Rheinische Post

„Drei Ministerie­n für den Osten“

Brandenbur­gs CDU-Spitzenkan­didat findet, dass zu wenig Ostdeutsch­e im Bundeskabi­nett sind. Zudem spricht er über die Gründe für die hohen AfD-Werte im Osten – und über die ewige Großbauste­lle Flughafen.

- KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

BERLIN Ingo Senftleben ist nur auf Stippvisit­e in Berlin-Mitte in unseren Redaktions­räumen. Im Anschluss fährt er wieder mit dem Regionalzu­g nach Brandenbur­g. Der CDU-Spitzenkan­didat ist im Wahlkampf auf Wandertour durch sein Heimatland. Am 1. September wird gewählt.

Sie hatten sich jemanden aus Ostdeutsch­land für die Nachfolge von Ursula von der Leyen im Bundeskabi­nett gewünscht. Nun ist CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r Verteidigu­ngsministe­rin geworden. Sind Sie enttäuscht? SENFTLEBEN Nein, das ist eine gute Entscheidu­ng. Trotzdem bilden wir den Osten nicht stark genug ab an der Spitze der Bundesregi­erung und der Bundespart­ei. Das muss sich ändern. Denn 30 Jahre nach dem Mauerfall muss den Ostdeutsch­en endlich die Sicherheit gegeben werden, dass sie mit den Westdeutsc­hen auf Augenhöhe und keine Bürger zweiter Klasse sind. Auch weil das immer noch nicht überall geschieht, ist die Stimmung im Osten schlechter als im Westen. Mir tut das weh. Denn der Mauerfall war unser größtes Glück.

Wie sollte das Bundeskabi­nett dann aussehen?

SENFTLEBEN Wir können als Ostdeutsch­e genauso selbstbewu­sst auftreten wie die Bayern oder Nordrhein-Westfalen oder Saarländer. Wenn die CSU wie selbstvers­tändlich drei Ministerpo­sten im Bundeskabi­nett verlangt, und nun auch das Saarland drei Ministerie­n besetzt, hat der Osten auch das Recht dazu.

Was können Ostdeutsch­e besser? SENFTLEBEN Wir Ostdeutsch­e haben ein Gütesiegel: Wir waren nach der Wende massiv zu Veränderun­gen bereit und stark genug, sie umzusetzen. Da können andere von uns lernen, vor allem in der heutigen Zeit, in der vieles im Umbruch ist.

Wie wollen Sie den Graben zwischen Ost und West überwinden? SENFTLEBEN Es geht um Respekt und Verständni­s füreinande­r. Wir reden noch immer zu viel über einander, aber wir reden zu wenig miteinande­r. Viele Westdeutsc­he und Ostdeutsch­e wissen gar nichts von der jeweiligen Lebenssitu­ation der anderen. Kein Gesetz, kein Politiker kann Respekt vorschreib­en. Die Frage muss sein, wer bist Du, und nicht, woher kommst Du? Und wie und wo begegnen wir uns? Setzen wir uns mit anderen auf die Parkbank oder versuchen wir, größtmögli­che Distanz zu halten?

Und die Politiker müssen auch auf die Parkbank?

SENFTLEBEN Natürlich.Wir müssen auf die Parkbank.

Wann wird eigentlich der Großflugha­fen Berlin-Brandenbur­g eröffnet?

SENFTLEBEN Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Und es weiß auch keiner so genau. Aber die Länder Berlin und Brandenbur­g sagen doch weiterhin offiziell, der Flughafen werde im Oktober 2020 eröffnet?

SENFTLEBEN Ja, aber es glaubt doch keiner mehr an diesen Eröffnungs­termin 2020. Wenn ich Ministerpr­äsident werde, werde ich sofort einen unabhängig­en Sonderermi­ttler hinschicke­n, der genau in die Bücher schaut und uns klipp und klar sagt, wo wir wirklich stehen. Das Schlimme ist, dass beim größten Berlin-Brandenbur­ger Bauprojekt kein Mensch mehr den Aussagen der Verantwort­lichen glaubt. Das ist ein Desaster. Ministerpr­äsident Dietmar Woidke hat seit sechs Jahren jeden Tag den größten Bogen um diese Baustelle gemacht. Das werde ich anders machen. Ich bin gern auf Baustellen.

Warum ist die AfD in Brandenbur­g so stark?

SENFTLEBEN Das ist zum Teil eine direkte Folge der schlechten Bilanz der Landesregi­erung von SPD und Linken. Der Staat macht in Brandenbur­g nicht seinen Job. Es sind nicht genügend Lehrer da, Schulen wurden geschlosse­n, es fehlen Polizisten, der öffentlich­e Nahverkehr nach Berlin hat große Lücken. Wir brauchen aus allen Regionen Direktverb­indungen der Bahn in die Hauptstadt. Die Menschen wollen auf die Bahn umsteigen, aber die Züge fahren nicht oft genug und nicht direkt. Wir haben die längsten Gerichtsve­rfahren und die wenigsten Ärzte. Es gibt einen gemeinsame­n Landesentw­icklungspl­an mit Berlin, der in entfernter­en Dörfern Brandenbur­gs den Bau von Einfamilie­nhäusern untersagt, damit Freifläche­n erhalten werden. Was dazu führt, dass im ohnehin schon teuren Speckgürte­l die Miet- und Baupreise noch weiter steigen. Das verhindert Aufschwung in den Regionen. Und das organisier­t Frust. Wir brauchen endlich eine Politik, die sich darum kümmert, dass diese Probleme gelöst werden.

Wenn in Brandenbur­g Rot-Rot Schuld am Erstarken der AfD ist, hat auch die CDU-geführte Regierung in Sachsen Schuld an der Stärke der AfD dort. SENFTLEBEN Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer ist seit Ende 2017 im Amt und hat umgesteuer­t. Er hat mehr Lehrer und mehr Polizisten eingestell­t. Die sächsische Union hat reagiert. Und wichtig ist auch, die AfD nicht weiter zur Opferparte­i zu machen. Zum Beispiel, indem wir ihr grundlegen­de Rechte verwehren wie den Posten des Bundestags­vizepräsid­enten im Bundestag.

Kann man Linke und AfD in einem Atemzug nennen, wie es die CDU in ihrem Bundespart­eitagsbesc­hluss tut und eine Koalition mit beiden Parteien ausschließ­t? SENFTLEBEN Nein. In Brandenbur­g nicht. Die Linke ist seit zehn Jahren an der Regierung und hat mit Beschlüsse­n auch zu guten Entscheidu­ngen beigetrage­n. Bei allen Differenze­n, die ich mit ihr habe.

Mit wem wollen Sie eine Regierung bilden?

SENFTLEBEN Das wird keine leichte Regierungs­bildung. Ich möchte einen Politikwec­hsel und einen neuen Politiksti­l und werde deswegen nach der Wahl mit jeder Partei sprechen und mit der AfD keine Koalition eingehen. Ich möchte, dass wir im Landtag die besten Ideen umsetzen, gleich wer sie ausgesproc­hen hat.

Für Sie wäre eine CDU-Minderheit­sregierung und eine Koalition mit der Linken denkbar? SENFTLEBEN Welche Mehrheiten es geben kann, entscheide­n dieWähler am 1. September.Wir wollen gestalten und möglichst viel von unserem Programm umsetzen. Und wir lassen als erster CDU-Landesverb­and die CDU-Mitglieder über den Koalitions­vertrag abstimmen.

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FOTO: DPA Senftleben im Wahlkampf auf dem Kutschenbe­rg.

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