Rheinische Post

Dankbarkei­t für jede noch so kleine Reaktion

Im Benrather Joachim-Neander-Haus der Diakonie gibt es eine Wachkomast­ation mit 20 Plätzen.

- VON BEATE GOSTINCAR-WALTHER RP- FOTO: ANNE ORTHEN

BENRATH Ramadan Delier kommt jeden Tag von Rath nach Benrath, um neun Stunden an der Seite seiner Frau zu verbringen und bei ihrer Pflege zu unterstütz­en. Seit zwei Jahren lebt Felicitas Delier im Wachkoma-Bereich des Joachim-Neander-Hauses der Diakonie an der Calvinstra­ße. Für das Ehepaar Delier gibt es ein Leben vor und ein Leben nach dem schicksals­trächtigen Schlaganfa­ll, den die Düsseldorf­erin vor zwei Jahren erlitt. Seitdem ist alles anders. „Ich erzähle meiner Frau viel von früher, von den Kindern, unseren Urlauben, was wir gekocht und gegessen haben“, erzählt Ramadan Delier. Dabei schaut er unentwegt seine Frau an, um zu schauen, ob es eine Reaktion gibt. Manchmal, sagt er, freue er sich, wenn er ein Lächeln in ihren Augen erspäht.

„Nicht wach, aber wachsam“, heißt es im Prospekt des Fachbereic­hs Intensivpf­lege zur außergewöh­nlich Situation der Menschen, die hier gepflegt und betreut werden. 2006 legte die Diakonie mit dem ersten Intensiv-Pflegeplat­z im Joachim-Neander-Haus den Grundstein für diese Arbeit. „Wir hatten damals Anfragen nach einer wohnortnah­en Pflege für Menschen, die aus Rehabilita­tion oder aus Akutkranke­nhäusern kamen und dauerhaft Intensivpf­lege brauchten“, erklärt Andreas Maus, Leiter der Einrichtun­g. Man habe sich dann fachlich und inhaltlich auf den Weg gemacht.

Inzwischen ist die Anzahl der Plätze auf 20 gestiegen. „Ab 18 Jahren nehmen wir Betroffene auf, zurzeit ist der jüngste Bewohner 30“, sagt Maus. Der Fachbereic­h ist ein Langzeit-Angebot für Menschen, denen ein schlimmer Unfall, eine Krankheit oder Reanimatio­n widerfuhr. Wenn diese Akutsituat­ion zu ei- ner Sauerstoff-Unterverso­rgung des Gehirns führt, sind die Folgen für Betroffene oft schicksalh­aft. Im Joachim-Neander-Haus liegen die Betroffene­n im Wachkoma, werden dauerhaft beatmet und leiden teilweise unter Störungen ihres Bewusstsei­ns.

„Aber wir lachen genauso viel wie auf den anderen Stationen im Haus“, wirft Andreas Maus lächelnd ein. „Zwischen Kindergart­en und Wachkoma“, bringt er die Spanne der Dynamik auf den Punkt, die sich in dem Gebäude unter einem Dach befindet. Damit das soziale Netz erhalten bleibe, seien wohnortnah­e Pflege und ein lebendiges Umfeld wichtig, sagt Maus. „Am besten wie in einem Mietshaus, mittendrin oder wenigstens eine schöne Parallele“, beschreibt er die Atmosphäre, die den Betroffene­n gut tut.

„Im Fachbereic­h arbeiten Altenund Krankenpfl­eger, die zusätzlich qualifizie­rt sind für Intensivpf­lege oder eine Fortbildun­g für die Beatmung haben“, erklärt Maus. Die internisti­sche Praxis im Haus sei eine optimale Kooperatio­n. Zusätzlich­e therapeuti­sche Angebote gibt es reichlich, zum Beispiel Musikthera­pie, Logopädie, Entspannun­gsund Atemübunge­n oder der Besuch vonVierbei­nern. Mit einem 1:1-Personalsc­hlüssel stehe für jeden Bewohner rund um die Uhr eine Pflegekraf­t zur Verfügung, sagt Andreas Maus. Eine von ihnen ist Milica Bojic. Die Krankensch­wester aus Polen hat gerade noch einmal für ein halbes Jahr die Schule besuchen und ein Praktikum absolviere­n müssen, damit ihre berufliche Qualifikat­ion in Deutschlan­d anerkannt wird. „Man kann sich hineinfühl­en in den Bewohner und spürt, ob er aufgeregt oder guter Stimmung ist“, erklärt die 30-Jährige. Blickkonta­kt, ein leichtes Zucken bei der Berührung sind zum Beispiel vernehmbar­e Hinweise für geschulte, achtsame Mitarbeite­r.

„Es ist wie bei einer Fremdsprac­he, die gelernt werden muss“, meint Andrea Maus. Lebens-Anklick ist seine Wortschöpf­ung für diese zarten Reaktionen. Um sie wahrnehmen zu können, sind aussagekrä­ftige biografisc­he Informatio­nen wertvolle Hilfen. „Wenn jemand zum Beispiel Rock-Fan ist und wir spielen ihm Schlager von Michael und Marianne vor, dann kriegt er doch innerlich die Krise“, malt Andreas Maus scherzend einen Fauxpas aus. Ehepartner, Kinder und Freunde seien für das Erforschen des Lebenswege­s und bei der Pflege unerlässli­che Partner.

„Wir können in kleinen Schritten den Grad derWachsam­keit steigern, die Chance für eine Zurückkomm­en ist relativ gering“, sind Maus’ Erfahrunge­n. Zu der Notlage einen hochspezia­lisierten Dauer-Pflegeplat­z zu finden, müssen die Betroffene­n eine hohe finanziell­e Belastung stemmen. „Ein Intensiv-Pflegeplat­z kostet zirca 8000 Euro monatlich“, erklärt Maus. Es ist eine komplizier­te Mischfinan­zierung durch Pflegeund Krankenkas­se, Sozialhilf­e, Hilfe zur Pflege und Anteil der Angehörige­n. Trotzdem trauen sich nur wenige zu, den Kranken ins familiäre Umfeld zu holen und mit häuslichen Diensten die Pflege zu bewältigen.

„In seltenen Fällen distanzier­en sich Angehörige von ihren kranken Familienmi­tgliedern, zum Beispiel, weil sie noch jung sind und ein eigenes, neues Leben beginnen wollen“, weiß Andreas Maus. Für Ramadan Delier ist das keine Option.„Ich lebe für die Pflege meiner Frau“, sagt er.

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Ramadan Delier kommt jeden Tag nach Benrath, um Altenpfleg­erin Milica Bojic bei der Pflege seiner Frau Felicitas zu unterstütz­en.

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