Rheinische Post

„In herzlicher Abneigung zugetan“

Die beiden Klever Barbara Hendricks (SPD) und Ronald Pofalla (CDU) kämpften jahrelang gegeneinan­der. Heute duzen sie sich – und kämpfen gemeinsam für den Klimaschut­z.

- VON JAN DREBES

KLEVE Es ist Ende 2013. November oder Dezember, so genau wissen es Barbara Hendricks und Ronald Pofalla nicht mehr. Die Frau von der SPD und der Mann von der CDU sprechen am Rande einer Bundestags­debatte unter vier Augen, Pofalla will sich ihr persönlich erklären. Schließlic­h kennt ihn kaum eine andere Politikeri­n aus dem gegnerisch­en Lager so gut wie Hendricks.

Er, der Politiker mit der Bilderbuch­karriere, hat sich entschloss­en, nicht mehr Teil der neuen Bundesregi­erung sein zu wollen. Der Sohn einer Putzfrau und eines Wachmanns aus der westdeutsc­hen Provinz, der es als CDU-Generalsek­retär und später Kanzleramt­sminister bis zum engen Vertrauten der Bundeskanz­lerin brachte, will raus. Sie hingegen, die Haushaltss­pezialisti­n, frühere Staatssekr­etärin im Finanzmini­sterium und Schatzmeis­terin der Bundes-SPD, will rein. In dieses dritte Kabinett von Angela Merkel (CDU). Hendricks wird Umweltmini­sterin.

Hendricks und Pofalla, zwei erbitterte politische Gegner aus Kleve, stehen Ende 2013 vor einem Wendepunkt ihres Verhältnis­ses, das es so in der Bundesrepu­blik wohl kein zweites Mal gibt. Seit 1994 traten sie insgesamt sechs Mal bei Bundestags­wahlen direkt gegeneinan­der an. Immer gewann Pofalla das Direktmand­at im gemeinsame­n Wahlkreis, meistens sogar mit haushohemV­orsprung. Und erst als er einen Rückzieher aus der ersten Reihe in Berlin macht, weichen die Fronten zwischen ihnen auf.

„Mit deinem Fortgang aus der Bundespoli­tik war dann ein Punkt erreicht, ab dem es für mich ging mit dem Duzen“, sagt Hendricks heute. „Ronald und ich waren uns über Jahre in herzlicher Abneigung zugetan.“Hendricks, bald 67, sitzt auf einem einfachen Stuhl neben Pofalla, bald 60, in der obersten Etage des Bahn-Towers am Potsdamer Platz in Berlin. Die Aussicht ist spektakulä­r. Unten, nicht weit entfernt, schimmern Brandenbur­ger Tor, Reichstag und Kanzleramt im Licht der untergehen­den Frühlingss­onne. Pofalla steckt sich eine Zigarette an. Der Bahn-Vorstand darf hier so viel rauchen, wie er will. Und er raucht wirklich viel. Einst kämpften er und Hendricks mit harten Bandagen gegeneinan­der, heute teilen sie ein gemeinsame­s Anliegen: den Klimaschut­z. Sie wollen reden.

Pofalla erarbeitet­e sich Respekt über Parteigren­zen hinweg, indem er die Kohlekommi­ssion als einer ihrer Vorsitzend­en zu einem Kompromiss führte. Und Hendricks brachte einst als Ministerin den Klimaschut­zplan auf denWeg, um den die Regierung noch heute ringt. „Die ‚Fridays for Future’-Proteste sind ein wunderbare­r Spiegel für die Politik, dass jetzt gehandelt werden muss“, sagt Pofalla. „Die Ziele der Bewegung sind legitim, die Szenarien haben wir auch in der Kommission durchgespi­elt.“Trotzdem halte er das Ergebnis der Kommission „insgesamt für ambitionie­rt genug“. Die Schüler und ihre Mitstreite­r in der Wissenscha­ft wollen den Kohleausst­ieg bis 2030, die Kommission gibt bis spätestens 2038 Zeit. 2035 soll Deutschlan­d aus Sicht der Aktivisten klimaneutr­al sein und die Energiever­sorgung komplett aus erneuerbar­en Quellen stammen. Doch den internatio­nalen Klimaziele­n zufolge, die auch Hendricks mitverhand­elte, muss es nicht ganz so schnell gehen.

Trotz der Differenze­n zu den engagierte­n Schülern sieht Pofalla die Ergebnisse der Kohlekommi­ssion in einer Linie mit früheren historisch­en Entscheidu­ngen der Bundesregi­erung. „Bisher haben alle großen Koalitione­n der jüngsten Vergangenh­eit historisch­e Entscheidu­ngen herbeigefü­hrt“, sagt er. „Die gute Bewältigun­g der Finanzkris­e nach 2008 gehört dazu, die richtige Flüchtling­spolitik in den Jahren 2015 bis 2017 und jetzt die Beschlüsse zum Kohleausst­ieg als Paradigmen­wechsel in der Energiever­sorgung.“

Das jedoch war nicht einfach, weiß der als Taktiker bekannte CDU-Politiker. „Die Einigung in der Kohlekommi­ssion hätte ich nicht hinbekomme­n, wenn ich mich in den nächtliche­n Schlussver­handlungen nicht über die angedachte­n Rahmen verschiede­ner Regierungs­mitglieder auf Bundeseben­e und verschiede­ner Landesregi­erungen hinweggese­tzt hätte“, sagt Pofalla heute. Er blickt nach vorn: „Dass sich danach alle hinter dem Ergebnis versammelt haben, lässt auf eine rasche Umsetzung hoffen.“Die müsse jetzt kommen. Keiner könne mehr sagen, das gehe nicht.

