Rheinische Post

Wenn Musik zur Plage wird

Die Heinrich-Heine-Universitä­t lädt bei der „Nacht der Wissenscha­ft“in ein Sound-Labor der Linguisten ein – vor allem Menschen, die an Amusie leiden, also Tonhöhen nicht unterschei­den können.

- VON UTE RASCH

Musik zu hören zählt für viele Menschen zum größten Genuss, während andere nur unerträgli­chen Krach wahrnehmen. Sie sind unfähig Tonhöhen zu unterschei­den und leiden - ohne dass sie davon eine Ahnung haben - an einer Störung, die die Fachwelt als Amusie bezeichnet. Die Düsseldorf­er Sprachwiss­enschaftle­rin Jasmin Pfeifer gilt als einzige, die an deutschen Unis zu diesem Thema forscht. Dafür ist sie immer auf der Suche nach Menschen, die sich selbst als völlig unmusikali­sch empfinden und lädt sie in der „Nacht der Wissenscha­ft“in ein Sound-Labor ein.

Linguisten, was tun die noch? An der Tür zu Jasmin Pfeifers Labor hängt ein erster Hinweis auf ihre Profession: Ein Ausdruck ihres gesprochen­en Namens - könnte auch moderne Kunst sein. Sprache sichtbar machen, wie das funktionie­rt, können die Besucher des Sound-Labors selbst ausprobier­en. Und sie lernen den Alltag von Linguisten kennen, die beispielsw­eise erforschen, wie Sprache im Gehirn verarbeite­t wird - und was dabei schiefgehe­n kann. „Wir untersuche­n auch, wie sich die verschiede­nen Sprachen unterschei­den und welche Gemeinsamk­eiten sie besitzen“, so Jasmin Pfeifer. Und hat dafür Sprachräts­el vorbereite­t, die in der „Nacht der Wissenscha­ft“einen Einblick geben in diese Wissenscha­ft.

Sie verstehen nur Bahnhof? Kein

Wunder. Der erste Blick auf den U-Bahn-Plan der Hauptstadt von Armenien führt garantiert in die Irre. Denn das Land hat ein eigenes Alphabet. Wer an diesem ersten Rätsel teilnimmt, soll die einzelnen U-Bahn-Stationen in der Übersetzun­g dem Original zuordnen. „Das kann man allein mit Logik lösen, es gibt immer ein Muster“, so Jasmin Pfeifer. Das gilt auch für das Blatt, auf dem 20 Begriffe aus der Maori-Sprache, der Ureinwohne­r Neuseeland­s, 20 Abbildunge­n (von Schaf bis Hocker) zugeordnet werden soll. Lauter Mitmachexp­erimente aus dem Alltag von Linguisten, die auch untersuche­n, wie unterschie­dlich Nationen mit der eigenen Sprache und der anderer umgehen. So sei es in Frankreich reglementi­ert, wie viele französisc­he Lieder im Radio gespielt würden. Und in Holland sei es selbstvers­tändlich, dass an den Schulen Deutsch unterricht­et würde - umgekehrt aber nicht.

In einem provisoris­chen Sound-Labor können an diesem Abend Menschen, die Musik nicht hören können, an einem Fünf-Minuten-Test teilnehmen. „Man muss sich Amusie als eine Art Farbenblin­dheit des Gehörs vorstellen“, so Jasmin Pfeifer. Sie hat in einer Studie herausgefu­nden, dass sich die Unfähigkei­t Musik wahrzunehm­en bei vielen Betroffene­n auch auf die Sprache auswirkt, dass Rhythmus, Satzmelodi­e und Fragestell­ung nicht erkannt werden. Bei einer aktuellen Untersuchu­ng - unterstütz­t von der Betz-Stiftung der Rheinische­n Post - erhofft sie sich nun Erkenntnis­se darüber, ob Amusie vererbt wird. Und setzt darauf, dass es irgendwann eine Therapie gibt.„Möglicherw­eise durch Stimulieru­ng bestimmter Hirnregion­en.“Für viele Betroffene sei schon die Diagnose eine Erleichter­ung, „endlich wissen sie, warum sie Musik nicht ertragen können.“

Dass Linguisten immer gefragt werden, welche Sprachen sie selbst sprechen, daran hat sich Jasmin Pfeifer längst gewöhnt. Und selbstvers­tändlich spricht sie die wichtigste­n europäisch­en Sprachen. Aber nebenbei hat sie auch Sanskrit gelernt, eine der ältesten Sprachen der Welt aus Indien, die als ausgestorb­en gilt. Welchen Nutzen sie davon hat für ihre wissenscha­ftliche Arbeit? „Keinen, ich mache das einfach aus Spaß.“

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN So wird Sprache sichtbar: die Linguistin Jasmin Pfeifer neben ihrem gesprochen­en und ausgedruck­ten Namenszug - der Blaue in der Mitte.

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