Rheinische Post

Als Beuys Sielmanns Kameras versteckte

Künstler und Tierfilmer waren seit dem Krieg befreundet. Ihr Ruhm verstellte den Blick auf ihr Verhältnis zum „Dritten Reich“.

- VON BERTRAM MÜLLER

Man schimpfe nicht pauschal auf Wiederholu­ngen im Fernsehen! Manch Kostbares ist darunter, zuletzt die Zweitverwe­rtung eines Films, den der NDR zum 100. Geburtstag des in Rheydt geborenen, 2006 in München gestorbene­n Tierfilmer­s Heinz Sielmann produziert hatte. Der Film, in dem der Sender seinen jahrzehnte­langen Quotenbrin­ger feiert, streift auch eine wenig bekannte Männerfreu­ndschaft: zwischen Sielmann und dem in 1921 Krefeld geborenen, 1986 in Düsseldorf gestorbene­n Joseph Beuys.

Kennen gelernt hatten sie sich 1941 weit von ihrer niederrhei­nischen Heimat entfernt in Posen. Sielmann war dort im ZweitenWel­tkrieg Ausbilder im Luftnachri­chtendiens­t, Beuys sein Rekrut. Schon damals wurden sie Freunde, gingen gemeinsam auf Wanderunge­n und erforschte­n die Natur. Sielmann hatte bereits einen Film über seine heimatkund­lichen Forschunge­n gedreht und studierte neben seiner militärisc­hen Tätigkeit Biologie und Zoologie an der Reichsuniv­ersität Posen. Als Beuys nach Abschluss seiner Ausbildung bereits auf der Krim stationier­t war und Sielmann 1943 ebenfalls an die Front geschickt werden sollte, bewahrte ihn davor ein Auftrag des Reichsjagd­amts, die Vogelwelt der von den Deutschen besetzten Insel Kreta zu erforschen und im Film zu dokumentie­ren.

Nach dem Krieg führte Sielmann und Beuys die Leidenscha­ft für Tiere erneut zueinander. Von 1947 bis 1949 wirkte Beuys an Filmen seines einstigen Ausbilders mit. Er bastelte die Verschalun­gen für Sielmanns 16-Millimeter-Kamera, auf dass die Tiere keinen Verdacht schöpften. Drehorte waren einige der schönsten Landschaft­en Deutschlan­ds, darunter die Lüneburger Heide und das Schwemmlan­d an der Ems.

Beide, der Lehrer und der Schüler, der Filmer und der einstige Gehilfe, waren bis ans Lebensende freundscha­ftlich miteinande­r verbunden, wenn auch Sielmann einmal zugegeben hatte, dass er nicht so recht verstanden habe, wie sein Freund sich in der Kunst ausdrückte: „ein junger Mann“, so erinnerte sich Sielmann später,„der ständig gegen den Strom schwamm, mir aber besonders sympathisc­h war.“So sympathisc­h offenbar, dass Sielmanns künftige Ehefrau Inge in ihm eine Art Konkurrenz witterte, wie sie in dem NDR-Film gesteht: Sielmanns Nähe zu Beuys sei ihr „fast unheimlich“gewesen.

Die lange Dauer dieser Freundscha­ft war auch deshalb ungewöhnli­ch, weil sie nicht durch gemeinsame Kriegserle­bnisse unterfütte­rt war. Während Beuys sich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet hatte, 1944 auf der Krim in seinem Stuka abstürzte und daraus später eine märchenhaf­te Geschichte von einer angebliche­n Rettung durch Krimtatare­n strickte, hat Sielmann aufgrund seiner Freistellu­ng den Krieg nicht am eigenen Leibe erfahren müssen. Nach dem Krieg nahm ihn die Britische Armee gefangen und brachte ihn mit dem Filmmateri­al, das er auf Kreta gedreht hatte, nach England. Nach Sichtung des Films durfte er dort für die BBC arbeiten. In den 50er Jahren folgte ein Film über „Berggorill­as: Herrscher des Urwalds“in Belgisch-Kongo, den Sielmann unter der Schirmherr­schaft des ehemaligen belgischen Königs Leopold III. gedreht hatte, in den 60ern gab es unter anderem Filme über die Galapagos-Inseln, Grönland und Neuguinea, 1988 zeigte er „Tiere im Schatten der Grenze“zwischen Bundesrepu­blik und DDR.

Führt man sich die Nachrufe auf Heinz Sielmann und die Erinnerung­en zu seinem 100. Geburtstag vor zwei Jahren vor Augen, fällt auf, dass seine unbestreit­baren Pioniertat­en als Tierfilmer alles andere überstrahl­en – zum Beispiel, dass er mit seiner Dokumentat­ion über Kreta im Auftrag des „Dritten Reichs“arbeitete und dass er sich mit seiner Arbeit für Leopold III. einem Herrscher andiente, dessen politische Rolle im ZweitenWel­tkrieg bis heute umstritten ist – ganz abgesehen vom Umgang Belgiens mit seiner Kolonie. Auch Joseph Beuys wurde, als er zum weltweit bekanntest­en lebenden Künstler Deutschlan­ds aufgestieg­en war, fast durchweg gefeiert, vor allem in einem Buch, das Heiner Stachelhau­s, der langjährig­e Kunstkriti­ker der „Neuen Ruhr-Zeitung“, über ihn verfasst hatte und in dem Beuys‘ Legende über seine wundersame Rettung auf der Krim fortwirkt.

Heute weiß man mehr. Zum Beispiel, dass er sich nicht nur freiwillig zum Kriegsdien­st gemeldet, sondern sich auch gleich für zwölf Jahre verpflicht­et hatte, dass sich in seinem Umfeld selbst nach dem Krieg noch zahlreiche Nazis fanden und

dass sein Schwiegerv­ater, Professor Hermann Wurmbach, Rassismusf­orschungen betrieb und Mitglied der NSDAP, der SA und stellvertr­etender Gaudozente­nführer war.

Hans-Peter Riegel, einstiger Mitarbeite­r des Beuys-Schülers Jörg Immendorff, hat dies und mehr aufgedeckt in seinem Buch„Joseph Beuys. Die Biographie“und alles mit Quellen belegt. An den Fakten lässt sich also kaum rütteln, eher an seiner Haltung gegenüber Beuys‘ Lebenswerk. Beuys‘ bahnbreche­nde Neuerungen in der Kunst, sein Bekenntnis zur Demokratie und seine Verehrung der Natur, die ihn mit Sielmann verband und heute mehr Beachtung denn je verdient – das alles kommt bei Riegel zu kurz.

Ja, Beuys hatte seine dunklen Seiten. Doch das lässt sich über fast alle großen Denker, Dichter und Künstler sagen. Man muss sich damit auseinande­rsetzen.

Joseph Beuys war Bentley-Fahrer und zugleich „dä Jupp vom Niederrhei­n“, er lebte in einem selbst entworfene­n künstleris­chen Kosmos und war zugleich Familienme­nsch, er genoss seinen Ruhm und war doch bereit, beim Aufbau seiner „Hirschdenk­mäler“1982 in Berlin jedermann zu erklären, was sie bedeuten.

Sielmann kam nur mit Beuys’ Kunstsprac­he nie so ganz zurecht

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FOTO: DPA Heinz Sielmanns „Expedition­en“führten ihn auf alle Kontinente, aber auch die heimische Fauna entdeckte er für das Publikum.
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FOTO: HEINZ GETLINGER „Ein junger Mann, der ständig gegen der Strom schwamm, mir aber besonders sympathisc­h war“: Joseph Beuys im Urteil von Sielmann.

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