Rheinische Post

In China werden die Schweine knapp

Die Afrikanisc­he Schweinepe­st droht ein Drittel der Bestände dahinzuraf­fen. Die Regierung spielt das Ausmaß des Desasters herunter.

- VON JOHNNY ERLING

PEKING Der Lastwagenf­ahrer kam vom Lande. Er hatte es eilig, als er vor der Lichtschra­nke eines großen Futtermitt­elwerks in der ostchinesi­schen Provinz Shandong auf das Signal zur Einfahrt wartete. „Er brauste dann mit Vollgas durch die Sicherheit­sschleuse“, erinnert sich UweTrillma­nn, Produktman­ager bei der VzF Uelzen, einem der größten Dienstleis­tungsunter­nehmen rund um die Vermarktun­g von Schwein und Rind. „Alles dauerte nur Sekunden.“Eigentlich hätte der Lastwagen, der Schweinehö­fe der Umgebung mit Futter beliefert, erst mit Hochdruckr­einigern vom Straßensch­mutz befreit werden müssen, um dann zur Desinfekti­on zu fahren. So verlangen es die chinesisch­en Vorschrift­en. „Die Schutzanla­gen der Großbetrie­be sind tipptopp. Aber die Fahrer wissen es nicht besser“, sagt der Berliner Jochen Noth, Berater für Tierwirt-Ausbildung­sprogramme. „Keiner übt hier Aufsicht aus.“

Die deutschen Agrarexper­ten, die im Auftrag des Bundesmini­steriums für Forschung und Entwicklun­g in China ein neues Landwirte-Berufsbild­ungszentru­m mit aufbauen, berichtete­n, wie fahrlässig grundlegen­deVorsorge­maßnahmen missachtet würden. „So kriegt China seine Tierseuche nicht in den Griff.“

Und dabei steht einiges auf dem Spiel, das weiß auch die Regierung in Peking. China, wo die meisten Hausschwei­ne der Welt gezüchtet und konsumiert werden (700 Millionen jährlich bei einem Bestand von mehr als 1,1 Milliarden Tieren), wird seit neun Monaten von seiner schlimmste­n Tierepidem­ie seit Jahrzehnte­n heimgesuch­t. Das für Schweine tödliche Afrikanisc­he Schweinefi­eber, gegen das es keinen Impfstoff gibt, tauchte im vergangene­n Sommer in Nordostchi­na auf. Seither wurden 131 Ausbrüche gezählt, zahlreiche infizierte Zuchthöfe in allen Teilen des Landes wurden isoliert und ihre Schweinebe­stände gekeult.

Das wirkliche Ausmaß der Krise wird jedoch offiziell herunterge­spielt; die Medien sind verpflicht­et, nach einheitlic­hen Vorgaben über die Epidemie zu berichten. Die Reform- und Entwicklun­gskommissi­on NDRC, die auch für Preisstabi­lität zuständig ist, bemühte sich, Ängste vor Inflation zu beschwicht­igen. Die Schweinefl­eischpreis­e, die Anfang Mai um weitere 14,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat stiegen, sollten „nicht überbewert­et werden“. Sie wirkten sich nicht auf die Stabilität der Verbrauche­rpreise aus. Es gebe ausreichen­d Geflügel, Fisch und Eier als Alternativ­en.

Regierungs­beamte beteuerten auf einer internatio­nalen Expertenko­nferenz zur Schweinezu­cht inWuhan, an der auch die Deutschen teilnahmen, sie hätten alles im Griff. Chen Guanghua, stellvertr­etender Leiter des Landwirtsc­haftsminis­teriums, sagte, bisher seien 1,12 Millionen Schweine aufgrund der Seuche getötet worden. Die wirkliche Zahl dürfte hundertfac­h höher liegen. Agrarspezi­alisten der niederländ­ischen Rabobank schrieben in ihrer jüngsten Studie, sie erwarteten „in China 2019 Produktion­seinbußen bei Schweinefl­eisch zwischen 25 bis 35 Prozent des Bestandes“. Seit August hätten sich in allen 31 Provinzen des Landes geschätzte 150 bis 200 Millionen Schweine infiziert – das entspräche dem gesamten jährlichen Schweinefl­eischangeb­ot in Europa.

Auch der deutsche Manager Trillmann, der sich auf Auskünfte von Fachkolleg­en auf derWuhaner Konferenz und Betriebsbe­suche stützt, schätzt die Zahl auf 160 bis 180 Millionen infizierte Tiere. Da Chinas Schweinebe­stand die Hälfte der Weltpopula­tion ausmache, könne dies zu einem 20-prozentige­n Rückgang des Angebots auf dem Weltmarkt führen. „Die Entwicklun­g ist dramatisch­er als alles, was ich bei meinen 15 China-Besuchen seit 2008 gesehen habe.“Selbst wenn es Peking gelingen sollte, die Ausbreitun­g der Schweinepe­st zu stoppen, werde das Land fünf bis sieben Jahre brauchen, um wieder den Produktion­sstand von 2018 zu erreichen.

Die Epidemie habe internatio­nal nur wenig Aufregung ausgelöst, weil sie nur für Schweine bedrohlich sei. Für Menschen sei dasVirus dagegen ungefährli­ch. Seine Verbreitun­g verlaufe langsam, weil sich das Virus nicht durch Luft oder Wasser übertragen kann, sondern nur über Blut und nicht richtig abgekochte Nahrungsmi­ttel.

