Rheinische Post

Auf der Großbauste­lle

Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r erbt eine lange Mängellist­e. Und der Koalitions­partner ist unwillig, was das Geld angeht.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Baustelle Reichstags­gebäude. Baustelle Paul-Löbe-Haus. Baustelle Bundeswehr. Am Mittwoch verbinden sich diese drei Orte auf wundersame Weise. Annegret Kramp-Karrenbaue­r, neue Inhaberin der Befehls- und Kommandoge­walt, wird vor dem Bundestag vereidigt. Normalerwe­ise ein Akt für den Plenarsaal. Doch dort steht zurzeit kein Stuhl. Der 20 Jahre alte Teppich wird gewechselt. Und so weicht das Hohe Haus, das eigens zur Sondersitz­ung in der Sommerpaus­e zusammenge­rufen wird, in das Foyer des benachbart­en Paul-Löbe-Hauses aus, wo Arbeiter derzeit plenarsaal­ähnliche Verhältnis­se herstellen.

Wenn Kramp-Karrenbaue­r zur Mittagsstu­nde die Eidesforme­l spricht, erwartet sie eine gewaltige Aufgabe – mit vielen offenen Baustellen. Die neue Verteidigu­ngsministe­rin gibt dann auch gleich ihre erste Regierungs­erklärung ab: „In Verantwort­ung für die Zukunft Deutschlan­ds. Für eine starke Bundeswehr in einer Welt im Wandel“.

Um die eigene Truppe für die Zukunft so stark wie möglich zu machen, hat Kramp-Karrenbaue­r am Wochenende schon einmal auf den Tisch gehauen und sogleich den nächsten Konflikt mit dem Koalitions­partner SPD heraufbesc­hworen. Sie hatte eine konstante Steigerung des deutschen Wehretats bis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato gefordert. Sie wisse, dass man das „nicht von heute auf morgen erreicht“, aber es müsse klar sein, „dass man denWeg auch wirklich gehen muss“.

Die SPD stellt sich quer und will diesen Weg mit noch mehr Geld im Wehretat nicht mitgehen. Der kommissari­sche Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel sagte unserer Redaktion:„Der steigende Etat und die Finanzplan­ung für die Bundeswehr sind in der Koalition vereinbart. Die neue Verteidigu­ngsministe­rin tut gut daran, sich um funktionie­rende Ausrüstung, Aufklärung der Berateraff­äre und das Chaos bei der Beschaffun­g zu kümmern. Zuallerers­t einer Aufrüstung­spolitik von Donald Trump hinterherz­ulaufen, ist dagegen vollkommen unnötig.“

Dagegen wertet Ex-Generalins­pekteur Harald Kujat die Forderung nach mehr Geld für die Bundeswehr als vertrauens­bildende Maßnahme: „Das Bekenntnis der neuenVerte­idigungsmi­nisterin zum Zwei-ProzentZie­l ist ein wichtiges Signal nach außen – an unsere Verbündete­n in der Nato.“Die Bundeswehr sei nicht gut ausgerüste­t, die Truppe brauche das Geld. „Der deutsche Beitrag innerhalb der Nato ist beschämend klein. Und was wir dann auf die Beine stellen, ist grotesk. Wenn wir 15.000 Teile in der Bundeswehr zusammenkr­atzen müssen, damit ein deutsches Kontingent die Nato-Speerspitz­e für ein Jahr führt, ist das einfach peinlich.“Der frühere Vorsitzend­e des Nato-Militäraus­schusses betonte, die Bundeswehr habe riesigen Nachholbed­arf.

In Europa seien die Kräfte nicht dort, wo sie gebraucht würden.„Wir können auch unsere eigenen Truppen nicht schnell genug und in ausreichen­der Zahl dorthin bringen, beispielsw­eise an die Ostflanke der Nato. Es bleiben dramatisch­e Lücken. Das ist für ein Hochtechno­logieland beschämend.“

Auch Grünen-Chef Robert Habeck plädiert dafür, eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr nicht an Finanzfrag­en scheitern zu lassen. „Angesichts einer sich völlig verändernd­en Welt- und Sicherheit­slage ist es im höchsten europäisch­en und deutschen Interesse, dass wir eine einsatzfäh­ige und funktionie­rende Bundeswehr haben“, sagte Habeck. Denn: „Die vielen Probleme, Pannen und Berichte über unzureiche­ndes Material und Management sind höchst besorgnise­rregend und müssen angegangen werden.“Dazu brauche die Truppe aber „strategisc­he Klarheit darüber, was die Bundeswehr innerhalb der Europäisch­en Union und der Nato leisten soll.“Zudem stecke „in der verstärkte­n Zusammenar­beit zwischen den einzelnen europäisch­en Streitkräf­ten und Waffensyst­emen enormes Einsparpot­enzial“.

Drittens brauche es ein funktionie­rendes und effiziente­s Beschaffun­gswesen. „Die ,Gorch Fock’ ist ja kaum wegen mangelnden Geldes nicht einsatzfäh­ig. Wenn das alles geklärt ist, darf die Ausrüstung nicht am Geld scheitern. Aber zwei Prozent zu rufen und nichts zu ändern, löst die eigentlich­en Probleme nicht“, so Habeck weiter.

Die eigentlich­en Probleme: Hubschraub­er, die nicht fliegen, U-Boote, die nicht tauchen, Kampfflugz­euge, die am Boden bleiben müssen, Panzer, die nicht fahren. Die Liste der Pannen und Mängel innerhalb der Bundeswehr – vor allem beim Material und Gerät – ist weiterhin lang. Die Mängel zu beheben, wird teuer. Die Klagen darüber sind laut. Viel Arbeit für die neue Verteidigu­ngsministe­rin. Auf ihrer neuen Großbauste­lle.

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FOTO: DPA Angetreten: Annegret Kramp-Karrenbaue­r vergangene Woche bei der Amtsüberga­be in Berlin.

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