament am Mittwochna­chmittag lief sie auf jeden Fall zu Hochform auf und verteilte auch Spitzen. Auf den Zuschauerp­lätzen im altehrwürd­igen Unterhaus konnte man ihren

wohl wichtigste­n Berater erspähen: Ehemann Philip verfolgte den Auftritt seiner Frau genau.

Fraglich ist, ob der Posten rechtzeiti­g neu besetzt werden könnte, um den EU-Austritt wie geplant am 29. März zu vollziehen. Spekuliert wird daher, Großbritan­nien könnte eine Verlängeru­ng der Frist beantragen. Ausgelöst wurde der Putschvers­uch durch den Streit über das Brexit-Abkommen, das die Unterhändl­er Großbritan­niens und der EU in Brüssel ausgehande­lt hatten. Die Brexit-Hardliner um den erzkonserv­ativen Hinterbänk­ler Jacob Rees-Mogg fürchten, dass Großbritan­nien durch das Abkommen dauerhaft eng an die Europäisch­e Union gebunden wird.

May hatte eine für Dienstag angesetzte Abstimmung über ihren Brexit-Deal auf Eis gelegt, weil sie auf eine sichere Niederlage zusteuerte. Das brachte nun das Fass zum Überlaufen. Scharfe Kritik an der Misstrauen­sabstimmun­g kam vom CSU-Europapoli­tiker Markus Ferber. „Dass die Verantwort­lichen in Westminist­er mitten in der entscheide­nden Verhandlun­gsphase die Premiermin­isterin stürzen wollen, ist an Absurdität nicht zu überbieten“, erklärte der Europaabge­ordnete am Mittwoch. Auch ein neuer britischer Regierungs­chef werde kein besseres Brexit-Angebot von der Europäisch­en Union bekommen. „Es gibt im Prinzip zwei Optionen: einen geordneten Austritt oder Chaos“, warnte Ferber. „Die Briten müssen sich nun endlich am Riemen reißen“, mahnte er.

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FOTO: AP Bleibt Theresa May in der Downing Street No. 10, dem britischen Regierungs­sitz in London?

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