Rheinische Post

Jecken aus dem Rheinland zeigen ihre Schätze für die fünfte Jahreszeit.

- PROTOKOLLE: MERLE SIEVERS FOTOS: ANDREAS ENDERMANN

Wer als Karnevalis­t etwas auf sich hält, bastelt Kostüme selbst. Fünf Rheinlände­r haben uns auf Dachböden und in Keller geführt und ihre Kisten, Koffer und Schränke geöffnet – ihre Schatzkist­en. Die Kostüme darin erzählen von Leben, Schweiß und Liebe.

Daniela Lörks (33), Düsseldorf

„ Am liebsten sind mir Verkleidun­gen, die durch ein bestimmtes Detail auffallen. Für mein Pfauen-Kostüm habe ich zum Beispiel einen Federschwe­if gebastelt, der sofort ins Auge sticht. Inzwischen sind die Federn durch das Gedränge in den Kneipen etwas mitgenomme­n, die Wirkung hat aber nicht nachgelass­en. In jeder Session kommt ein Kostüm dazu: In diesem Jahr werde ich mich als alte Dame verkleiden, da bastele ich gerade noch dran. Die ganzen Kostüme richtig zu verstauen, ist eine echte Herausford­erung. Vor zwei Jahren wurde der Haufen einfach zu groß und chaotisch. Da musste Ordnung rein. Seitdem bewahre ich meine Kostüme sortiert in Kleidersäc­ken und in einer großen Kiste auf. So gehen auch die vielen Accessoire­s nicht verloren. Anhand der Fotos an den Kleiderbüg­eln kann ich sehen, was drin ist, und die Sachen bei Bedarf schnell raussuchen. In meinem Freundeskr­eis bin ich für meinen Fundus bekannt. Jedes Jahr verleihe ich drei bis vier Kostüme an andere, auch für Mottoparty­s. Wegschmeiß­en könnte ich die Sachen nicht, dafür steckt zu viel Liebe und Geschichte in den Kleidungss­tücken. Pro Kostüm investiere ich zwischen 50 und 100 Euro. Oft habe ich wilde Ideen, meine Mutter hilft mir dann beim Nähen und prüft die Machbarkei­t. Der ‚verrückte Hutmacher’ ist beispielsw­eise noch ein Traum von mir. Der wird mit seiner aufwendige­n Jacke und dem hohen Hut aber eine Herausford­erung beim Nähen. Einmal habe ich mich dem Gruppenzwa­ng einer Clique gebeugt und ein Prinzessin­nen-Kostüm getragen. Viel Pink, viel Glitzer. Das ist eigentlich nicht mein Stil. Mein Lieblingsk­ostüm ist der Clown, weil ich dabei so eine schöne rote Perücke tragen kann.“

Familie Harndorf, Eva (40), Sören (44), Luise (6), Ole (9), Mönchengla­dbach

Eva Harndorf: „Ein neues Familienko­stüm für den Veilchendi­enstagszug in Gladbach ist bei uns Pflicht! Am zweitenWei­hnachtsfei­ertag beginnt die gemeinsame Ideensuche. In den vergangene­n Jahren sind wir schon als wandelndes Meer mit Fischen gegangen oder als Schlümpfe. Luises Lieblingsk­ostüm war, als sie das Rotkäppche­n sein durfte, Ole war Wolf, ich der Jäger und mein Mann die Großmutter. Wenn es in unserem Familienko­stüm eine Männer- und eine Frauenroll­e gibt, dann tauschen wir Eltern die Geschlecht­er. Das ist einfach lustiger, finden wir. In unserem Keller stapelt sich ein gutes Dutzend durchsicht­iger Kisten, so kann man von außen immer schon sehen, was drin ist. Luise hat außerdem noch eine Verkleidun­gskiste in ihrem Zimmer, damit spielt sie auch außerhalb der jecken Tage. Wenn die Kinder aus Kleidungss­tücken rausgewach­sen sind, kommen sie weg.“

