Viel Masse, wenig Klasse
Das Ibiza-Video wirft ein Licht auf die Verpöbelung nicht nur der Politik.
Beim Schauen und Hören des sogenannten Ibiza-Videos mit dem verquatschten, verschwitzten und gedanklich versauten Wiener Vizekanzler a.D. Heinz-Christian Strache kommt eine Passage aus dem Vermächtnis des im KZ umgebrachten Theologen und NS-Widerständlers Dietrich Bonhoeffer in den Sinn: „Wir stehen mitten in dem Prozess der Verpöbelung in allen Gesellschaftsschichten. Es geht auf ganzer Linie um das Wiederfinden verschütteter Qualitätserlebnisse, um eine Ordnung aufgrund von Qualität.“Der erste Satzteil wirkt realistisch, der zweite idealistisch. Der älteste Sohn des bedeutenden Nachkriegspolitikers
Franz Josef Strauß schrieb, Strache habe sich im Stil einer Hure der vermeintlichen russischen Großinvestoren-Nichte angedient. Nun ging auch Vater Strauß in seiner bayerisch-barocken Art bekanntlich so manches Mal rhetorisch aus dem Leim. Wenn genügend Alkohol im Spiel war (köstlich die Diagnose seiner letzten Gefährtin Renate Piller: „Franz Josef konnte nicht nippen“), verglich Strauß zum gespielten oder echten Entsetzen feindlich gesinnter „Spiegel“-Matadore bei einem legendären Männerabend in Rudolf Augsteins Hamburger Villa die Politik der damaligen Führer der kommunistischen Sowjetunion mit „Sittlichkeitsverbrechern“. Aber welch ein Unterschied zwischen einst und jetzt: Strauß war ein hochintelligenter, klassisch gebildeter Konservativer, ein Mix aus Grobianismus und Empfindsamkeit, Machtwillen und Nachdenklichkeit. Er war vor allem Patriot. Strache, der es bis kurz vor die Tür des österreichischen Kanzleramtes geschafft hat, fehlt alles, was einen bürgerlich-konservativen Qualitätspolitiker ausmacht. Er ist ein ertapptes Produkt von Vermassung, Schäbigkeit und Qualitätsverlust, wie es nicht allein in der Politik zu finden ist.
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