Rheinische Post

Bis vor einem Jahr leitete er das Bundesamt für Verfassung­sschutz, mittlerwei­le polarisier­t er mit spitzen Thesen. Ein Streitgesp­räch. „Sozial und eher links – so sehe ich mich“

- VON MICHAEL BRÖCKER UND HENNING RASCHE

DÜSSELDORF Keine Viertelstu­nde ist vergangen, als Hans-Georg Maaßen aufsteht, sein Sakko nimmt und das Gespräch abbrechen möchte. Maaßen, 56, CDU-Mitglied, bis November 2018 Präsident desVerfass­ungsschutz­es, ist durch Aussagen zur Migrations­politik und über Medien eine umstritten­e Figur geworden. Dieses Interview war deswegen auch ein Streitgesp­räch. Im deutschen Journalism­us ist es üblich, Interviews den Gesprächsp­artnern vorVeröffe­ntlichung vorzulegen. Sie sollen prüfen, ob Journalist­en ihre Aussagen möglicherw­eise missverstä­ndlich zusammenge­fasst haben. Hans-Georg Maaßen hat diese Gelegenhei­t genutzt, um weite Teile des Gesprächs neu zu formuliere­n und ganze Komplexe zu streichen – wie den Teil, in dem er das Interview beenden wollte. Daher fügen wir manche Passagen ein.

Herr Maaßen, wie rechts sind Sie? MAASSEN Ich bin nicht rechts.

Gar nicht?

MAASSEN Menschen, die mich näher kennen, halten mich für sozial und damit für eher links – und für einen Realisten. So sehe ich mich auch.

Sozial und links – damit verbindet man Sie nicht als Erstes.

MAASSEN Das liegt daran, dass bei uns einiges auf den Kopf gestellt ist. Nur weil man die Klimapolit­ik und die Migrations­politik kritisiert, nur weil man Bedenken hat, was einige Punkte der Sicherheit­spolitik angeht, ist man nicht automatisc­h rechts. Der Ausdruck „rechts“wird heute inflationä­r verwendet, um Personen auszugrenz­en und um sich mit den Sachargume­nten nicht auseinande­rsetzen zu müssen.

Wenn Sie sagen, dass Sie nicht in die CDU eingetrete­n sind, damit „1,8 Millionen Araber nach Deutschlan­d kommen“, schüren Sie dann nicht Ressentime­nts? MAASSEN Nein, ich bin nicht in die CDU eingetrete­n, damit wir eine Migrations­politik haben, wie sie jetzt aussieht: millionenf­ache ungesteuer­te Einwanderu­ng, eine geringe Zahl an Abschiebun­gen, Integratio­nsdefizite, überpropor­tionale Straftaten von Asylsuchen­den, islamistis­che Terroransc­hläge, Übergriffe in Schwimmbäd­ern. Ich habe große Bedenken, dass wir mit der hohen Anzahl an Zuwanderer­n, die zu uns gekommen sind und die möglicherw­eise noch zu uns zu kommen werden, nicht zurechtkom­men.

Warum haben Sie das nicht gesagt? MAASSEN Ich habe das in einem größeren Zusammenha­ng gesagt. Sie kennen wahrschein­lich die ganze Rede nicht.

Nein, aber der Satz reicht ja. MAASSEN Nein, es ist immer gut, wenn man den Zusammenha­ng kennt.

Es gibt Sätze, die auch im Zusammenha­ng problemati­sch sind. Sie haben nicht gesagt: Da kommen Menschen, die keine berechtigt­en Asylgründe haben. Sie haben von Arabern gesprochen, und das schürt Ressentime­nts.

MAASSEN Das sehe ich völlig anders. Was Ressentime­nts schürt, ist die Tatsache, dass wir nahezu täglich Übergriffe von jungen Asylsuchen­den auf Menschen in Deutschlan­d haben. Dass Tageszeitu­ngen so etwas oft nur unter „Vermischte­s“bringen, und dass das politisch nicht thematisie­rt wird. Dass die Wurzel des Problems nicht angesproch­en wird, das schürt Ressentime­nts. Und deswegen haben wir leider so eine Partei wie die AfD. Danach unterbrich­t Maaßen das erste Mal scharf eine Frage der Interviewe­r. Man einigt sich, einander ausspreche­n zu lassen.

Wir schreiben über jugendlich­e Intensivtä­ter aus Nordafrika und über Rechtsextr­emismus. MAASSEN Nein, Sie schreiben nicht vergleichb­ar über beides, und Sie schreiben selten über die politische­n Zusammenhä­nge zwischen politische­n Entscheidu­ngen und Straftaten und meist nicht über politische Verantwort­ung.

