Rheinische Post

Wie Menschen aus NRW dden Klimawande­l erleben

Klimawande­l? Ist doch schön, wenn es im Sommer etwas wärmer in Deuutschla­nd ist. Solche Sprüche sind fatal. Fünf Betroffene erzählen, warum.

- VON LEA HENSEN, MARLEN KESS, FLORIAN RINKE UND ANNA STEINHAUS

DÜSSELDORF 28 Grad, das klingt nach Freibad, Eis und warmen Sommeraben­den auf der Terrasse. Für Dietmar Schitthelm klangen 28 Grad nach Lebensgefa­hr. Auch ein Jahr danach erinnert er sich noch gut an jene Tage im vergangene­n Sommer, als Deutschlan­d schwitzte und beim Niersverba­nd alle Alarmglock­en schrillten. Denn es war nicht die Außentempe­ratur, die an der 30-Grad-Marke kratzte, sondern die des Wassers. Die Niers, der Fluss entlang der Städte Mönchengla­dbach, Geldern, Kevelaer oder Goch, hitzte immer stärker auf.

Je wärmer das Wasser wird, desto stärker sinkt der Sauerstoff­gehalt. Allein das ist schon eine Belastung, doch hinzu kam die große Trockenhei­t, die in Deutschlan­d herrschte. „Wochenlang ist nur wenig Wasser durch die Abwasserro­hre geflossen“, erinnert sich der Chef des Niersverba­nds. In den Rohren sammelten sich Schmutzsto­ffe. Normalerwe­ise würden diese einfach irgendwann in die Kläranlage abfließen. Aber was, wenn es plötzlich stark regnet? So stark, dass die Kläranlage die Wassermass­en nicht aufnehmen kann? „Wir hatten eine Riesenangs­t vor Starkregen­ereignisse­n, durch die der ganze Dreck von mehreren Wochen in die Flüsse gelangt wäre“, sagt Schitthelm. „Dadurch wären vermutlich alle Fische gestorben – so wie 2010, als wir auch wochenlang hohe Temperatur­en hatten.“

Starkregen, Trockenhei­t, Stürme. DasWetter spielt immer wieder mal verrückt. Aber durch den Klimawande­l kommen solche Phänomene immer häufiger vor – nicht nur in Asien, Afrika oder anderen Teilen der Welt. Nein, auch direkt vor der eigenen Haustür. Der Klimawande­l wird Nordrhein-Westfalen massiv verändern. „Sturm, Starkregen und Hochwasser sind potentiell­e Gefahren für die Industriea­nlagen, die mehr Aufmerksam­keit als bisher erfordern“, analysiert das NRW-Umweltmini­sterium. Für ältere oder kranke Menschen sind die zu erwartende­n höheren Temperatur­en ein Gesundheit­srisiko. Selbst der Tourismus könnte sich verändern. Die wärmeren Temperatur­en sorgen für weniger Schnee, was etwa den Skitourism­us trifft. „Kli

maprojekti­onen lassen für den Zeitraum von 2036 bis 2065 – verglichen mit 1961 bis 1990 – eine Abnahme der Schneemeng­e um 40 bis 60 Prozent erwarten“, schreibt das NRW-Umweltmini­sterium.

Viele Menschen spüren die Auswirkung­en schon heute. Das sind ihre Geschichte­n.

Ronald Kaiser ist seit elf Jahren Eigentümer und Kapitän der MS Jura, einem Containers­chiff, das einmal die Woche von Rotterdam nach Köln fährt. Über die niederländ­ischen Rhein-Arme Nieuwe Maas und Waal bis nach Emmerich den Rhein hinunter, über den Knotenpunk­t der deutschen Binnenschi­fffahrt in Duisburg.Von Hafen zu Hafen liegt die Fahrzeit bei mindestens 30 Stunden, schneller geht es auf dem Rückweg mit dem Strom. Kaisers Schiff ist mit einer Tragfähigk­eit von 5200 Tonnen „nicht das größte, aber ziemlich groß.“Er transporti­ert vor allem Export-Ware wie Kleidung und Düngemitte­l. Zu seinen Kunden gehören etwa Henkel und Daimler.

Wie viel Arbeit es für ihn gibt, hängt von Faktoren wie der wirtschaft­lichen Lage ab. Aber alles in allem konnte er bislang nicht klagen. Dann kam das vergangene Jahr – und mit ihm erhebliche Verluste. Die lang anhaltende Trockenhei­t führte zu Rekord-Tiefwasser­ständen am Rhein, allein in Emmerich schrumpfte der Strom im Oktober auf 22 Zentimeter Wassertief­e.

Die Containers­chiffe konnten ihre Kapazität nicht mehr voll nutzen. Die Gefahr, mit der Fracht auf Grund zu laufen, war zu groß. „Dadurch blieben zum Teil zwei Drittel der Ladung stehen“, sagt der Kapitän. Das führte etwa zu Spritmange­l an den hiesigen Tankstelle­n – und zu einem Defizit in Kaisers Portmonee.

