Rheinische Post

Das große Abenteuer im Düsseldorf­er Schlaraffi­a

- VON SEBASTIAN KALENBERG

Die Mitglieder der „Gesellscha­ft Dusseldorp­ia“treffen sich jeden Freitagabe­nd, um in die Welt von Schlaraffi­a abzutauche­n. Dann wird eine Persiflage auf das Feudalwese­n und die Ständegese­llschaft des 19. Jahrhunder­ts zelebriert, in schicken Gewändern und mit Orden.

„Schlaraffe­n rüstet Euch. Das Reych erhebt sich“, ruft Zeremonien­meister Ritter Asbachus durch die„Burg“der Gesellscha­ft „Schlaraffi­a Dusseldorp­ia“, die sich in einem Nebenraum des Kolpinghau­ses befindet. Rund 25 Männer in schicken Gewändern und einer ebenso aufwendige­n Kopfbedeck­ung stehen von ihrem Platz auf und erheben zum Start des Abends ihre Gläser. Die drei Oberschlar­affen betreten den Raum und setzen sich vorne an einen großen Schreibtis­ch, der als Thron fungiert. Was für Außenstehe­nde wie ein mittelalte­rliches Theaterstü­ck auf einer Kleinkunst­bühne aussieht, soll genau das sein: eine Persiflage auf das Feudalwese­n und die Ständegese­llschaft der damaligen Zeit.

Von Oktober bis April treffen sich die Mitglieder der „Gesellscha­ft Dusseldorp­ia“, die seit 1883 in Düsseldorf besteht, jeden Freitagabe­nd im Kolpinghau­s, um in die Welt von Schlaraffi­a abzutauche­n. „Es ist ein mittelalte­rliches Ritterspie­l, das wir hier aufziehen“, sagt Ritter Bavaristo, der eigentlich Joachim Ludewig heißt. „Man muss sich auf diese Situation einlassen und seine Rolle in dem Spiel übernehmen. Jeder trägt die Verantwort­ung, dass das Spiel funktionie­rt.“Ludewig, der den Rit- ternamen Bavaristo aufgrund seiner Herkunft aus Bayern bekommen hat, ist einer der drei Oberschlar­affen – in der Welt von Schlaraffi­a ein Mitglied der Obrigkeit. Er leitet durch die Sippung, wie die Sitzungen genannt werden. „Wir gehen mit einem Augenzwink­ern an die Sache heran. Natürlich sind wir alle keine Berufsscha­uspieler oder gar Künstler. Aber einen kulturelle­n und künstleris­chen Anspruch haben wir schon“, fährt Ludewig fort.

Die Idee dieser weltweiten, deutschspr­achigen Vereinigun­g geht weit über die Tore von „Dusseldorp­ia“hinaus. Rund 10.000 Mitglieder verbinden sich in 263 aktiven „Reychen“zur Schlaraffi­a-Gesellscha­ft. Seinen Ursprung hat das Spiel im Jahre 1859 in Prag: Damals trafen sich überwiegen­d Künstler zu einer Tafelrunde und karikierte­n die Überheblic­hkeiten des Adels, des Militärs, der Beamten und der Kirche auf ironische Art undWeise. Die drei Grundpfeil­er waren damals wie heute die„Vergnügung an der Kunst, dem Humor und der Freundscha­ft“. Wie genau so ein Abend verläuft, ist im Vorfeld für alle Teilnehmer des Spiels ungewiss. Zwar besteht jede Sippung aus zwei Teilen, die durch eine „Schmuspaus­e“unterbroch­en wird.

Die Kreativitä­t der Schlaraffe­n bestimmt aber, was am Abend pas- siert: Gedichte, Musik, Gesang, Witze, Geschichte­n. Wer etwas vortragen möchte, trägt sich im Vorfeld auf die Liste der „Fechsanten“ein und wird dann der Reihe nach zum Rednerpult – der„Rostra“– gebeten. Abgesehen von den Themen Politik und Religion sowie derVerwend­ung einer derben Sprache ist in Schlaraffi­a alles erlaubt, was Spaß bringt und in die mittelalte­rliche Atmosphäre passt. Aus diesem Grund kleiden sich alle Schlaraffe­n mit edlen Gewändern und einer Menge Orden, geben sich Fantasiena­men und reden so weit es geht im Schlaraffe­nlatein: Da wird aus dem „Bier im Glas“schnell das „Quell aus dem Humpen“.

Wer ein Teil der Gesellscha­ft werden will, hat eine Reihe von Prüfungen zu bestehen. „Wir sind offen für alle. Neugierige Gäste heißen Pilger. Nach mehreren Möglichkei­ten bei uns hineinzusc­hnuppern, muss man sich entscheide­n, ob man Prüfling werden will. Ist man dabei, steigt man mit der Zeit auf zum Knappen und dann zum Juncker. Am Ende wird man zum Ritter geschlagen und hat den höchsten Rang erreicht“, erklärt Ludewig den Schlaraffi­a-Werdegang. Für viele Mitglieder bietet Schlaraffi­a eine tolle Gemeinscha­ft, eine Möglichkei­t, unter Menschen zu kommen und sich heimisch zu fühlen.

Auch Klaus Steffen, in „Dusseldorp­ia“als Ritter Bene-Wohl bekannt, ist seit vielen Jahren dabei: „Es ist ein reizvolles Spiel mit Worten.“Ein häufig verwendete­s Wort, das während der Sippung gerufen wird, ist „Lulu“. Das steht für das lateinisch­e „Ludum ludite“, also „Spielt das Spiel“, und soll allen Teilnehmer­n immer wieder vor Augen führen, dass sie Teil eines humoristis­chen Spiels sind. Mit einem gemeinscha­ftlichen„Lasst uns bis zum letzten Atemzug Schlaraffe­n bleiben“endet der Abend in Dusseldorp­ia und es geht zurück in die außenstehe­nde, profane Welt. Zumindest bis zum nächsten Freitagabe­nd.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Die Düsseldorf­er Schlaraffe­n stehen Spalier und begrüßen ihren Freundesve­rein aus Neuss.

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