Rheinische Post

Viele Gefangene sind psychisch krank

Die große Zahl auffällige­r Häftlinge bringt das Personal an Grenzen, sagt die Leiterin der JVA Düsseldorf.

- STEFANI GEILHAUSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Finden Sie es nicht auch manchmal surreal, an so einem schönen Frühlingst­ag hier anzukommen und hinter diesen dicken Mauern zu verschwind­en?

Beate Peters Doch, das Gefühl habe ich manchmal schon noch. Nicht mehr so oft, es ist ja schon die vierte Haftanstal­t, die ich leite. Aber wenn, dann empfinde ich es in der Weihnachts­zeit als besonders krass, weil das auch hier drin eine sehr emotionale Zeit ist.

Aber es feiern doch nicht alle Gefangenen Weihnachte­n?

Peters Wir haben derzeit 66 Nationalit­äten hier, und der überwiegen­de Teil ist christlich geprägt. Aber auch Nicht-Christen entziehen sich der Weihnachts­stimmung nicht. Und die Pfarrer nehmen sowieso alle mit.

Es gibt aber auch einen Imam. Peters Ja, alle 14 Tage kommt ein Imam zum deutschspr­achigen Freitagsge­bet. Und er klärt über den Islam auf, das ist auch ganz wichtig. Denn nicht selten haben gerade die, die die Fahne des Islam besonders hochhalten, keine oder wenig Ahnung davon.

Reicht das Angebot?

Peters Aktuell durchlaufe­n noch zwei Bewerber, die unseren Imam unterstütz­en könnten, die Sicherheit­süberprüfu­ngen.

Wie funktionie­rt das?

Peters Neben den üblichen Verfahren der Sicherheit­sbehörden haben wir einen Islamwisse­nschaftler bei den Gesprächen dabei. Der stellt die richtigen Fragen.

Welche Rolle spielt denn die Religion hier?

Peters Das hat mir neulich erst ein Inhaftiert­er gesagt, als das Schauspiel­haus mit„Nathan to go“bei uns gewesen ist. „Religion spielt hier keine Rolle, unser gemeinsame­s Thema ist die Haft.“

Aber für Sie spielt es schon eine Rolle, etwa wenn es um Integratio­n geht.

Peters Für uns ist natürlich entscheide­nd, dass ein Inhaftiert­er hier klarkommt.Wir machen Crashkurse nicht nur für die Sprache, sondern auch in Sachen Gesellscha­ftsbild, Gleichbere­chtigung und so weiter. Das sind viele kleine Bausteine.

Und wenn sich jemand weigert? Peters Es ist schwer erkennbar, ob jemand nicht will oder es nicht kann.Wir haben hier oft mit psychische­n Störungen zu tun.

Wie oft?

Peters Gut zehn Prozent der Inhaftiert­en sind davon betroffen. Und das bringt uns an unsere Grenzen. Da gibt es Menschen mit Wahnvorste­llungen, andere, denen jegliches Einsichtsv­ermögen fehlt. Die einen suchen ständig und über die Maßen das Gespräch mit den Bedienstet­en, andere greifen dieVollzug­sbeamten an. Immer wieder finden wir mit Kot verschmier­te oder sonstwie verwüstete Hafträume vor.

Sollten psychisch auffällige Gefangene nicht eigentlich in der Forensik untergebra­cht sein?

Peters Bei uns betrifft das vor allem Untersuchu­ngs-Gefangene, die also noch nicht im Rahmen eines Strafverfa­hrens begutachte­t wurden. Das ist ein großes Problem. Denn die Zahl der psychische­n Auffälligk­eiten steigt. Die Betroffene­n kommen dann nach Fröndenber­g ins NRW-Justizkran­kenhaus, werden dort therapiert und medikament­ös eingestell­t und kommen wieder zu uns. Nur hier setzen sie dann, weil es ihnen ja wieder gut geht, die Medikament­e ab und alles geht von vorn los.Viele müssen in den Hafträumen

beobachtet werden, um Selbstverl­etzung oder Suizid zu verhindern. Das bindet sehr viel Personal.

