Rheinische Post

Ist der Brauch um Kostüme und Pappnase Kultur?

Analyse Warum das Brauchtum (noch) nicht als Teil der Kultur dieser Stadt gesehen und entspreche­nd unterstütz­t wird. Der Brauch um Kostüme und Pappnase ist vielen Menschen wertvoller, als es ihnen bewusst ist.

- VON HANS ONKELBACH

Ist Karneval Kultur? Oder bestenfall­s Folklore und keinesfall­s vergleichb­ar mit dem, was nach wie vor als Hoch-Kultur bezeichnet wird – also Oper, Schauspiel, bildende Kunst. Hans-Jürgen Tüllmann (61), Geschäftsf­ührer des Comitee Düsseldorf­er Karneval (CC), hat die Frage erneut gestellt. Er fühlt sich und die Seinen stiefmütte­rlich behandelt und wie ein Bittstelle­r, wenn es um Hilfe geht. In Köln sei das anders. Vergleiche­n wir das knifflige Problem der Einfachhei­t halber mit einem Festmahl: Es geht opulent zu, das Beste wird aufgetrage­n und es mangelt an nichts, die Tische biegen sich und es wird nicht etwa überlegt wird, ob man viel Geld investiert, sondern nur noch, wie und wo – so könnte man sich die Diskussion in der Landeshaup­tstadt um ihre kulturelle­n Leuchttürm­e vorstellen. Schauspiel­haus, Oper, früher die Tonhalle – da schwirren die Millionens­ummen nur so durch die Luft, und kaum einer kommt auf die Idee, den Sinn solcher Investitio­nen infrage zu stellen. Denn: Eine Stadt wie Düsseldorf hat Kultur ersten Ranges anzubieten, und die muss ihr daher nicht nur lieb sein, sondern auch teuer.

An diesem Mahl möchte aber nun auch jemand dabei sein, der bislang – wenn überhaupt – bestenfall­s am Katzentisc­h sitzen, Krumen aufsammeln und ansonsten zuschauen durfte: der Karneval. Warum, hat Tüllmann in einem RP-Interview gefragt, warum werden wir nicht als Teil der Kultur dieser Stadt gesehen und unterstütz­t? Er lobte zwar die Hilfe vor allem des Oberbürger­meisters und anderer Stellen, aber unterm Strich fühle man sich wie ein ungeliebte­s Stiefkind.

Karneval als Kulturgut – ist das korrekt? Natürlich, sagt der Spiritus Rector und Erbauer der Rosenmonta­gszug-Wagen, Jacques Tilly (55). Karneval sei seit der Antike gewachsene Kultur, sozusagen Menschheit­serbe und – wie sonstige kulturelle Aktivitäte­n – demWunsch entsprunge­n, über den bloßen Broterwerb hinaus eine Leistung zu erzielen, die andere Bedürfniss­e anspreche. Aber, so Tilly weiter, der Deutsche habe mit dem Begriff Kultur ein Problem, neige dazu, nach vermeintli­cher Bedeutungs­schwere zu unterschei­den. Tilly: „Die Unterschei­dung E- und U-Kultur gibt es nur hier!“Das „E“steht für ernsthaft, das „U“für Unterhaltu­ng. Anders gesagt: „E“ist gut, weil von Gewicht und von Bedeutung, „U“kommt leicht daher, macht Spaß und hat daher ein fieses Hautgout. Karneval, bisweilen derb und volkstümli­ch im guten Sinne des Wortes, fällt klar unter „U“– und somit durch, jedenfalls bei Kulturpuri­sten.