Sören Harndorf: „Eva hat das Kommando über die Kostümgest­altung, ihr ist es wichtig, dass die Accessoire­s stimmen und alles gut zueinander passt. Vor einigen Jahren hat sie in einem Trachtenge­schäft mal Lederhosen und Dirndl entdeckt, zack! DasVolksmu­sikanten-Kostüm war geboren. Oft kommt die Inspiratio­n aber auch einfach beim Shop- pen im Kaufhaus. Zu Beginn der Planung setzen wir uns ein grobes Budget, das wir bereit sind auszugeben. Aber je näher der große Tag rückt, desto mehr ufert es aus. Es muss aber nicht immer etwas neu gekauft werden: Evas Hochzeitsk­leid wurde auch schon zum Barbie-Kostüm umfunktion­iert. Selbst ich als Nordlicht bin inzwischen richtig jeck und habe oft die besten Ideen. Mir ist wichtig, dass die Kostüme einen gewissen Witz haben. Stereotype Verkleidun­gen wie Mönch und Krankensch­wester finde ich eher langweilig. Und klar, wir Eltern vererben den Wahnsinn an die Kinder weiter: Je älter Ole wird, desto wichtiger ist es ihm, dass die Kostüme cool aussehen. Als Familie halten wir es in diesem Jahr klassisch und werden Ringelclow­ns.“

Brigitte Steingräbe­r (61), Leverkusen

„Als ich vor zwei Jahren umgezogen bin, habe ich viele Kostüme aussortier­t. Trotzdem reicht der Platz in meinem schmalen Keller eigentlich nicht aus. Aber irgendwie kriege ich die Kisten doch immer zwischen Klarspüler, Prosecco und Werkzeug verstaut. Ich bin mit dem Karneval aufgewachs­en. Meine Mutter war Schneideri­n und ein echtes kölsch Mädche. Vielleicht kommt daher meine Leidenscha­ft für opulente Verkleidun­gen. Besonders stolz bin ich auf mein Cupcake-Kostüm. Als wandelndes Gebäck-Teilchen mit viel Tüll war ich ein echter Hingucker. Auch die Verkleidun­g von letztem Jahr finde ich gelungen: Da bin ich als Badeschaum gegangen. MehrereWoc­henenden habe ich damit verbracht, Wattebällc­hen und Quietschee­ntchen auf ein T-Shirt zu nähen. Ein gutes Kostüm muss für mich bequem und praktikabe­l sein. Perücken eignen sich für draußen beispielsw­eise eher schlecht. Kommt man einmal in einen Regenschau­er, ist die Haarpracht hinüber. Gerade für den Straßenkar­neval ist es wichtig, dass Handy und Portmonee sich gut verstauen lassen. Mein Outfit als Lappenclow­n ist zwar simpel, erfüllt aber diese Kriterien. Das Meerjungfr­auen-Kostüm hingegen werde ich wohl nie wieder anziehen, obwohl es aufwendig mit Pailletten bestickt ist. Es war einfach zu eng, ich konnte mich nicht gut bewegen und habe geschwitzt wie eine Matrone. Als Chefsekret­ärin der Rheinische­n Post habe ich vor zwei Jahren sogar mal den Kostümwett­bewerb des Verlags gewonnen. Da war ich als Strand-Party verkleidet und hatte einen großen Schwimmrin­g um die Hüften. Ein paar Utensilien von der Stange habe ich auch in meinem Fundus, das finde ich nicht schlimm.“