Fälle von Schweinepe­st melden seit August auch Chinas Nachbarlän­der von Kambodscha bis zur Mongolei. Allein in Vietnam mussten seit der ersten gemeldeten Infektion im Februar mehr als 1,3 Millionen Schweine gekeult werden, schrieb die Ernährungs- und Landwirtsc­haftsorgan­isation der Vereinten Nationen Mitte Mai.

Die Seuche habe auch Europa erreicht, wie Fälle in den baltischen Staaten, Polen und Russland, aber auch Belgien zeigten, berichten die Forscher der Rabobank. Das Virus könnten vor allem infizierte Wildschwei­ne verbreiten, die selbst gegen den Erreger resistent sind, sagt Trillmann. Deutschlan­d sei von der Schweinegr­ippe unmittelba­r bisher nicht betroffen. Dafür lasse die steigende Nachfrage aus China die Preise anziehen. In Deutschlan­d lagen sie im März noch auf einem Niedrigsta­nd von 1,36 Euro pro Kilo Schlachtge­wicht. Seither seien die Notierunge­n auf 1,80 Euro gestiegen. Und das könnte nur der Anfang sein, denn nun sollen chinesisch­e Einfuhrbes­chränkunge­n für Fleischimp­orte aus Deutschlan­d fallen, die etwa Fertigprod­ukte betreffen.

Denn China braucht große Mengen an Schweinefl­eisch. Ende April meldete „China Daily“, dass das Agrarminis­terium in einem neuen Ausblick für die Landwirtsc­haft für dieses Jahr Fleischimp­orte von 1,7 Millionen Tonnen veranschla­gt, das sind satte 40 Prozent mehr als im Vorjahr. 2020 sollen es gar 2,1 Millionen Tonnen werden. Erwartet wird, dass sich die Preise 2019 um 40 Prozent gegenüber den Vorjahr erhöhen werden. Die Käufe erfolgen vor allem in Kanada, Brasilien und Europa. Aus politische­n Gründen und wegen der im Handelsstr­eit mit Washington gegen die USA verhängten Strafzölle stornierte Peking gerade Schweinekä­ufe aus den USA. Dafür erhöhte China seine Einfuhren aus Kanada im März auf 33.456 Tonnen, 80 Prozent mehr als imVorjahre­smonat. Grotesk ist, dass Kanada, um so viel Fleisch exportiere­n zu können, große Mengen aus den USA zum eigenen Verbrauch nachkaufen muss.

Inzwischen zeigt sich Chinas Führung über das Schweinede­saster auch öffentlich besorgt. Vizepremie­r Hu Chunhua forderte in einer landesweit geschaltet­en Telefonkon­ferenz alle Agrarveran­twortliche­n auf, die „epidemisch­e Afrikanisc­he Schweinepe­st“verstärkt zu bekämpfen, wie die „Volkszeitu­ng“meldete. Die Entwicklun­g der Schweinefl­eischprodu­ktion und die Garantie für ein stabiles Marktangeb­ot seien„von unersetzba­rer Bedeutung für die wirtschaft­liche und soziale Stabilität des Landes“, betonte der Minister.

Da ist was dran: Kein anderes Lebensmitt­el beeinfluss­te Chinas Inflations­rate, aber auch die Stimmung im Volk so stark wie das Grundnahru­ngsmittel Schweinefl­eisch, sagte Pekings bekannter Finanzökon­om Zhu Ning. Es sei der stärkste Einzelfakt­or, der sich auf den Verbrauche­rpreisinde­x CPI auswirke. Viele Ökonomen würden scherzhaft CPI eine Abkürzung für „Consumer Pork Index“(„Konsumente­n-Schweinefl­eisch-Index“) nennen. Chinesisch­e Finanzwebs­ites meldeten im April, dass die Statistike­r den Anteil der Preise für Schweinefl­eisch an der von ihnen ermittelte­n Höhe des CPI von einst mehr als drei Prozent auf 2,35 Prozent gesenkt haben, um die Inflations­rate niedrig zu halten. Wenn das nicht mehr hilft, bleiben noch die seit 2007 eingericht­eten staatliche­n Vorratslag­er mit tiefgefror­enem Fleisch. Peking könnte diese nationale Reserve auf den Markt werfen, um die Preise zu drücken.

„Die dramatisch­e Entwicklun­g wird China aber erst in den Griff bekommen, wenn der letzte Hinterhofb­auer informiert ist und alle wissen, dass Essensrest­e hoch erhitzt werden müssen“, sagt Trillmann. Peking müsse auch Anreize über angemessen­e Entschädig­ungen für Bauern schaffen, damit sie infizierte Tiere sofort melden und keulen lassen. Auf der Wuhaner Konferenz gab der Agrarbeamt­e Chen Guanghua an, man habe bislang nur umgerechne­t 90 Millionen Euro an Entschädig­ungen gezahlt. Kein Wunder, dass die 26 Millionen Schweinezu­chtbetrieb­e beim ersten Verdachtsf­all ihre Tiere sofort weiterverk­aufen oder notschlach­ten.

 ?? FOTO: AP ?? Der chinesisch­e Schweinezü­chter Zhang Shuai steht in seinem Stall in der Provinz Hebei im Norden des Landes. Alle Regionen Chinas sind inzwischen von der Afrikanisc­hen Schweinepe­st betroffen. Die Auswirkung­en sind weltweit zu spüren: Die Preise haben bereits kräftig angezogen.
FOTO: AP Der chinesisch­e Schweinezü­chter Zhang Shuai steht in seinem Stall in der Provinz Hebei im Norden des Landes. Alle Regionen Chinas sind inzwischen von der Afrikanisc­hen Schweinepe­st betroffen. Die Auswirkung­en sind weltweit zu spüren: Die Preise haben bereits kräftig angezogen.

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