„Wir haben Konsens, die roten Linien sind gezogen. Die ersten Gesetze zur Umsetzung der Kohlebesch­lüsse kommen vor der Sommerpaus­e auf den Tisch“, ist Pofalla überzeugt. Er sieht vor allem die Energiever­sorger in der Pflicht: „Kaum ein anderer Sektor bietet an so wenigen Schalthebe­ln so viel CO2-Einsparpot­enzial wie der Energieber­eich.“Einige wenige Kohlekraft­werke machten schon einen großen Unterschie­d. „Ein solches Volumen im Verkehrsse­ktor einzuspare­n, ist ungleich schwierige­r.“

Ob für eine rasche Umsetzung das neue Klimakabin­ett hilfreich sein kann? Hendricks, zu deren Amtszeit es das Gremium noch nicht gab, ist unsicher. „Eigentlich bieten die üblichen Verfahren der Gesetzgebu­ng genug Möglichkei­ten, um die Klimageset­ze auf den Weg zu bringen“, findet sie. Trotzdem halte sie den Start des Klimakabin­etts für vernünftig, damit man bis kurz nach der Sommerpaus­e endlich geeinte Beschlüsse zu den Sektorenzi­elen für den längst verabschie­deten Klimaschut­zplan bekomme.„Angela Merkel hat ein erkennbare­s Interesse daran, ihre Bezeichnun­g als Klimakanzl­erin nicht zu gefährden. Sie wird am Ende den Knoten durchschla­gen“, glaubt Hendricks.

Auch Pofalla setzt auf Merkel.„Die Bundeskanz­lerin ist ungewöhnli­ch kenntnisre­ich beim Sachthema Klimaschut­z“, sagt er. „Vielleicht auch, weil sie Physikerin ist.“Sie kenne alle Debatten, auch in den Nichtregie­rungsorgan­isationen. „Und Angela Merkel hat trotz aller Veränderun­gen in der CDU noch immer die alte Durchschla­gskraft als Kanzlerin“, sagt ihr früherer Kanzleramt­sminister. Er selbst sieht sein Werk jedoch als vollbracht an. „Die intellektu­elle und mentale Belastung der Kommission war gewaltig“, sagt er. Die habe er unterschät­zt, als er zu

sagte. Ob er nochmal bereitstün­de? „Die Kohlekommi­ssion ist sehr gut gewesen, und man sollte sein Glück kein zweites Mal herausford­ern“, sagt Pofalla. „Ronald Pofalla war genau der richtige Vorsitzend­e für die Kommission“, platzt es aus Barbara Hendricks heraus.Wer hätte das gedacht?

Es sind diese Töne, die man einst in Kleve nicht kannte zwischen den beiden Bundespoli­tikern. „Politik ist Wettbewerb, der war bei uns sehr ausgeprägt. Gerade in den Anfangsjah­ren haben wir mit harten Bandagen gekämpft“, sagt Pofalla.Wenn es aber um Projekte imWahlkrei­s ging, habe man zusammenge­halten, gemeinsame Sache gemacht.„Wir hätten viele Dinge im Kreis Kleve nicht hinbekomme­n, wenn Barbara, der verstorben­e Paul Friedhoff von der FDP und ich nicht in der Sache einig gewesen wären“, meint Pofalla. Hendricks konnte im Finanzmini­sterium gute Konditione­n für den Erwerb der britischen Kasernenge­lände und den Flughafen Laarbruch bekommen, die es sonst gar nicht gab. Und Pofalla ließ später seine Kontakte spielen, als er aufstieg. Zusammen mit Friedhoff sorgten Hendricks und Pofalla dafür, dass in Kleve die Hochschule RheinWaal gebaut wurde, für 200 Millionen Euro.

Jetzt hat Pofalla als Bahn-Vorstand neue Mammutproj­ekte auf dem Schreibtis­ch. „Alle Regierunge­n der vergangene­n Jahrzehnte haben die nötigen Investitio­nen in die Schienen-Infrastruk­tur unterschät­zt“, sagt Pofalla. Jetzt sei die Chance da, das zu ändern. „DieVerhand­lungen mit dem Bund sind auf einem guten Weg. Ich bin guten Mutes, dass wir vor der Sommerpaus­e eine Einigung haben werden“, meint er.

Für Hendricks geht es jetzt eher darum, ihr politische­s Erbe in Kleve zu regeln. Bei der nächsten Bundestags­wahl will sie nicht noch einmal antreten. 2017 hatte sie auch gegen Pofallas Nachfolger Stefan Rouenhoff verloren. Mit Pofalla trifft sie sich jetzt immer mal wieder, es ist entspannte­r. Und dennoch hat auch das neue Verhältnis zwischen ihnen Grenzen: „Von einer Freundscha­ft würde ich auch heute nicht sprechen“, sagt die SPD-Politikeri­n, auch wenn sie „zur Hochzeit von Ronald“eingeladen war. Auch das ging wohl erst nach jenem Gespräch unter vier Augen an einem Tag Ende 2013.

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FOTO: STADE März 2017: Im Rathaus Rees beraten die damalige Umweltmini­sterin Hendricks und Bahnvorsta­nd Pofalla die Betuwelini­e.

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