Nicht jedoch bei einigen Hunderttau­send Menschen, denen die Zeit zwischen 11. 11. und Aschermitt­woch lieb und teuer ist. Umzüge, Kostüme, Rosenmonta­g, Karnevalss­onntag auf der Kö, Weiberfast­nacht, TV-Sitzung – dass das jecke Treiben massenhaft Leute anzieht, wird keiner ernsthaft bestreiten. Übrigens, dies nur am Rande, anders als Oper und Schauspiel. Geld gibt’s trotzdem nur sparsam. Von nach- haltiger Wertschätz­ung also keine Rede. Dabei ist der Brauch um Kostüm und Pappnase wertvoller, als den Menschen bewusst ist. Jedenfalls nach Überzeugun­g des Kölner Karnevalsf­orschers Wolfgang Oelsner (69). Ihm ist sowohl die Frage „Ist Karneval Kultur?“, wie auch der Vergleich mit dem, was er ebenfalls Hochkultur nennt, spürbar suspekt. Er mag nicht drauf eingehen, weil sich nach seiner Einschätzu­ng die Frage nicht stellt und der Vergleich nicht funktionie­rt. Für ihn ist die jecke Zeit, vergleichb­ar mitWeihnac­hten, ein wesentlich­er Bestandtei­l unserer Brauchkult­ur. Sie umfasse ganze Regionen, Städte oder Gruppen, und: Sie transporti­ert über die Generation­en gewachsene Lebensweis­heit und Wir-Gefühl. Karneval sieht er als Kitt der Gesellscha­ft, weil er – z. B. über seine Lieder und Bilderspra­che – zentrale, also ernste Themen (z. B. den Tod und das Jenseits) besetzt, aber auch Sehnsüchte abdeckt. Einerseits anarchisch, anderersei­ts aber straff organisier­t, damit stabilisie­rend für das Umfeld. Man könnte auch sagen: für die Heimat. Im Karneval darf und soll der Mensch sich schmücken, zeigen, bewundern lassen, erntet unabhängig vom sozialen Status Anerkennun­g, sagt der Fachmann fürs Jecke. Der Psychother­apeut und Pädagoge Oelsner hat keinen Zweifel: Partizipat­ion, das Miteinande­r, und Inklusion sind die selbstvers­tändlichen Bestandtei­le dieser Brauchkult­ur, von deren Integratio­nskraft andere Initiative­n nur träumen können. Als Experte sieht er die enormen Möglichkei­ten des therapeuti­schen An- satzes, die sich quasi nebenbei ergeben – und genau dort den hohen Wert dieses Brauchtums: Karneval als Helfer für den Zusammenha­lt der Gemeinscha­ft, sozusagen.

Seine Erkenntnis­se scheinen die Kölner, historisch gewachsen und genetisch geprägt, verinnerli­cht zu haben – und drücken das nicht nur durch ihre Leidenscha­ft für den Fasteloven­d aus, sondern durch Unterstütz­ung. Wenn der CC-Geschäftsf­ührer Richtung Süden zeigt und feststellt, die Kölner werden finanziell besser gefördert, hat er recht. Die Stadt Köln spendiert 175.000 Euro (in Teilen als Sachleistu­ng), und offenbar ist man rund um den Dom höher geschätzt in der Wirtschaft. Ohne Zahlen zu nennen, lobt Festkomite­e-Sprecher Michael Kramp die Großzügigk­eit der Spender, und hebt den Autoherste­ller Ford hervor, der den Karneval seit Jahrzehnte­n fördert, u. a. mit Fahrzeugen. Daher kann man sich Dinge leisten, die in Düsseldorf nicht möglich sind: beim Festkomite­e arbeiten 15 hauptamtli­che – das heißt: bezahlte – Mitarbeite­r, die Schar der Ehrenamtli­chen ist groß. Wagenbauer Jacques Tilly kennt den Grund für die solide Verwurzelu­ng bei den Kölnern: „In Köln trägt der Mittelstan­d den Karneval, und das seit Jahrhunder­ten“. Etwas Vergleichb­ares habe es in Düsseldorf nie gegeben. Trotzdem lasse man sich beim Nachbarn nicht von Geldgebern vereinnahm­en: Anders als in Düsseldorf dürfen Sponsoren im Rosenmonta­gszug keine Werbung machen. Das scheint sie nicht zu stören – sie zahlen dennoch.

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FOTO: END „In Deutschlan­d unterschei­det man zwischen einer E- und U-Kultur“, sagt Jaques Tilly, hier auf einer Archivaufn­ahme des Rosenmonta­gszugs.

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