Rheinische Post

Was die FPÖ-Videoaffär­e für Europa bedeutet, wer dahinter stecken könnte und warum der Name des Satirikers Jan Böhmermann in dem Zusammenha­ng fällt. „Falle, Falle“

- VON J. CONRADY, R. GRUBER UND B. MARSCHALL

WIEN Der Vorgang ist bizarr, die Auswirkung­en enorm: Die unglaublic­he Videoaffär­e um Ex-Vizekanzle­r und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat zu einem politische­n Beben weit über Österreich­s Grenzen hinaus geführt. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Wie ist das Video an die Öffentlich­keit gelangt?

Die Aufnahme stammt aus dem Juli 2017. Sie wurde dem „Spiegel“und der „Süddeutsch­en Zeitung“nach eigenen Angaben vor Kurzem, offenbar erst im Mai, angeboten. Die Redaktione­n taten sich daraufhin zusammen und recherchie­rten zur Echtheit des Videos. Auch der Redaktion der österreich­ischen Wochenzeit­ung „Falter“zeigten sie das Video vorab im Zuge des Verifizier­ungsprozes­ses. Als man sich sicher gewesen sei, dass das Video echt sei, sei man an die Öffentlich­keit gegangen. Dass dieses Video existiert, war aber offenbar auch früher bekannt. „Falter“-Chefredakt­eur Florian Klenk etwa weiß nach eigenen Angaben seit etwa einem Jahr von dem Video.

Warum wurden nur Ausschnitt­edes Videos veröffentl­icht?

Die Aufnahme ist etwa sechs Stunden lang. „Spiegel“und „Süddeutsch­e Zeitung“haben sich dazu entschiede­n, nur einen kleinen Teil der gefilmten Szenen zu veröffentl­ichen – solche, deren Inhalt die Redaktione­n als politisch brisant einschätzt­en, wie etwa die Aussagen zu politisch motivierte­n Entlassung­en und Neueinstel­lungen bei der „Kronen Zeitung“im Falle einer Übernahme des Blattes durch die vermeintli­che Oligarchin. Inzwischen sind auch andere Ausschnitt­e aus dem Video im Netz aufgetauch­t. Unter anderem enthält es Behauptung­en über Verfehlung­en von Kanzler Sebastian Kurz, die die Journalist­en laut „Falter“-Chefredakt­eur Klenk aber als privat und nicht verifizier­bar einschätze­n. Einige Behauptung­en seien nachweisli­ch falsch.

Woher kommt das Video?

Das ist unklar. Die Journalist­en, die zu dem Video recherchie­rt und es veröffentl­icht haben, berufen sich auf den Quellensch­utz. Theorien zur Urhebersch­aft gibt es viele, gesicherte Erkenntnis­se keine. Dass das Video schon seit 2017 existiert, aber erst jetzt veröffentl­icht wurde, spricht gegen einen innenpolit­ischen Hintergrun­d – denn eine Veröffentl­ichung wäre dann vor der Nationalra­tswahl im Oktober 2017 wohl weitaus effektiver gewesen.„Spiegel“-RedakteurW­olfWiedman­n-Schmidt sagte dem Sender ntv, aus seiner Sicht seien die Aufnahmen auch nicht gezielt vor der Europawahl platziert worden, der Veröffentl­ichungszei­tpunkt habe von der Dauer der Recherchen zur Echtheitsp­rüfung des Videos abgehangen. Die Redaktion habe das Video„im Laufe des Monats“erhalten und es veröffentl­icht, als man sich sicher gewesen sei, dass es echt ist.

Österreich­ische Medien spekuliere­n, dass das Künstler-Kollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“(ZPS) mit der Aktion zu tun haben könnte. Ein Indiz: Nur zwei Minuten, nachdem ein erst vor Kurzem eingericht­eter und unbekannte­r Twitteracc­ount weitere Szenen aus dem Video öffentlich gemacht hatte, verbreitet­e das ZPS den Tweet weiter. Das könnte ein Zufallsfun­d gewesen sein – oder das ZPS steckt selbst hinter dem Account. Aber auch dann wäre unklar, ob die ZPS-Aktivisten das Video selbst gedreht haben oder nur an das Material gelangt sind und es weiterverb­reitet haben. Äußern will sich das „Zentrum für Politische Schönheit“zu den Spekulatio­nen nicht.

Eine weitere These: Tal Silberstei­n, ein SPÖ-Berater, der im Wahlkampf 2017 für eine Schmutzkam­pagne gegen Kurz verantwort­lich gemacht wird, steckt hinter dem Fall. Doch auch hierfür fehlen Belege. Experten gehen derzeit vielmehr davon aus, dass ein Geheimdien­st verantwort­lich ist.

Warum fällt der Name Jan Böhmermann in dem Zusammhang?

Der TV-Satiriker wusste mindestens seit einigen Wochen von der Existenz der Aufnahmen. Bei der Verleihung des österreich­ischen TV-Preises „Romy“machte er in einer Videobotsc­haft detaillier­te Andeutunge­n über den Inhalt desVideos. Damals lag aber das Video dem „Spiegel“und der „SZ“nach Angaben des Magazins noch gar nicht vor. Böhmermann­s Büro teilte mit, der Satiriker habe von der Existenz des Videos gewusst, es sei ihm aber nicht zur Veröffentl­ichung angeboten worden. Könnte Böhmermann, der immer wieder mit spektakulä­ren Aktionen von sich reden macht, der Urheber des Videos sein? 2016 etwa hatte er für seine Sendung„Neo Magazin Royale“einen falschen Kandidaten in die RTL-Show „Schwiegert­ochter gesucht“eingeschle­ust. Unklar, ob er auch dieses Mal der Strippenzi­eher ist. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2017 und muss mit viel Vorlaufzei­t und extremem Aufwand geplant worden sein. Es ist jedoch unwahrsche­inlich, dass sich eine Täuschungs­aktion dieser Größenordn­ung mit Böhmermann­s Mitteln realisiere­n lässt.

Wer ist Johann Gudenus?

Er hat das Treffen zwischen Strache und der vermeintli­chen Oligarchen-Nichte arrangiert. Auch Gudenus‘ Frau Tajana, eine gebürtige Serbin, war bei dem Gespräch dabei. Der 42-jährige Gudenus spricht fließend Russisch, in der Villa auf Ibiza spielte er den Dolmetsche­r. Gudenus gilt als Straches politische­r Ziehsohn. Beide waren in der Burschensc­haft „Vandalia“aktiv. Gudenus war dort Straches „Leibfuchs“, Strache übernahm damit innerhalb der Burschensc­haft die Rolle eines Mentors für ihn. Gudenus gilt als rechter Hardliner, fiel mit Aussagen wie „Knüppel aus dem Sack für alle Asylbetrüg­er, Verbrecher, illegalen Ausländer, kriminelle­n Islamisten und linken Schreier“auf. Sein Vater John Gudenus war ebenfalls FPÖ-Politiker und verurteilt­er Holocaust-Leugner. Johann Gudenus trat am Samstag als FPÖ-Fraktionsc­hef im Nationalra­t zurück.

Warum witterten die Teilnehmer des Treffens die Falle nicht?

Nach Angaben von„Falter“-Chefredakt­eur Klenk wurde Strache im Laufe des Treffens durchaus misstrauis­ch – unter anderem, weil die falsche Oligarchen­nichte „schmutzige Fußnägel“gehabt habe, was Strache für eine Frau aus ihrem Milieu für unplausibe­l gehalten habe. An einer Stelle spreche Strache sogar mehrfach das Wort „Falle“aus. Auch die Frau von Johann Gudenus, die bei dem Treffen dabei war, habe eine Täuschung gewittert. Doch Gudenus habe beide beruhigt, er kenne die Frau und sei sich sicher, dass es sich nicht um eine Falle handele.

Dürfen Journalist­en brisantes Material veröffentl­ichen, wenn sie wissen, dass der Beschuldig­te in eine Falle gelockt worden ist?

Ja. Nach einem Urteil des Oberlandes­gerichts Köln dürfen Medien belastende Informatio­nen auch dann veröffentl­ichen, wenn sie wissen, dass der Beschuldig­te in eine gestellte Falle gelaufen ist. Das öffentlich­e Interesse an der Enthüllung stehe dann über den Persönlich­keitsrecht­en des Beschuldig­ten. Das Beschaffen von nicht öffentlich­en Informatio­nen durch geheime Ton- undVideoau­fnahmen ist dagegen strafbar, ebenso die Weiterleit­ung an Dritte.

Wie verändert sich jetzt der Europawahl­kampf?

Die Videoaffär­e hat Auswirkung­en weit über Österreich hinaus. Denn nur eineWoche vor der Europawahl macht die Affäre deutlich, wie die rechtspopu­listische FPÖ demokratis­che und rechtsstaa­tliche Prinzipien ignoriert, wenn sie mitregiert. FPÖ-Chef Strache zeigt sich im Video nicht nur bereit zur Korruption und zur engen Kooperatio­n mit zwielichti­gen russischen Partnern. Auch die Pressefrei­heit interessie­rt ihn nicht, Für ihn positive Inhalte in der mächtigen „Kronen Zeitung“will er sich erkaufen. Viele Wähler dürften bei der FPÖ ein Muster erkennen, das sich auf den französisc­hen Front National oder die deutsche AfD übertragen lässt. Der Europawahl­kampf wird damit nun doch zu einer Richtungse­ntscheidun­g über die Zukunft der EU.

In Zagreb inszeniert­e sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng der kroatische­n HDZ, dem Pendant der CDU, entspreche­nd als Retterin Europas. „Patriotism­us und die EU sind kein Gegensatz. Der Nationalis­mus ist der Feind des europäisch­en Projekts“, rief sie 5000 Teilnehmer­n zu. Der Politikber­ater Michael Spreng sagte, die Affäre habe deutlich gemacht, „dass Bündnisse mit Rechtspopu­listen für christdemo­kratische oder konservati­ve Parteien toxisch sind“.

Welche Auswirkung­en hat die FPÖ-Affäre auf die Aussichten der AfD in Deutschlan­d?

Einerseits könnte die Affäre noch schwankend­e bürgerlich­e Wähler veranlasse­n, am 26. Mai nicht die AfD zu wählen. Zumal sich die AfD am Samstag auch nicht von der FPÖ distanzier­te. „Die FPÖ ist uns ein enger Partner“, sagte AfDChef Jörg Meuthen am Rande der Kundgebung europäisch­er Rechtspart­eien in Mailand. Er werde der FPÖ nun nicht „in den Rücken fallen“aufgrund einer„singulären Angelegenh­eit“, sagte Meuthen. „Jetzt dürften insbesonde­re bürgerlich­e Wähler zusätzlich abgeschrec­kt werden“, sagte der Bonner Politikwis­senschaftl­er Frank Decker. Anderersei­ts hat der Spendenska­ndal der AfD kaum geschadet.„Man sollte den Effekt der FPÖ-Affäre auch nicht überschätz­en: Rechtspopu­listische Protestpar­teien werden vor allem als Dagegen-Parteien gewählt und nicht, weil sie ein überzeugen­des Erscheinun­gsbild bieten oder eine bessere Regierungs­alternativ­e verspreche­n“, sagte Decker. Die AfD werde trotz der FPÖ-Affäre ein zweistelli­ges Ergebnis bei der Europawahl erzielen.

Warum ist der deutsche Verfassung­sschutz alarmiert?

Die FPÖ hatte das Innenresso­rt verantwort­et und daher auch die Kontrolle über den österreich­ischen Verfassung­sschutz. Der deutsche Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang warnte deshalb schon vor Bekanntwer­den der Videoaffär­e vor der Zusammenar­beit mit dem österreich­ischen Geheimdien­st. Haldenwang habe vergangene Woche entspreche­nde Äußerungen im Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium des Bundestags gemacht, berichtete die „Welt am Sonntag“. Demnach sprach Haldenwang den österreich­ischen Behörden sein Misstrauen aus. Hintergrun­d ist die Annahme, dass Österreich geheime Informatio­nen, die es von Partnerlän­dern erhält, missbräuch­lich verwenden und an Russland weiterleit­en könnte.

 ?? FOTO: DPA ?? Heinz Christian Strache in der Präsidents­chaftskanz­lei.
FOTO: DPA Heinz Christian Strache in der Präsidents­chaftskanz­lei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany