Slums in der Metropole des Glamour
In Paris hausen Hunderte Migranten unter der Stadtautobahn. Die Zustände sind menschenunwürdig, doch eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht.
PARIS Das Elend verströmt seinen eigenen Geruch. Von weitem schon riecht es nach verbranntem Plastik und Exkrementen. Lange bevor das Elend sich zeigt, wirkt dieser Geruch wie eine Warnung an jeden Besucher. Noch ein paar Schritte an einer vielbefahrenen Straße entlang, und zu sehen ist eine Müllhalde, die sich wie ein bunter Wasserfall einen steilen Abhang hinunterzieht, dahinter stehen Dutzende kleiner Campingzelte, über die sich groß und grau der Bogen einer Autobahnbrücke spannt. Zwischen den bunten Zelten sitzen Menschen in der Frühlingssonne, manche auf Decken, die meisten auf dem staubigen Boden.
Jeder kennt solche verdreckten Slums aus den Nachrichten im Fernsehen, wenn über den Krieg in einem fernen Land berichtet wird oder über eine Hungersnot in Afrika. Hier aber liegt die Metrostation Porte de la Chapelle keine 300 Meter entfernt, es sind nur wenige Stationen bis ins Stadtzentrum von Paris, der Metropole des Glamour.
„Ich habe noch nie den Eiffelturm gesehen“, sagt Jonathan. Der junge Mann aus dem Senegal haust seit zwei Monaten unter einer Brücke der Stadtautobahn, doch er erzählt von Paris wie von einem entfernten Kontinent. Sein Schicksal teilt er mit den meisten Menschen hier: bittere Armut im eigenen Land, Unterdrückung, Hoffnungslosigkeit, Flucht. „Wir haben alle auf der Suche nach einem besseren Leben unsere Heimat verlassen“, erzählt der 20-Jährige,„doch nun sind wir hier, und uns geht es schlechter als vorher.“Doch es gebe kein Zurück, sagt Jonathan, zu groß sei die Scham, vor der eigenen Familie als Verlierer dazustehen. Auch trägt er noch den letzten Funken Hoffnung in sich, vielleicht doch noch eine Arbeit zu finden und dann eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.
Über 1000 Migranten leben nach offiziellen Schätzungen im Stadtteil La Chapelle im Nordosten der Stadt auf der Straße. „Orte wie diese darf es nicht geben“, urteilt Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, über die Slums. Es werde dort nicht nur gegen Recht und Ordnung verstoßen, sondern es sei auch menschenunwürdig, so zu leben. Eine wirkliche Lösung für das Problem hat allerdings auch die Rathauschefin nicht zu bieten. In den vergangenen Jahren hat die Stadt immer wieder versucht, mit Härte gegen die Lager vorzugehen – auch weil sie ziemlich schnell zu bekannten Drogenumschlagplätzen geworden waren. Die Lager wurden von den Einsatzkräften geräumt und die Zelte und kleinen Hütten zerstört. Doch die Menschen kamen schon nach wenigen Tagen immer zurück.
Inzwischen hat sich Hidalgo in einer gemeinsamen Aktion mit Bürgermeistern von einem Dutzend anderer französischer Städte an die Regierung gewandt. Die Zustände seien unhaltbar, heißt es in dem Papier. Für 122.000 Asylbewerber gebe es nur 86.000 Plätze in den offiziellen Unterkünften. Die Forderung der Städte: Kurzfristig müssten mindestens 40.000 zusätzliche Plätze für die Unterbringung der Migranten eingerichtet werden.
Jonathan glaubt allerdings nicht, dass viele Leute aus dem Slum von La Chapelle in Paris in solche offiziellen Unterkünfte ziehen würden. „Dort wird man registriert und am Ende vielleicht abgeschoben“, sagt er. Er wolle lieber weiter in seinem Zelt unter der Brücke wohnen, auch wenn das sehr hart sei.Viele der Migranten sind schwer gezeichnet von der Hoffnungslosigkeit und dem Leben auf der Straße. Sie haben verschleppte Krankheiten, sind abhängig vom Alkohol und billigen synthetischen Drogen. Jonathan: „Nicht alle halten das durch.“
Jonathan war schon mehrmals bei einer der rund 20 Organisationen, die den Migranten in Paris helfen. Sie bieten nicht nur Essen und Kleidung, sondern betreuen die Menschen auch psychologisch. „Die Leute dort sind sehr nett, und sie tun viel“, sagt er. Er habe mir ihnen auch schon darüber gesprochen, zurück in die Heimat zu gehen. Aber Jonathan schüttelt den Kopf: Dann sterbe er lieber.