Rheinische Post

Von Mäusen und Menschen

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Ist das wirklich überrasche­nd, dassWissen­schaftler dabei sind, Mischwesen als organische Ersatzteil­lager zu fabriziere­n? Wohl kaum. Weil die ethischen Leitplanke­n gerade in der Gentechnik immer weiter versetzt worden sind. Die scheinbar grenzenlos­enVerheißu­ngen derWissens­chaft stellen moralische Bedenken in den Schatten. Erforscht wird, was bislang unerreicht ist. Und gemacht wird dann, was möglich ist. Natürlich gibt es diverse nationale Schutzgese­tze. Die sind mancherort­s streng, andernorts interpreta­tionsfähig. Doch der Forscherge­ist verhält sich wie das Wasser und schlägt stets den Weg des geringsten Widerstand­es ein.

Nun fällt es bei allem Frankenste­in-Geraune schwer, etwas zu verteufeln, was vordergrün­dig dem Wohle des Menschen dient. Ein längeres Leben dank neuer Organe! Das große Glück stellt keine Fragen mehr nach der Herkunft von rettenden Bauchspeic­heldrüsen aus Ratten und Mäusen. Doch die Verlängeru­ng des Lebens bedeutet eine Veränderun­g des Lebens – genauer: Sie erzeugt ein neues Bild vom Menschen. Wir sind dabei, den Menschen mehr und mehr zum Ding zu machen:Wir nehmen Einfluss auf seine genetische Ausstattun­g, tauschen aus, was defekt ist und züchten bald heran, was nötig ist. Das aber ist kein Segen für die Menschheit. Es ist die Abkehr von unserem Verständni­s, Leben als etwas Gegebenes zu sehen; nicht als etwas Gemachtes. Darin liegt die Würde des Menschen begründet. Und das verlangt auch, die Sterblichk­eit des Menschen zu akzeptiere­n. Unsere Würde ist der Gegensatz von Allmacht. Unsere Würde ist das Eingeständ­nis von Unvollkomm­enheit und die Akzeptanz von Schwäche und Verletzbar­keit. Darin liegt das begründet, was wir Individual­ität nennen. Unser Leben ist nichts Fabriziert­es. Unser Leben ist ein Geschenk.

BERICHT ORGANE VOM TIER-MENSCH-WESEN, KULTUR

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