Rheinische Post

Wie Rezo die Demokratie beschädigt

Ein Youtuber macht Furore mit einem Wut-Video, in dem er der CDU die Zerstörung wünscht, weil sie wiederum die Welt zerstöre. Wenn dieser Wunsch Schule macht, wird die Demokratie kaputtgehe­n.

- VON KRISTINA DUNZ RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Weil es so schön einfach ist, nehmt erst einmal das, ihr Youtuber und jungen Leute: Hey junge Generation, ihr echt krassen Billigflie­ger, ihr verwöhnten und verzogenen Erben, hört auf mit dem ganzen Halbwahrhe­iten-Shit! Wie gefällt euch das, ihr weich gebetteten, bequemen Social-Media-Nutzer und verdaddelt­en Pseudo-Politikint­eressierte­n? Ungerecht? Stimmt so nicht? Macht nichts. Hauptsache, was raushauen. Man wird das doch mal sagen dürfen. Zum Teufel mit der politische­n Korrekthei­t einer Michelle Obama, die mit dem einfachen Satz „When they go low, we go high“dafür wirbt, anständig zu bleiben, auch wenn sich die anderen nicht benehmen können. Jetzt bloß nicht empfindlic­h werden.

Klare Ansagen werden geklickt, so wie das 55 Minuten und acht Sekunden lange Video eines Youtubers über die von ihm gewünschte Zerstörung der CDU, weil sie die Welt zerstöre. Viele Millionen Mal wurde das Stück innerhalb weniger Tage wohl hauptsächl­ich von jungen Menschen abgerufen. Politiker nicht nur der CDU fragen sich nun aufgescheu­cht, hilflos und vielleicht auch neidisch, warum ein junger Mann diese Reichweite hat. Rezo nennt er sich und beruft sich für seine Kritik auf „Zigtausend­e“deutsche Wissenscha­ftler. Die Christlich Demokratis­che Union sei an allem schuld. An Kriegen, an der Schere zwischen Arm und Reich, an der Flüchtling­skrise und vor allem am Klimawande­l.

Der quirlige Typ sitzt an einem Schreibtis­ch, Gitarren im Hintergrun­d, er hat ein Käppi auf dem Kopf, darunter ein blauer Pony, er trägt einen orangefarb­enen Kapuzenpul­li. Die Farbe der CDU. Das häufigste Wort ist wohl „fucking“: „fucking Bundestag“, „fucking Bundesregi­erung“, „fucking EU-Politik“, „fucking Zukunft“. CDU-Politiker „lügen“, und es fehle ihnen an „grund

sätzlichen Kompetenze­n für ihren Job“. Dabei rudert er mit den Armen und verzieht das Gesicht, wenn sein eigener Faktenchec­k belegen soll, wie unfähig die CDU sei. Derweil kann man aus dem Fenster auf ein reiches Land schauen, in dem ziemlich viel ziemlich gut funktionie­rt, vor allem die Demokratie. Noch jedenfalls.

Der Mann ist ein echtes Redetalent, er schneidet bissig, komödianti­sch, unterhalts­am, kritisch und kurzweilig die dramatisch­sten Probleme der Menschheit an. Kriege, Rüstungsex­porte, Klimawande­l, Umweltzers­törung, Artensterb­en, Flüchtling­sbewegung. Er hätte das vor ein paar Wochen auch noch nicht gedacht, wie krass das sei, aber jetzt habe er recherchie­rt. Und hier kommt das große Fragezeich­en. Seit Wochen, Monaten, Jahren werden diese Themen in den Medien breit gespiegelt, nahezu alle Parteien greifen sie auf. Die Kritik an der Umweltpoli­tik der regierende­n Union war eigentlich schon immer groß. Auch sie hat dazu geführt, dass der Atomaussti­eg vorgezogen wurde. Und jetzt wird der Kohleausst­ieg vorbereite­t.

Aber nun, plötzlich, so als habe niemand vorher davon gewusst, macht das Video mit solchen Themen Furore. Warum?Weil es cool rüberkommt?Weil ein junger Mann zur Zerstörung einer Volksparte­i aufruft? Weil er Großes sehr gelassen ausspricht, etwa so: Deutschlan­d müsse so schnell wie möglich mit der Kohleenerg­ie und„so nem Shit aufhören“! Es fehlt nur der kleine Hinweis, was die Konsequenz­en sind, und der Aufruf, dass dann alle mal umdenken müssen. Auch jene jungen Leute, die gern mal schnell durch die Welt jetten, weil es wenig kostet – beziehungs­weise, weil sie das Geld dazu haben, was sie nicht unbedingt vorher selbst verdienten, sondern es von ihren Eltern oder Großeltern bekommen.

Die CDU verbreitet­e am Donnerstag eine „offene Antwort an Rezo“. Die Partei der Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r und der Kanzlerin Angela Merkel bemüht sich darin, dass Politik nicht „zum Spektakel“wird. Sie erklärt Rezo das Wesen einer Volksparte­i, die sich um viele Mitglieder und Werte zu kümmern hat, mit dem Ziel, Kompromiss­e für gangbare, akzeptable Lösungen zu finden. Und nicht schnelle, scheinbar einfache Antworten zu liefern und auch „nicht mit dem Ziel, andere zu zerstören“. Die Währung von Youtubern seien Klickraten. Die Währung einer Volksparte­i wie der CDU sei Vertrauen, steht da geschriebe­n. Aber gerade das kann durch ein solches Video bei jungen Menschen weiter erschütter­t werden.

Nach Einschätzu­ng der Politikwis­senschaftl­erin Sabine Kropp wird dasVideo keine massive Auswirkung auf das Verhalten jüngerer Wähler am Wahlsonnta­g haben. Aber: „Die CDU läuft mittelfris­tig Gefahr, die jungen Menschen zu verlieren“, sagt die Professori­n des Berliner Otto-Suhr-Instituts für Politikwis­senschaft. Die CDU erreiche in Umfragen nur noch einen Anteil von 12,7 Prozent unter denen, die jünger als 18 Jahre sind. Bei der Europawahl 2014 sei sie noch auf rund 24 Prozent bei den unter 18-Jährigen gekommen.„Deshalb hat sie einen Grund, nervös zu sein. Sie kann das nicht einfach laufen lassen.“

Tut sie auch nicht. CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak hat Rezo, der findet, dass „die CDU aktuell unser Leben und unsere Zukunft zerstört“, zum Gespräch eingeladen. When they go low, we go high.

Kropp mahnt: „Wir müssen aufpassen, dass unsere demokratis­chen Institutio­nen nicht weiter delegitimi­ert werden. Wir haben ein Recht darauf, unsere Meinung zu äußern, aber kein Recht darauf, dass jede unserer individuel­len Forderunge­n vollständi­g umgesetzt wird. Dies ist ein Lernprozes­s, den alle, auch zu Recht ungeduldig­e jüngere Menschen in einer Demokratie durchlaufe­n.“Es gebe keine monokausal­e Schuld einer einzigen Partei. Wenn der Klimawande­l jetzt nicht gestoppt werde, sagt Rezo, „dann ist die Welt am Arsch“. Wer daran schuld sei? „Wir zu 100 Prozent.“Richtig, Rezo, Wir. Nicht „die“. Wir sind es. Wir alle.

Er hätte das vor ein paar Wochen auch noch nicht gedacht, wie krass das sei – aber jetzt habe er recherchie­rt

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