Rheinische Post

Wer sich anschreit und nicht hört

Der Umgang der CDU mit dem Video des Youtubers Rezo ist symptomati­sch für die Unfähigkei­t der Parteien, einen adäquaten Kommunikat­ionsweg mit Jugendlich­en zu finden. Dabei sind die politische­r denn je.

- VON ALEV DOGAN

Die Psychiater­in Elisabeth Kübler-Ross hat einmal beschriebe­n, dass der Mensch nach einem traumatisc­hen Erlebnis fünf Phasen durchlebt: Leugnung, Zorn, Verhandlun­g, Depression und Akzeptanz. Zwar bezieht sich dieses Phasenmode­ll auf den Verlauf der Trauer umVerstorb­ene – doch auffällige Analogien legen nahe, dass die CDU gerade etwas sehr Ähnliches durchmacht, nachdem der Youtuber Rezo das Video „Die Zerstörung der CDU“veröffentl­icht hat. Der Verlust einer Kommunikat­ionsbasis mit dem jugendlich­en Gegenüber ist kein auf die CDU begrenztes Problem, doch die Tage nach dem Rezo-Trauma sind symptomati­sch für die Unfähigkei­t großer Parteien einen adäquaten Kommunikat­ionsweg mit den Mitglieder­n der jungen Generation zu finden.

In diesem bis Freitagabe­nd über sieben Millionen Mal abgespielt­en Video macht der Youtuber Rezo (26) die CDU für allerlei Missstände in Deutschlan­d und im Ausland verantwort­lich. Dafür überspitzt, polemisier­t und vereinfach­t er in teilweise unerträgli­chem Ausmaß.

Doch die völlig überforder­te, hilflos zwischen Gehässigke­it, Tollpatsch­igkeit und peinlicher Möchtegern-Coolness mäandernde Reaktion der Politik auf dieses Video ist sehr viel bemerkensw­erter und zeigt eine tief liegende Verunsiche­rung der Parteien im Umgang mit jungen Menschen und neuen Medien. Die Politik und die Jugend, sie haben sich voneinande­r entfernt – so weit, dass sie sich mittlerwei­le anschreien, ohne sich zu hören.

Politiker reden immer mehr und sagen immer weniger. Das ist kein neues Phänomen. Doch früher war es vor allem ein Problem der Journalist­en: Sie mussten sich mit monologisi­erenden Nicht-Aussagen der Politiker befassen, sich herumschla­gen mit dem geschwafel­ten Herumnavig­ieren um die eigentlich­e Frage, versuchen, aus dem Politikers­prech etwas Klares, Inhaltlich­es – oder gar eine Nachricht – zu destillier­en.

Doch heute sehen es alle. Zu jeder Tages- und Nachtzeit können Menschen Politikern dabei zuschauen, wie sie Journalist­en, Wähler und Nicht-Wähler in inhaltslee­re – mal überheblic­he, mal anbiedernd­e und mal ideologisc­h aufgeladen­e – Sprechblas­en einhüllen. Dahinter steckt immer Kalkül, personalpo­litisches, machtpolit­isches, parteipoli­tisches. Bis zu einem gewissen Grad ist das nachvollzi­ehbar und richtig. Ein Politiker kann nicht daherreden, wie es ihm gerade passt, dafür ist vieles zu sensibel. Aber das genaue Gegenteil – wenn nämlich das politische Kalkül den politische­n Inhalt überschatt­et – ist ebenso fatal, wenn nicht fataler. Und es bewirkt eine Gegenoffen­sive. Es ist eine besondere Ironie, dass es die apolitisch­en Verlautbar­ungen der Regierende­n sind, die die Jugendlich­en politisier­t haben.

Politiker müssen Inhalte erklären, Kompromiss­e verteidige­n, Schwierigk­eiten aufzeigen, Ungewisshe­iten zugeben. Stattdesse­n tun sie meist so, als seien sie die Allwissenh­eit in Person – beziehungs­weise in Partei – und verwenden mehr Energie darauf, gegen den politische­n Konkurrent­en zu kämpfen, statt sich dem Bürger zu erklären.

