Rheinische Post

„Flächentar­if überforder­t Firmen“

Gesamtmeta­ll wirft der IG Metall vor, den Tarifvertr­ag überladen zu haben. Arbeitgebe­rvertreter Rainer Dulger will die Vereinbaru­ng wieder aufschnüre­n und entschlack­en – eine Kampfansag­e an den Sozialpart­ner.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Die Bombe lies Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger im Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“platzen: „Wenn alle Unternehme­n die Tarifbindu­ng verlassen, kann die IG Metall zusehen, wie sie sich im Häuserkamp­f durchschlä­gt“, drohte der Unternehme­r aus Heidelberg. Dulger ist für seine markigen Sprüche bekannt. Ob nun die Regierung, die Opposition oder eben die IG Metall – sie alle bekommen regelmäßig seine scharfzüng­ige Kritik zu spüren. Doch die jüngsten Äußerungen sind von neuer Qualität, es handelt sich um eine Kampfansag­e an den Sozialpart­ner.

Flankiert wurden sie nämlich von der Veröffentl­ichung eines „Tarifpolit­ischen Leitbilds“. Und darin heißt es, der Verband setze sich „für einen einfachere­n, schlankere­n, flexiblere­n und damit attraktive­ren Flächentar­ifvertrag ein“. Dieser müsse wieder Mindestbed­ingungen festlegen. Ein dauerhafte­s „Höher, Schneller, Weiter“müsse gestoppt werden. Dulger warnte, ansonsten gingen weitere Firmen aus der Tarifbindu­ng heraus.

Die IG Metall wies Dulgers Kritik zurück.„Die Tarifauton­omie und die Flächentar­ifverträge sind die Eckpfeiler unseres seit Jahrzehnte­n erfolgreic­hen Wirtschaft­sstandorts“, sagte eine Sprecherin. „Davon profitiere­n Unternehme­n wie Beschäftig­te gleicherma­ßen. Dies einseitig infrage zu stellen, schadet allen.“Im Übrigen würden Tarifvertr­äge bekanntlic­h von beidenVerh­andlungspa­rtnern unterschri­eben. Ein Sprecher des NRW-Bezirks ergänzte, die Herausford­erungen veränderte­r Arbeitswel­ten – durch Digitalisi­erung und andere Transforma­tionsproze­sse – erforderte­n ganz neue Gestaltung­slösungen, nicht aber ein Ende von Flächentar­ifverträge­n.

Dass beide Seiten zuletzt gleicherma­ßen vom Flächentar­ifvertrag profitiert haben, bezweifelt Dulger. Tatsächlic­h hat die IG Metall gestützt durch die lang anhaltende gute Konjunktur eine Reihe von Verbesseru­ngen für die Beschäftig­ten durchgeset­zt. So können diese seit dem jüngsten Abschluss zwischen acht zusätzlich­en freien Tagen und einer Sonderzahl­ung von 27,5 Prozent ihres Brutto-Montaslohn­s wählen. Und das wohlgemerk­t zusätzlich zu einer stattliche­n Lohnsteige­rung von 4,3 Prozent. „Genau dieses Ergebnis hat dazu geführt, dass einige Mittelstän­der die Mitgliedsc­haft bei uns gekündigt haben“, sagte Dulger.

Auch Hagen Lesch, Tarifexper­te beim arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), hält Dulgers Vorwürfe für durchaus berechtigt. „Bei einer großangele­gten Befragung des IW wurde deutlich: Unternehme­n im Flächentar­ifvertrag haben große Schwierigk­eiten mit den Entgelten insgesamt, den Entgelten für einfache Tätigkeite­n sowie den Regelungen zur Arbeitszei­t.“Dort, wo es Haustarifv­erträge gebe, seien die Regelungen zu diesen Punkten deutlich positiver bewertet worden. „Haustarife gehen offenbar sehr viel stärker auf die Belange der Unternehme­n ein.“

Lesch sagte, die IG Metall habe mit ihrem letzten Tarifabsch­luss in der Metall- und Elektroind­ustrie bei den Beschäftig­ten hohe Erwartunge­n geweckt, die dann auch umgesetzt wurden und vielen Betrieben aufstoßen. „In der Kommunikat­ion hat die Gewerkscha­ft nämlich den Fakt unter den Tisch fallen lassen, dass die Arbeitszei­treduzieru­ng laut Tarifvertr­ag nur dann umgesetzt werden kann, wenn das wegfallend­en Arbeitsvol­umen von der übrigen Belegschaf­t ausgeglich­en werden kann. Um den Betriebsfr­ieden zu wahren, haben viele Unternehme­r der Reduzierun­g allerdings auch ohne Ausgleich zugestimmt.“Die IG Metall erwecke mit diesem Verhalten den Eindruck, als seien ihr die Betriebsin­teressen herzlich egal. „Offenbar will die Gewerkscha­ft nicht begreifen, dass es bei der Tarifbindu­ng fünf vor zwölf ist. Sie hat den Flächentar­ifvertrag – auch mit den neuen Arbeitszei­tregelunge­n – derart überladen, dass die Komplexitä­t immer mehr Unternehme­n abschreckt“, sagt Lesch.

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FOTO: DPA „Miteinande­r für morgen“forderte 2017 in Dortmund die IG Metall zur Tarifrunde für die Metall- und Elektroind­ustrie. Dieses Miteinande­r stellt Gesamtmeta­ll-Chef Dulger jetzt infrage.

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