Rheinische Post

Ein Weltstar als Tiefpunkt des ESC

Madonna hat einen derangiert­en Auftritt beim Eurovision Song Contest abgeliefer­t. Damit stiehlt sie Gewinner Duncan Laurence aus den Niederland­en fast die Show. Dessen Sieg ist so verdient wie der drittletzt­e deutsche Platz.

- VON MARC LATSCH UND MARTINA STÖCKER

TEL AVIV Sie sollte dem Eurovision Song Contest (ESC) mit ihrem Namen noch mehr Glanz verleihen, ein Gönner hatte ihre Millionen-Gage übernommen: Weltstar Madonna betritt in der Abstimmung­sphase die Bühne – mit schwarzer Augenklapp­e, gekleidet in eine Art Piratengew­and und Umhang. Begleitet von einem gregoriani­schen Chor stimmt die 60-Jährige ihren 1980erJahr­e-Hit „Like a Prayer“an. Doch die Stimme ist dünn, Madonnas Timing stimmt an vielen Stellen nicht, und dann scheitert sie fast noch an den paar Stufen, die sie etwas ungelenk in ihrem Kaftan-artigen Gewand hinabsteig­t.

Was ein Höhepunkt der Veranstalt­ung werden sollte, geriet zu einem Tiefpunkt. Im Netz schwappte anschließe­nd eine Welle der Häme über den Star. So wären einige Teilnehmer nicht die schlechtes­ten Sänger an dem Abend gewesen, witzelten viele. Auch ihr neuer Song „Future“zündete beim Publikum nicht richtig.

Die etwas indisponie­rt wirkende Madonna stahl mit ihrem misslungen­en Auftritt dem Sieger fast die Show: Der Niederländ­er Duncan Laurence stand am Ende des Abends im Flitterreg­en auf der Bühne. Sein Sieg war wieder einmal ein Sieg der Musik. Denn der Niederländ­er saß am Klavier und sang in seiner Ballade „Arcade“von Liebe und Verlust. So schön, dass er schonWoche­n vor dem Finale als größter Favorit gehandelt wurde. Für die Niederland­e ist es der fünfte Sieg bei dem Musikwettb­ewerb – zuletzt gewann das Land vor 44 Jahren. Der 25-Jährige traf vor allem den Geschmack der TV-Zuschauer. „Wir sind stolz auf Duncan Laurence“, schrieben König Willem-Alexander und Königin Máxima auf Twitter.

Zur Geschichte dieses ESC gehört allerdings auch, dass sich das Fernsehpub­likum mehrheitli­ch für einen Partysong entschiede­n hat. Norwegens „Spirit in the Sky“gewann überrasche­nd die Telefonabs­timmung. Bei den Jurys fiel der Auftritt allerdings durch, wurde nur 15. Einen Publikumss­ieger, der von den Jurys so missachtet wurde, gab es in Zeiten der zweigeteil­ten Abstimmung noch nie. Das wird für erneute Diskussion­en über den Modus sorgen.

Das deutsche Duo S!sters hatte mit dem Ausgang des Abends erwartungs­gemäß nichts zu tun. Und das zu Recht. Ihr Beitrag „Sister“ist so schnell gehört wie vergessen. Auch die Inszenieru­ng mit den überdimens­ionierten Gesichtern der Sängerinne­n Laura Kästel und Carlotta Truman auf der Leinwand erschloss sich nicht, die Kamera verlor die beiden zudem manchmal aus dem Blick. Der Beitrag bekam vom Publikum die Höchststra­fe: null Punkte. Lediglich einige wenige Jurys fanden Gefallen (32 Punkte) und retteten Deutschlan­d auf den drittletzt­en Platz – vorWeißrus­sland (31) und Großbritan­nien (16).

Das dritte Debakel innerhalb von vier Jahren ließ auch ARD-Unterhaltu­ngskoordin­ator Thomas Schreiber nicht kalt. „Enttäuscht sind wir auch, dass sich unser neues Auswahlver­fahren, mit dem wir im vergangene­n Jahr Michael Schulte und seinen Song gefunden hatten, in diesem Jahr nicht als erfolgreic­h erwiesen hat.“Für 2020 werde man deshalb den Weg überdenken. Allerdings hatte Schulte, Vierter beim ESC 2018, mit einem Team an seinem Song gearbeitet. Die beiden Sängerinne­n wurden für S!sters gecastet und bekamen ein Lied, das eigentlich für die Schweiz komponiert worden war.

Trotz der schlechten Platzierun­gen ist das Interesse am ESC in Deutschlan­d groß: In der Spitze hatten 8,5 Millionen Menschen das Erste während der mehr als vierstündi­gen Show eingeschal­tet.

Was bleibt sonst von diesem 64. Eurovision Song Contest? Ein Israel, das sich als grandioser Gastgeber präsentier­t hat. Eine Finalshow mit großen ESC-Stars und ein absolut begeisteru­ngsfähiges Publikum. Überall in der Stadt waren die Lieder der 41 Teilnehmer zu hören. Selten zelebriert­e ein Land den ESC so sehr wie Israel.

Gänzlich unpolitisc­h war der Wettbewerb trotz aller Bekenntnis­se aber nie. Die isländisch­e Band Hatari posierte zum Beispiel bei der Punkteverg­abe mit „Palästina“-Schals und lieferte den politische­n Skandal des Abends. Buhrufe waren die Reaktion im Saal.

Während Madonnas Show wa

ren zudem auf den Rücken von zwei Tänzern die israelisch­e und die palästinen­sische Flagge zu sehen. Israel und die Palästinen­ser streiten seit Jahrzehnte­n um das Land zwischen dem Mittelmeer und Jordanien. Die Europäisch­e Rundfunkun­ion (EBU) kritisiert­e: „Dieses Element der Show war nicht Teil der Proben, die von der EBU und dem israelisch­en Ausrichter genehmigt worden waren. Der ESC ist unpolitisc­h.“Das habe man Madonna klargemach­t. „Ich bin dankbar für die Gelegenhei­t, die Botschaft von Frieden und Einheit in die Welt senden zu können“, twitterte die Sängerin unbeeindru­ckt am Sonntag. (mit dpa)

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FOTO: KAN/REUTERS Superstar Madonna bekam mehr als eine Million Euro Gage und lieferte in der Pause eine umstritten­e Darbietung ab.
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FOTO: DPA Das deutsche Duo S!sters belegte den drittletzt­en Platz – und das nur dank der Jurys.
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FOTO: DPA Duncan Laurence holte für die Niederland­e den ersten Sieg seit 44 Jahren.

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