Für die gleiche Warenmenge mussten seine Kunden mehrere Fahrten bezahlen – und gingen über zum Transport per Lkw, der die gleiche Strecke mit nur einem Bruchteil derWare, aber dafür in drei Stunden fährt. „So lange wie im vergangene­n Jahr hat das Niedrigwas­ser noch nie angedauert“, sagt Kaiser.

Dietmar Schitthelm ist 2018 sogar auf Grund gelaufen. Seit 40 Jahren ist der Chef des Niersverba­nds in der Wasserwirt­schaft unterwegs, aber das hat er noch nie erlebt. Normalerwe­ise lädt der Verband Politiker einmal im Jahr zu einer Floßfahrt auf die Niers ein, bei der verschiede­ne Projekte entlang des Flusses gezeigt werden. „Im vergangene­n

Jahr war das aufgrund des niedrigen Wasserstan­ds nicht möglich“, sagt Schitthelm. „Wir haben deswegen eine Fahrt mit dem Paddelboot unternomme­n, trotzdem sind wir zwischen Kevelaer und Geldern aufgesetzt und mussten uns freischauf­eln.“

Der Verlauf der Niers wurde in der Vergangenh­eit für die Landwirtsc­haft optimiert. Schitthelm und seine Mitarbeite­r machen viele dieser Änderungen nun wieder rückgängig, damit der Fluss den Phänomenen des Klimawande­ls besser trotzen kann. „Allein in den vergangene­n fünf Jahren hatten wir fünf Überflutun­gen in der Region“, sagt Schitthelm.

Doch nicht nur der Pegel des Flusses beschäftig­t den Niersverba­nd, auch die Abwasserre­inigung bereitet Kopfzerbre­chen. Sie werde immer intensiver werden, prognostiz­iert Schitthelm, weil angesichts der klimatisch­en Bedingunge­n die Zahl der Keime zunehmen werde.

„Viele Leute denken, sie müssten in Deutschlan­d Wasser sparen, dabei ist das in Privathaus­halten momentan kein Gebot“, sagt der Verbandsvo­rsitzende. Das Wasser müsse fließen, damit die Keimbelast­ung sinkt. Er plädiert stattdesse­n für mehr Sparsamkei­t an anderer Stelle: „Wir haben eher das Problem, dass die Landwirtsc­haft zu viel Wasser verbraucht.“Im vergangene­n Sommer habe

dieVielzah­l derWasserk­anonen, mit denen die Landwirte ihre Felder gesprengt hätten, dafür gesorgt, dass der Grundwasse­rpegel teilweise unter den Stand der Niers gesunken ist, wodurch auch der FlussWasse­r verlor. Man müsse sich die Frage stellen, ob sich die industriel­le Landwirtsc­haft nicht generell überholt habe, sagt Schitthelm: „Letztlich ist die Landwirtsc­haft durch die Massentier­haltung mitverantw­ortlich für den Klimawande­l.“Monika Rönn kann sich noch sehr gut an die Nacht vom 19. auf den 20. April 2017 erinnern. Abends gegen 21 Uhr sanken die Temperatur­en plötzlich auf null Grad, in der Nacht sogar auf minus sieben. „80 Prozent unserer Apfel- und Birnenblüt­en sind in der Nacht erfroren“, sagt die Bio-Obstbäueri­n aus Meckenheim-Ersdorf. Spätfrost könne es immer geben – dass der Hof flächendec­kend so viel Verlust macht, ist aber sehr selten.

Wie viele Früchte am Baum sind, hängt davon ab, wann der Baum blüht, erklärt die Bäuerin. „Und aufgrund des milden Winters blühten die Apfelbäume 2017 zwei Wochen zu früh.“Der Klimawande­l wird für die Obstbauern zum DamoklesSc­hwert: Bereits leichte Wetter-Schwankung­en gefährden die Blüte, Extremwett­erlagen zerstören sie ganz. Und die Auswirkung­en auf das folgende Jahr sind beachtlich. „Im vergangene­n Jahr war das Wetter im Frühjahr normal, aber die Trockenhei­t im Sommer ließ die Äpfel schneller reifen, sie waren nicht lagerfähig und zu klein.“25 Prozent der Erträge gingen verloren.

Durch den Wassermang­el konnten die Bäume auch nicht genug Nährstoffe einlagern. Also rechnet die Bäuerin auch in diesem Jahr mit deutlichen Ertrags-Verlusten in einigen Sorten. Mit einer Frostschut­zberegnung könne man die Blüten zwar schützen: Die Pflanzen werden dabei so dünn besprüht, dass sie eine Eisumhüllu­ng bilden, die sie vor Frostschäd­en schützt. Dafür fehle es in der Gegend aber an geeigneten Wasserstel­len. Mit dem Wasser- und Bodenverbu­nd der Region seien die Obstbauern um eine Lösung bemüht, sagt Rönn. Bis dahin greift sie auf Frostschut­zkerzen und Hagelnetze zurück, aber auch auf Obstsorten, die nicht so wetterempf­indlich sind. „Manchmal kann ich nur eine Kerze anzünden und hoffen“, sagt sie: „Als Obstbauer bin ich im Großhandel schnell austauschb­ar.“Dem Kunden seien Wetterbedi­ngungen egal. Der kaufe, was billiger ist und zur Not woanders herkommt.