Das hinterläss­t eine Lücke, in die dann jeder springen kann. Wo ein Bedürfnis unbefriedi­gt bleibt, findet sich schnell einer, der sich das zu Nutzen macht. So schlägt die Stunde des anderen Extrems: Die, die sagen, „was endlich mal gesagt werden muss“, die populistis­che Forderunge­n stellen, einfache Lösungen verspreche­n. Hier dürfte der Youtuber Rezo noch zu den Harmlosest­en gehören.

Ein Großteil der Politik hat die Jugend verloren, nicht nur, weil sie nicht mit ihr spricht, sondern auch, weil sie ihr nicht zuhört. Wer sein Gegenüber nicht ernst nimmt und immer in Distanz zu ihm bleibt, der kappt jede Verbindung. Und hier sind wir bei dem Verlust und den fünf Phasen.

Zuerst wollte die CDU die Bedeutung des Videos heruntersp­ielen. „Falschbeha­uptungen“und „Pseudofakt­en“, schimpfte der CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak über das Video (Leugnung). Diese Unaufmerks­amkeit wurde auch Jugendlich­en zuteil, die wochenlang gegen die Urheberrec­htsreform demonstrie­rt hatten. Zuerst wurden sie ignoriert. Dann warf man ihnen vor, sie seien von den großen Internetko­nzernen gekauft.

Doch zurück zu Rezo: Nach einer ersten Schockstar­re versuchte man, ihn zu verunglimp­fen (Zorn). Schleswig-Holsteins Bildungsmi­nisterin Karin Prien (CDU) twitterte, das Video sei „übelste Propaganda“, folge „der brutalen Logik der schönen, neuen digitalen Politikwel­t“. Und: Alle Demokraten sollten alarmiert sein. Hier wird nicht nur ein Youtuber zum Endgegner der Demokraten stilisiert, sondern das für Jugendlich­e relevantes­te Medium und das Internet insgesamt zum Schauplatz einer neuen Dystopie erklärt.

Ein entwürdige­ndes Hin und Her um eine mögliche Antwort folgte. Nach dem Motto „Das Imperium schlägt zurück“wollte die CDU mit ihrem Bundestags­abgeordnet­en Philipp Amthor, 26, ein Antwortvid­eo senden (Verhandlun­g? Depression?), und ein kollektive­s Aufseufzen ging durch die Gesellscha­ft. Schlimmer noch als diese Ankündigun­g hätte nur das Video sein können – aber davon distanzier­te sich die Partei schließlic­h.

Dann, endlich, tat Paul Ziemiak etwas, das man fast schon souverän nennen könnte: Er lud Rezo zum Gespräch ein, lobte ihn („Was mich sehr freut, er hat es geschafft, viele junge Leute für Politik zu interessie­ren“) und gab ihm gar recht: „Er hat einen Punkt getroffen: Wie kommunizie­ren wir, wie können wir junge Menschen für Politik begeistern?“(Akzeptanz).

An einer Stelle täuscht sich Ziemiak aber: Die jungen Menschen müssen nicht für Politik begeistert werden, das sind sie zum Glück schon. Sie kämpfen hartnäckig dafür, dass die Regierung ihre eigenen Klimaziele ernst nimmt und entspreche­nde Politik macht. Sie demonstrie­ren gegen ein EU-Gesetz zur Netzpoliti­k und schauen sich im Internet nicht nur Schmink-Tutorials, Pornos und Spiele an, sondern einstündig­e Videos über Politik. Das ist eine Generation, die jede Gesellscha­ft stolz machen sollte. Wer ihr stattdesse­n mit Überheblic­hkeit begegnet, darf sich auch nicht wundern, wenn die Antwort laut, polemisch und in Teilen unfair ausfällt – anders werden die jungen Leute offenbar nicht gehört.

Die völlig überforder­te Reaktion auf das Video zeigt eine tiefe Verunsiche­rung im Umgang mit jungen Menschen

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