Als der Wagen nicht kam
Roman Folge 48
Anscheinend hat es genügt, dass der nationalsozialistisch so gut beleumundete Bach mich vorgeschlagen hatte. Nach der Abfahrt der Feldstaffel musste bei der Standortstaffel jede Nacht abwechselnd einer der Offiziere Nachtdienst im Dienstgebäude in der Bendlerstraße 10 machen. Mein Büro war im rechten neueren Trakt des Binnenhofs im ersten Stock. Die Kurierstelle mit dem Zimmer des Offiziers vom Nachtdienst lag gegenüber in dem linken älteren Flügel. Dort schlief man in einem Feldbett. Die Ordonnanzen brachten die eingehenden Fernschreibnachrichten, telefonische Berichte nahm man selbst auf und musste dann entscheiden, ob die Nachrichten sofort anWolfsschanze oder sonstwie weitergegeben werden oder bis zum andern Morgen liegen bleiben sollten. Manchmal war es bewegt und aufregend. Leb
haft erinnere ich mich an die Nacht, als die Nachricht vom Fall von Paris eintraf. Die Größe des Ereignisses berührte mich im Innersten und das Gefühl, dass all die Schande und Unsinnigkeit von Versailles jetzt ausgelöscht sei, bewirkte zunächst eine Hochstimmung, die Hitler und alle dunkeln Wolken in den Hintergrund treten ließ. Als ich das Fernschreiben gelesen hatte, zeigte ich es ohne Kommentar dem Überbringer, einem typischen, biederen alten Berliner, der eine kleine Destille im Wedding betrieb. Die Reaktion war verblüffend: „Das hält nicht auf die Dauer.“Ich sagte lachend, das sei aber doch ein riskanter Ausspruch, und erhielt die Antwort: „Man weiß doch schließlich bei den einzelnen Herren, mit wem man spricht, und wer Heil Hitler macht und wer nicht.“So hatte dieser brave, alte Musketier mit seinem nüchternen Berliner Sinn mich schnell aus meinem Anflug nationaler Gehobenheit wieder in dieWirklichkeit zurückversetzt.
In diese Zeit fielen auch die phantastischen Pläne Hitlers für eine Invasion nach England. Eines Tages rief mich ein Offizier von der Marine an: „Sie kennen doch Seelöwe.“Als ich es bejahte, sagte er sich für eine diesbezügliche Besprechung an. Bei meiner Bejahung hatte ich an den Kapitänleutnant Löwe von unserer Standortstaffel gedacht, der allgemein mit dem Spitznamen „Seelöwe“bezeichnet wurde. Erst nach Beendigung des Telefongesprächs fiel mir ein, dass dies Wort der Deckname für das geplante Englandunternehmen war. Ich war auf diesen Gedanken nicht sofort gekommen, weil der telefonische Gebrauch von Decknamen strikt verboten war und ich damals noch an die Vorschriften über Geheimhaltung glaubte. Bei der Unterredung mit dem Herrn von der Marine ergab sich, dass es sich um die Beschlagnahme aller kleinen Schiffe bis herunter zum Sportmotorboot im Reich und den besetzten Gebieten handelte. Ich machte dann die erforderlichen Verordnungs- und Befehlsentwürfe und trug vor, dass trotz aller Geheimschutzvermerke eine solche Beschlagnahmelawine sich nicht geheim halten lasse und die Engländer sich daraus alles ablesen könnten, was ihnen bevorstehe. Man brauchte aber die Schiffe, eine ungeregelte Inbesitznahme hätte noch mehr Staub aufgewirbelt, und so ging die Aktion vonstatten. Die Begeisterung für Seelöwe ließ aber bald nach, er vegetierte noch eine Weile und wurde dann endgültig begraben, als sich herausstellte, dass Göring zwar über einen reichen Wortschatz, aber nicht über die entsprechende fliegerische Kampfkraft verfügte.
(Fortsetzung folgt)
ERPELINO