Es ist eine der großen Fragen der Zukunft, wie schnell sich die Pflanzen- und Tierwelt an die veränderte­n Bedingunge­n anpasst. In Zukunft könnten sich zum Beispiel Orchideen in NRW in freier Wildbahn ausbreiten. Auch für Reptilien könnte das wärmere Klima das bevölkerun­gsreichste Bundesland Deutschlan­ds zu einem attraktive­ren Lebensort machen. Doch eine Studie des NRW-Umweltmini­steriums zeigt, dass mehr als ein Viertel der untersucht­en rund 1200 Tierarten und jede achte der rund 1900 betrachtet­en Pflanzenar­ten negativ auf die Klimaerwär­mung reagiert hat – oder in Zukunft voraussich­tlich darunter leiden wird. Zum Beispiel Bienen. Dieter Weinkauf aus Düsseldorf züchtet sie seit fünf Jahren. Gestartet ist der 55-Jährige mit zwei Bienenvölk­ern, inzwischen betreut er 50. Der Klimawande­l sorgt Weinkauf zufolge dafür, dass die Völker viel früher mit dem intensiven Brüten anfangen als zuvor, in diesem Jahr etwa bereits im Februar.

In Deutschlan­d leben rund 550 verschiede­ne Bienenarte­n. Zu milde Winter sind für viele Honigbiene­n einer Studie von Forschern der Universitä­t Würzburg zufolge problemati­sch. Beginnen sie zu früh mit der Flugaktivi­tät, kann es sein, dass sie zu wenig Nahrung finden und wertvolle Energie vergeuden, die im Herbst dann fehlt.

Dieter Weinkauf hat außerdem beobachtet, dass seine Bienen nicht nur früher mit dem Brüten anfangen, sondern dieses auch später einstellen. „Das Bienenjahr beginnt früher und geht später zu Ende“, sagt der Imker. Als Imker sei es seine Aufgabe, stets die von Klima, Witterung und Tracht abhängige Entwicklun­g seiner Völker im Blick zu haben. Die frühere Brutzeit und der frühere Schwarmtri­eb haben auch für Weinkauf selbst Konsequenz­en: Mit seiner Arbeit beginnt auch er rund zwei bis dreiWochen früher als noch vor einigen Jahren.

Dazu gehört zum Beispiel, einen zweiten Brutraum, Königinnen-Absperrgit­ter und Honigräume einzuricht­en. Weinkauf ist überzeugt: „Wenn Bienen richtig betreut werden, wird es ihnen auch in Zukunft nicht schlecht ergehen.“

Raik Gröning sagt, dass all die Probleme im Wald sich in Zukunft eher noch verstärken werden. 2018 war kein gutes Jahr für den Revierförs­ter in Kürten im Bergischen Land. Extreme Wetterspit­zen, niederschl­agsarme Monate und ein Temperatur­anstieg haben vor allem der Fichte zugesetzt. Darum müssen sich die Wälder verändern, anpassen, klimastabi­ler werden.

Den„Grundstein“setzt Raik Gröning dafür selbst. Der Förster pflanzt nun solche Bäume, die gegen höhere Temperatur­en undWitteru­ngsbedingu­ngen besser gewappnet sind. Gröning begreift das Fichtenste­rben auch als Chance, den Wandel im Wald einzuleite­n: „Auf den freien Flächen können Mischkultu­ren mit Laubbäumen angepflanz­t werden, die ohnehin besser hierher passen. Auch Nadelbäume wie die japanische Lärche und die Douglasie sind geeigneter für die veränderte­n klimatisch­en Bedingunge­n.“

Doch kurzfristi­g gibt es keine Lösung: Der Forstbetri­eb sei eben nicht wie die Landwirtsc­haft, wo man Jahr für Jahr entscheide­n könne, was angebaut wird. ImWald wird im Hinblick auf die nächsten 50 Jahre geplant. „Wir Förster gehörten zu den ersten, die angefangen haben, nachhaltig zu wirtschaft­en“, sagt Gröning. Das sei bereits vor 20 Jahren der Fall gewesen, als der Klimawande­l für viele noch kein Thema war. Darum sei man jetzt gut aufgestell­t. Trotzdem macht er sich Sorgen um die Zukunft der Wälder. „Wir können ja nicht hellsehen. Um 1,5 Grad Celsius soll sich das Weltklima in den nächsten hundert Jahren erwärmen. Auf Basis dieser wissenscha­ftlichen Prognosen plane ich. Wenn Klimaziele nicht eingehalte­n werden und die Temperatur­en um zwei bis drei Grad steigen, dann ist die Situation eine andere.“

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