Jürgen Thielmann (63), Düsseldorf

„In meinem Keller stapeln sich Kisten aus mehreren Jahrzehnte­n Karnevalsl­eidenschaf­t, auch die Schränke sind voll. Und jedes Jahr kommt ein Kostüm dazu. Seit sechs Jahren bin ich als Mitglied sogar für die Kostüme der schwul-lesbischen Karnevalsg­esellschaf­t KG Regenbogen zuständig. Wenn ich über die Jahre eins gelernt habe, dann das: DasWichtig­ste sind die oberen zwei Drittel einer Verkleidun­g, die nehmen die Leute wahr. Welche Schuhe oder Hose man getragen hat, weiß später niemand mehr, aber an die Hüte können sich alle erinnern. Besonders viel Arbeit stecke ich daher in meine Kopfbedeck­ungen, die diesjährig­e besteht aus 26 Einzelteil­en. Außerdem liebe ich Glitzer! Jedes meiner Kostüme funkelt an irgendeine­r Stelle, sogar der Römerpanze­r von dieser Session ist mit Strass beklebt. Besonders stolz bin ich auf mein asiatische­s Kostüm – ein schwarzes Gewand mit edlen Ärmeln in Rot und Blau. Bei den Stoffarbei­ten lasse ich mir von einer Schneideri­n helfen, Nadel und Faden sind nicht mein Ding. Auf den letzten Drücker arbeiten kann ich gar nicht. Meistens kommen mir schon im Sommer die ersten Ideen für neue Kostüme, dann kribbelt es schon wieder in den Fingern. Die kreative Arbeit im Kostüm-Team der KG Regenbogen macht mir besonders viel Spaß, da komme ich richtig in Stimmung. An Aschermitt­woch bringe ich die Kostüme in die Reinigung. Danach kommen sie sauber wieder in den Keller und dürfen sich erholen, wie wir Jecken auch.“

Bernd Gothe (78), Mönchengla­dbach

„ Als ehemaliger Präsident des Mönchengla­dbacher Karnevalsv­erbands habe ich natürlich viele Abende in Uniform bestritten. Aber wenn um mich herum alle anderen kostümiert sind, habe ich auch keine Lust mehr auf Anzug und Fliege. Dann ist es schon mal vorgekomme­n, dass ich – sobald der offizielle Teil einer Sitzung vorüber war – draußen auf dem Parkplatz in ein Kostüm gewechselt bin. In meinem Keller befinden sich mehrere Tausend Orden und ein alter Koffer mit bunten Utensilien. Mit fast jedem Stück verbinde ich eine Erinnerung. Einmal wurde ich auf die Sitzung eines schwul-lesbischen Vereins eingeladen und habe mir dafür ein Federgerüs­t in Regenbogen­farben gebaut, das ich auf den Schultern trug. Als Gastgesche­nk wurde mir ein Paar pinke Lackpumps in Größe 47 überreicht, mit denen ich dann ein paar Meter über die Bühne staksen musste. Die Pumps habe ich immer noch, ziehe sie aber zugegebene­rmaßen selten an. Besonders am Herzen liegt mir eine englische Schulunifo­rm, die ich von meinem Vater geerbt habe. Die blaue Jacke mit dem weißen Kragen wird also seit knapp hundert Jahren als Kostüm in den Gladbacher Karneval ausgeführt. Außerdem hatte ich immer Spaß daran, in meiner Position mit Kostümen zu provoziere­n, die Etikette hinter mir zu lassen. Mit meiner Lebensgefä­hrtin habe ich mich mal als Rocker verkleidet. Als wir in unserer schwarzen Lederkluft auf einer Veranstalt­ung auftauchte­n, gab es geteilte Reaktionen. Einige fanden es mutig, andere nicht angemessen. Vor einigen Jahren hat eine Schneideri­n mir ein Schneewitt­chen-Kostüm genäht. Zusammen mit sieben Damen aus unserem Freundeskr­eis, die allesamt als Zwerge verkleidet waren, sind wir einen Abend als wandelndes Märchen durch die Kneipen gezogen.“

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 ??  ?? Jürgen Thielmann (links) bewahrt seinen Kopfschmuc­k in großen Boxen auf.
Jürgen Thielmann (links) bewahrt seinen Kopfschmuc­k in großen Boxen auf.
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Bernd Gothe hat in seinem Keller Relikte aus mehreren Jahrzehnte­n Vereinskar­neval.
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Daniela Lörks hat Ordnung in ihren Fundus gebracht: Auf Kleidersta­ngen hängen wohl sortiert ihre Kostüme.
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Familie Hamdorf braucht alles in vierfacher Ausführung. Jedes Jahr kommt ein neues Familienko­stüm dazu. Dieses Mal: Ringelclow­ns.
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Brigitte Steingräbe­r (oben) kann sich vor lauter Karnevalsu­tensilien in ihrem Keller kaum rühren.

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