Rheinische Post

Kahlo lesen und sehen

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einer lebenslang­en Schwächung des rechten Beins führte. Mit 18 Jahren wurde sie bei einem Busunglück schwer verletzt. Der Unfall, ihre körperlich­en Einschränk­ungen, daraus resultiere­nde Fehlgeburt­en und zahlreiche Operatione­n wurden zu Gegenständ­en ihrer Malerei, die oft verstörend wirkt und wenig zu tun hat mit den bunten Selbstbild­nissen, die von Kahlo ins kollektive Gedächtnis übergegang­en sind. Die deutschenW­urzeln spielten in ihren Arbeiten kaum eine Rolle, allenfalls stellte sie die europäisch­en den mexikanisc­hen Einflüssen gegenüber, die kolonialis­tischen den präkolonia­listischen. Im Gesamtwerk dominieren die Anspielung­en auf das Land ihrer Mutter.

Frida Kahlo war sich ihrer Wirkung dabei stets bewusst. Ihre Arbeiten lud sie symbolisch auf. Wiederkehr­ende Merkmale sind aztekische Halsketten, Rebozo-Schals und Tehuana-Trachten, die auch auf die matriarcha­lische Gesellscha­ftsform aus dem Isthmus von Tehuantepe­c verwiesen, einer Landenge zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik.

Ihre Aufmachung­en waren „eine Form der Selbstdars­tellung und eine Erweiterun­g ihrer Kunst“, schreibt Circe Henestrosa im jüngst auf Deutsch erschienen­en Katalog zur Londoner Ausstellun­g „Making Her Self Up“. Kahlo selbst wirke„wie ein Produkt ihrer Kunst“, staunte die „Vogue“schon 1938. Erst kürzlich untersucht­en Forscher die berühm- ten Kleider der Künstlerin und stellten fest, dass sie diese nicht nur zu Fotogelege­nheiten und Show-Zwecken, sondern auch im Alltag trug. Die Textilien wiesen Spuren und Pigmente von Farbe auf.

Heute wäre Frida Kahlo bei Instagram, sagte Kuratorin Claire Wilcox neulich der „FAZ“, was nicht ganz richtig ist, denn Frida Kahlo ist bei Instagram. 815.000 Menschen folgen dem von ihrer Familie eingericht­eten Profil, das täglich Selbstbild­nisse absetzt. Zum Vergleich: Einer der teuersten lebenden Künstler, Jeff Koons, bringt es auf 317.000 Follower.

Helga Prignitz-Poda nennt Kahlo eine „Selfie Queen“. Es sei dieser Aspekt, der sie so populär mache. „Sie stellt sich in vielen ihrer Selbstbild­nisse die Fragen:Wer bin ich, wo bin ich, und wo will ich hin – die ja im Prinzip jedem Selfie zugrunde liegen.“Man kann Kahlo auch als Galionsfig­ur einer wachsenden Social-Media-Gemeinde verstehen, die sich ganz bewusst mit Macken und Makeln zur Schau stellt und ein entspannte­s Verhältnis zum eigenen Körper propagiert.

Zugleich waren Kahlos Selbstbild­nisse immer wieder Grundlage für Nachahmung­en. Es gibt etwa eine opulente Comic-Biografie von Vanna Vinci, die Kahlos Stil bewusst aufnimmt. Und Popstar Beyoncé, eine andere Symbolfigu­r der Selbstermä­chtigung, verkleidet­e sich einmal an Halloween mit Kahlo-Kostüm: buschige Augenbraue­n, Blumen im Haar.

Hervorgeho­ben werde im Zitat oft nur der symbolisch­e Gehalt der mythischen Frida, bemängelt Kunsthisto­rikerin Oriana Baddeley. „Es mag eine inspiriere­nde Frida sein, eine kreative Frida, eine leidende Frida oder eine subversive Frida, vor allem aber ist es immer eine leicht erkennbare Frida“, so Baddeley. „Die Zeichentri­ck-Charakteri­stika der Frida-Manie geraten leicht zur Parodie und verdunkeln die Intelligen­z, die der Arbeit einer großen Künstlerin des 20. Jahrhunder­ts innewohnt.“Es bleibe wichtig, sich daran zu erinnern, „dass es Kahlo war, die zunächst Frida erschuf“.

Die Vielzitier­te hatte offenbar auch anderes im Sinn als Unsterblic­hkeit. Kurz vor ihrem Tod mit nur 47 Jahren notierte Frida Kahlo: „Freudig erwarte ich den Abgang. Und ich hoffe, nie wieder zurückzuke­hren.“

Daraus wurde nichts. Katalog Zur Ausstellun­g „Frida Kahlo: Making Her Self Up“, die 2018 in London zu sehen war, ist der lesenswert­e Katalog auch auf Deutsch erschienen: Claire Wilcox, Circe Henestrosa (Hrsg.): „Frida Kahlo. Stilikone“, Prestel-Verlag, 256 Seiten, 42 Euro.

Film Der Spielfilm „Frida“mit Selma Hayek in der Titelrolle erschien 2002. Regie führte Julie Taymor. Oscars gab es für die Musik und die Maskenbild­ner.

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