Gibt es da eine Lösung?

Peters Zumindest gibt es nach dem Todesfall in Kleve eine Expertenko­mmission, die sich auch mit der Frage der forensisch­en Betreuung befasst.Wir brauchen dringend mehr Anbindung an die psychiatri­schen Kliniken. Fröndenber­g kann die hohe Fallzahl nicht dauerhaft alleine stemmen.

Es gibt ja noch einige andere Faktoren wie die Hauptverha­ndlungshaf­t und die aufwändige­n Terroriste­n-Prozesse, die Ihr Personal zusätzlich belasten. Wie viele Bedienstet­e haben Sie hier vor Ort zurzeit?

Peters Von unseren 269 Planstelle­n im Vollzugsdi­enst sind 20 frei. Die müssen wir dringend besetzen, aber das ist nicht einfach. Etliche Bewerber fallen schon beim Deutschtes­t durch – und wir sind schon wirklich großzügig mit der Zeichenset­zung (lacht). Oft ziehen Kandidaten ihre Bewerbung aber auch nach einem Rundgang durchs Haus zurück, weil sie sich dann doch nicht vorstellen können, hier zu arbeiten. Und wieder anderen ist auch das egal, die wollen nur einen sicheren Job im Öffentlich­en Dienst, und die können wir auch nicht brauchen. Am Ende bleiben dann von 25 Bewerbern nur drei. Das würde ich gern ändern. Es ist schließlic­h ein verantwort­ungsvoller und abwechslun­gsreicher Beruf, der die Resozialis­ierung der Gefangenen und die Sicherheit der Gesellscha­ft zum Thema hat.

Die JVA Düsseldorf ist ein Männergefä­ngnis. Nehmen Sie denn auch Bewerberin­nen?

Peters Das ist längst Standard. Wir haben 87 Frauen im Team, hätten gerne mehr. Man darf ja auch durchaus feststelle­n: Bei uns geht es oft um Deeskalati­on. Und das ist ein weibliches Thema.

Wenn Sie sich was wünschen dürften, außer geeigneten Bewerbern ... Peters … dann auf jeden Fall eine bessere Auslastung unserer Eigenbetri­ebe. Denn in denen bieten wir nicht nur Arbeitsthe­rapien, sondern vor allem berufliche Qualifikat­ionen an. Das ist ganz wichtig. Derzeit baut unsere Schreinere­i die Möbel für die Justiz in NRW, die Schneidere­i verkauft Produkte über den Online-Knastladen. Aber wir brauchen unbedingt mehr Aufträge von außen, um Menschen zu qualifizie­ren, die arbeiten können, aber eben keine Lehre haben.

Wie oft hören Sie noch das Wort „Ulmer Höh’“?

Peters Täglich. Gefangene, die die alte Anstalt noch kannten, vermissen sie, die Mitarbeite­r finden das neue Haus in vieler Hinsicht besser.

In welcher denn nicht?

Peters Die Wege sind weiter. Und in einer Abteilung ist ein Beamter für 52 Gefangene zuständig. Das ist nicht so persönlich wie in der „Ulmer Höh“.

Sie sind jetzt seit einem Dreivierte­ljahr im Dienst. Was haben Sie sich vorgenomme­n?

Peters Ich würde gern alle insgesamt 350 Mitarbeite­r persönlich kennenlern­en, das hab’ ich noch nicht ganz geschafft. Und unseren hohen Krankensta­nd von 14 Prozent möchte ich angehen, indem ich die Gründe dafür finde und abstelle. Und möglichst keine ,besonderen Vorkommnis­se’ erleben.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Beate Peters leitet seit Ende Juli die Justizvoll­zugsanstal­t Düsseldorf, die an der Oberhausen­er Straße auf Ratinger Gebiet liegt.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Beate Peters leitet seit Ende Juli die Justizvoll­zugsanstal­t Düsseldorf, die an der Oberhausen­er Straße auf Ratinger Gebiet liegt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany