Ein Weltstar als Tiefpunkt des ESC
Madonna hat einen derangierten Auftritt beim Eurovision Song Contest abgeliefert. Damit stiehlt sie Gewinner Duncan Laurence aus den Niederlanden fast die Show. Dessen Sieg ist so verdient wie der drittletzte deutsche Platz.
TEL AVIV Sie sollte dem Eurovision Song Contest (ESC) mit ihrem Namen noch mehr Glanz verleihen, ein Gönner hatte ihre Millionen-Gage übernommen: Weltstar Madonna betritt in der Abstimmungsphase die Bühne – mit schwarzer Augenklappe, gekleidet in eine Art Piratengewand und Umhang. Begleitet von einem gregorianischen Chor stimmt die 60-Jährige ihren 1980erJahre-Hit „Like a Prayer“an. Doch die Stimme ist dünn, Madonnas Timing stimmt an vielen Stellen nicht, und dann scheitert sie fast noch an den paar Stufen, die sie etwas ungelenk in ihrem Kaftan-artigen Gewand hinabsteigt.
Was ein Höhepunkt der Veranstaltung werden sollte, geriet zu einem Tiefpunkt. Im Netz schwappte anschließend eine Welle der Häme über den Star. So wären einige Teilnehmer nicht die schlechtesten Sänger an dem Abend gewesen, witzelten viele. Auch ihr neuer Song „Future“zündete beim Publikum nicht richtig.
Die etwas indisponiert wirkende Madonna stahl mit ihrem misslungenen Auftritt dem Sieger fast die Show: Der Niederländer Duncan Laurence stand am Ende des Abends im Flitterregen auf der Bühne. Sein Sieg war wieder einmal ein Sieg der Musik. Denn der Niederländer saß am Klavier und sang in seiner Ballade „Arcade“von Liebe und Verlust. So schön, dass er schonWochen vor dem Finale als größter Favorit gehandelt wurde. Für die Niederlande ist es der fünfte Sieg bei dem Musikwettbewerb – zuletzt gewann das Land vor 44 Jahren. Der 25-Jährige traf vor allem den Geschmack der TV-Zuschauer. „Wir sind stolz auf Duncan Laurence“, schrieben König Willem-Alexander und Königin Máxima auf Twitter.
Zur Geschichte dieses ESC gehört allerdings auch, dass sich das Fernsehpublikum mehrheitlich für einen Partysong entschieden hat. Norwegens „Spirit in the Sky“gewann überraschend die Telefonabstimmung. Bei den Jurys fiel der Auftritt allerdings durch, wurde nur 15. Einen Publikumssieger, der von den Jurys so missachtet wurde, gab es in Zeiten der zweigeteilten Abstimmung noch nie. Das wird für erneute Diskussionen über den Modus sorgen.
Das deutsche Duo S!sters hatte mit dem Ausgang des Abends erwartungsgemäß nichts zu tun. Und das zu Recht. Ihr Beitrag „Sister“ist so schnell gehört wie vergessen. Auch die Inszenierung mit den überdimensionierten Gesichtern der Sängerinnen Laura Kästel und Carlotta Truman auf der Leinwand erschloss sich nicht, die Kamera verlor die beiden zudem manchmal aus dem Blick. Der Beitrag bekam vom Publikum die Höchststrafe: null Punkte. Lediglich einige wenige Jurys fanden Gefallen (32 Punkte) und retteten Deutschland auf den drittletzten Platz – vorWeißrussland (31) und Großbritannien (16).
Das dritte Debakel innerhalb von vier Jahren ließ auch ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber nicht kalt. „Enttäuscht sind wir auch, dass sich unser neues Auswahlverfahren, mit dem wir im vergangenen Jahr Michael Schulte und seinen Song gefunden hatten, in diesem Jahr nicht als erfolgreich erwiesen hat.“Für 2020 werde man deshalb den Weg überdenken. Allerdings hatte Schulte, Vierter beim ESC 2018, mit einem Team an seinem Song gearbeitet. Die beiden Sängerinnen wurden für S!sters gecastet und bekamen ein Lied, das eigentlich für die Schweiz komponiert worden war.
Trotz der schlechten Platzierungen ist das Interesse am ESC in Deutschland groß: In der Spitze hatten 8,5 Millionen Menschen das Erste während der mehr als vierstündigen Show eingeschaltet.
Was bleibt sonst von diesem 64. Eurovision Song Contest? Ein Israel, das sich als grandioser Gastgeber präsentiert hat. Eine Finalshow mit großen ESC-Stars und ein absolut begeisterungsfähiges Publikum. Überall in der Stadt waren die Lieder der 41 Teilnehmer zu hören. Selten zelebrierte ein Land den ESC so sehr wie Israel.
Gänzlich unpolitisch war der Wettbewerb trotz aller Bekenntnisse aber nie. Die isländische Band Hatari posierte zum Beispiel bei der Punktevergabe mit „Palästina“-Schals und lieferte den politischen Skandal des Abends. Buhrufe waren die Reaktion im Saal.
Während Madonnas Show wa
ren zudem auf den Rücken von zwei Tänzern die israelische und die palästinensische Flagge zu sehen. Israel und die Palästinenser streiten seit Jahrzehnten um das Land zwischen dem Mittelmeer und Jordanien. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) kritisierte: „Dieses Element der Show war nicht Teil der Proben, die von der EBU und dem israelischen Ausrichter genehmigt worden waren. Der ESC ist unpolitisch.“Das habe man Madonna klargemacht. „Ich bin dankbar für die Gelegenheit, die Botschaft von Frieden und Einheit in die Welt senden zu können“, twitterte die Sängerin unbeeindruckt am Sonntag. (mit dpa)