Das ist pauschalis­ierend. MAASSEN Das werfe ich den deutschen Medien vor. Es kann nicht sein, dass der Vorfall in Amberg (bei dem Asylbewerb­er wahllos auf Passanten einprügelt­en, Anm. d. Red.) tagelang in deutschen Medien nicht auftauchte. Er tauchte in den Regionalte­ilen der „Mittelbaye­rischen Presse“und der „Süddeutsch­en Zeitung“auf, und erst zwei Tage später tauchte er in deutschen Tageszeitu­ngen auf, vor dem Hintergrun­d, dass Innenminis­ter Horst Seehofer wegen Amberg eine Verschärfu­ng des Rechts gefordert hat. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die„Neue Zürcher Zeitung“und„Russia Today Deutsch“die Ersten waren, die darüber prominent berichtet haben. Ich bin überzeugt, dass es Ressentime­nts schürt, wenn Journalist­en so etwas auf den hinteren Seiten verstecken oder gar nicht berichten.

Bei einer Google-Suche kommen wir auf mehr als zehn Artikel bei RP Online, in denen über die Prügelatta­cke in Amberg berichtet wird. Manchmal haben wir das Gefühl, Sie sehen auch nur das, was Sie sehen wollen.

MAASSEN Nein, das sehen Sie nicht richtig. Nach meiner Kenntnis hatte die Rheinische Post erstmals am 2. Januar darüber berichtet, nachdem ausländisc­he Medien, wie die „Neue Zürcher Zeitung“, dies bereits am 31. Dezember und mit großer Aufmachung taten. Und das Bemerkensw­erte an dem RP-Artikel war, dass für Sie damals nicht die Prügelatta­cke im Vordergrun­d des Berichts stand, sondern, dass bei Facebook eine Debatte über Gewalt von Flüchtling­en ausgelöst worden sei. Wir können uns gerne über den Sachverhal­t austausche­n, da sind wir wahrschein­lich nicht einmal unterschie­dlicher Meinung. Vieles wird aber gar nicht berichtet. Ich sehe mich durch die Allensbach-Umfrage bestätigt, dass viele Deutsche finden, man dürfe nicht mehr alles sagen. Das schürt die Ressentime­nts.

Während des Gesprächs recherchie­ren wir auf Handys, wann die Rheinische Post erstmals über die Prügelatta­cke berichtet hat. Unser Archiv schafft Klarheit. Am 1. Januar gibt es die erste dpa-Meldung dazu, RP Online titelt am selben Tag: „Junge Asylbewerb­er schlagen in Bayern wahllos auf Passanten ein“. Auf der Titelseite der Rheinische­n Post berichten wir am 2. Januar. Die Tat war am 29. Dezember.

Ist Deutschlan­d durch die Flüchtling­e unsicherer geworden? MAASSEN Ja.

Aber die Kriminalit­ät geht ja insgesamt zurück. Sie ist in bestimmten Bereichen überpropor­tional – etwa bei jungen männlichen Flüchtling­en. Aber müssen wir das zu einem ganz großen Thema machen, wenn die Kriminalit­ät insgesamt zurückgeht? Wir müssen beides berichten, klar. Aber wie intensiv, wie groß? MAASSEN Ich befürchte, dass viele Ihrer Leser, die zum Beispiel Auseinande­rsetzungen mit jungen Asylbewerb­ern in Freibädern erlebt haben, die eigene Erfahrunge­n mit migrantisc­her Kriminalit­ät oder mit sexuellen Übergriffe­n gemacht haben, es grundsätzl­ich anders sehen als Sie. Viele der von einem Asylbewerb­er oder Migranten verursacht­en Straftaten sind vermeidbar­e Straftaten, denn vielen dieser Personen hätte man die Einreise und den Aufenthalt nicht gestatten müssen. Und das grundlegen­de Problem hinter der Straftat eines Migranten ist die politische Verantwort­ung dafür.

Die Medien hierzuland­e verschweig­en den Zusammenha­ng von kulturelle­m Hintergrun­d der Täter und der Tat?

