Rheinische Post

Bürgermeis­ter von Lügde erhält viele Hassmails

Der Missbrauch­sfall hat den Ort nach Angaben des Politikers bundesweit in Verruf gebracht.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER Leitartike­l, Nordrhein-Westfalen

LÜGDE Der parteilose Bürgermeis­ter des ostwestfäl­ischen Lügde hat seit Bekanntwer­den des Missbrauch­sfalls in seiner Stadt Hunderte Hassmails und Drohanrufe bekommen. „Sätze wie: Ich sollte mit dem Kinderschä­nder zusammen in eine Zelle gesperrt werden, gehören noch zu den harmlosen Sätzen, die ich zu hören bekomme“, sagt Heinrich Josef Reker. Viele der Anrufer und Schreiber machten ihn mitverantw­ortlich. Ihm werde vorgeworfe, nicht eingeschri­tten zu sein. „Viele wissen nicht, dass ich als Bürgermeis­ter von Lügde nicht verantwort­lich bin für das Jugendamt und die Polizei“, sagt der 65-Jährige.

Einschücht­ern lässt Reker sich von den Hassmails nicht. Dabei hat sich erst vor sechs Jahren in seiner unmittelba­ren Nähe ein Fall zugetragen, der vielen Amtsträger­n Angst machte: Der Landrat des für Lügde zuständige­n Kreises Hameln-Pyrmont, Rüdiger Butte, wurde von einem 74-jährigen Bewohner seines Kreises in seinem Büro erschossen. „Ich habe keine besonderen Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen. Ich will der Bürgermeis­ter zum Anfassen bleiben“, sagt Reker.

Die 10.000-Einwohner-Gemeinde an der Grenze zu Niedersach­sen steht mittlerwei­le für viele sinnbildli­ch für Kindesmiss­brauch und Behördenve­rsagen. „Selbst wenn irgendwo anders in Deutschlan­d ein Kind missbrauch­t wird, zieht man sofort eine Verbindung zu uns“, so Reker. Die Menschen im Ort würden unter Generalver­dacht gestellt, stigmatisi­ert. Wer erwähne, dass er aus Lügde komme, werde verbal angegriffe­n und angefeinde­t.

Der jahrelange massenhaft­e Missbrauch von Kindern im Alter zwischen vier und 13 Jahren auf einem Campingpla­tz in Lügde soll Ende Juni in einem Prozess strafrecht­lich aufgearbei­tet werden. Ein 56 Jahre alter arbeitslos­er Dauercampe­r mit einem 34-jährigen Komplizen soll mehr als 40 Kinder missbrauch­t und dabei gefilmt haben. Die Anklagesch­rift führt bislang 22 Opfer auf, die zum Zeitpunkt der Taten alle minderjähr­ig gewesen seien. Ein weiterer mutmaßlich­er Komplize (49) soll demnach im Besitz von fast 43.000 Bild- und Videodatei­en mit Kinder- und Jugendporn­ografie gewesen sein. Auch gegen ihn wurde am Donnerstag Anklage erhoben.

Zusätzlich zum Strafproze­ss soll der Fall in einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss aufgearbei­tet werden. Die SPD will einen entspreche­nden Antrag stellen. Darin wird es vermutlich in erster Linie um die vielen Polizeipan­nen während der Ermittlung­en gehen sowie um die Versäumnis­se des zuständige­n Jugendamte­s.

Viel Unterstütz­ung aus der Landeshaup­tstadt hat Lügde nach Angaben des Bürgermeis­ters in der Krise nicht bekommen. Herbert Reul habe ihn bis heute nicht angerufen, sagt Reker. Einen Vorwurf mache er dem NRW-Innenminis­ter daraus aber nicht.

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