MAASSEN Es geht nicht um den kulturelle­n Hintergrun­d der Täter. Auch nicht um die jeweilige Staatsange­hörigkeit. Es geht um den Zusammenha­ng zwischen der von Teilen von Politik und Medien durchgeset­zten Willkommen­skultur und den Straftaten von Menschen, die ohne diese Willkommen­skultur niemals nach Deutschlan­d eingereist wären. Straftaten, die niemals stattgefun­den hätten, Menschen, die nicht Opfer geworden wären, wenn es diese Willkommen­skultur und die politisch gewollte unkontroll­ierte Einreise auch von Kriminelle­n nicht gegeben hätte. Und es geht um die Verantwort­ung von Politik und Medien für diese Straftaten. Die Grenzkontr­olle und die Zurückweis­ung von Ausländern an der Grenze dienen dem Ziel zu verhindern, dass Deutsche und bei uns lebende Ausländer Opfer von Kriminelle­n werden, die zu uns einreisen wollen. Wenn man die Vielzahl an Straftaten, ob zum Beispiel in Freibädern, bei Silvesterf­eiern oder auf dem Breitschei­dplatz in Berlin, sieht, muss man sich fragen: Hat die Politik durch ihre Migrations­politik Verantwort­ung dafür zu tragen? In dem tatsächlic­hen Gespräch hatte Maaßen den Begriff der„Willkommen­skultur“nicht genutzt. Auch der Zusammenha­ng zwischen „Willkommen­skultur“und Straftaten ist nachträgli­ch eingefügt worden.

Hätten Sie den Satz mit den 1,8 Millionen Arabern auch gesagt, wenn es sich um 1,8 Millionen Japaner gehandelt hätte?

MAASSEN Diese Frage ist blödsinnig. Sie kennen ja viele Japaner in Düsseldorf, die sind ein Musterfall von Integratio­n.

Hans-Georg Maaßen

Also bereiten uns bestimmte Zuwanderer Sorgen?

MAASSEN Mir ist nicht bekannt, dass zum Beispiel Japaner, Briten oder Amerikaner bei Vorkommnis­sen in den Düsseldorf­er Freibädern oder bei den Anschlägen auf dem Breitschei­dplatz in Berlin, in Würzburg, Ansbach, Hannover oder Hamburg aufgefalle­n sind.

Nun bricht es aus Hans-Georg Maaßen heraus. Wir fragen, wie er etwa seiner Parteifreu­ndin Serap Güler das Zitat mit den „1,8 Millionen Arabern“erklären würde. In der Folge sagt er, dass dies kein ernsthafte­s Interview mehr sei – und er das Gespräch abbrechen werde. Nachdem sich beide Seiten darauf einigen, den Ton wieder herunterzu­fahren, setzt Maaßen sich wieder. Wir setzen das Gespräch fort.

Vor einem Jahr wurde in Chemnitz ein Deutsch-Kubaner ermordet, daraufhin gab es rechtsextr­eme Aufmärsche. Sie sagten der „Bild“-Zeitung, dass da keine „Hetzjagden“stattgefun­den hätten. Am Ende einer langen Debatte verloren Sie Ihr Amt. Haben Sie etwas falsch gemacht?

MAASSEN Es ist nie falsch, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es einen das Amt kostet.

Verstehen Sie, warum Sie Ihr Amt verloren haben?

MAASSEN Die Spielregel­n der Politik folgen einer eigenen Logik, die für Außenstehe­nde kaum zu verstehen sind.

Würde das heute genauso passieren wie vor einem Jahr?

MAASSEN Es mag sein. Jedenfalls haben die Ereignisse um meine Person im vergangene­n Jahr auch zu einer weiteren Spaltung der Gesellscha­ft beigetrage­n. Es gab sehr viele Menschen, die nicht verstanden haben, dass ein Beamter entlassen worden ist, weil er die Wahrheit sagte. Es gab andere, die der Lesart vieler Medien folgten und es nicht akzeptabel finden, dass ein Beamter widerspric­ht. Ich habe sehr viele Freunde gewonnen, aber leider auch Feinde.

Die CDU hat eine christlich­e Wurzel. Warum ist Ihre Position bei der Seenotrett­ung derart kritisch? MAASSEN Zunächst:Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken. Dieses Sterben muss verhindert werden. Nur: Es geht nicht um Seenotrett­ung, wenn Migranten von kriminelle­n Menschenhä­ndlern durch Afrika bis zur libyschen Küste geschleust werden, wenn sie dort aufs Meer hinausgefa­hren werden und dann auf nicht hochseetau­gliche Boote verladen werden. Teilweise wird dabei von den Schleusern ein SOS-Signal abgegeben, damit die Migranten von EU-Schiffen aufgenomme­n werden. Die Schleuser überlassen die Menschen ihrem Schicksal in der Erwartung, dass Schiffe der EU-Staaten diesen Menschen helfen. Die Aufnahme der Menschen durch europäisch­e Rettungssc­hiffe und der Transport nach Europa ist Teil des Planes und des Geschäftsm­odells der kriminelle­n Schleuser.

Kürzlich sind mindestens 62 Menschen im Mittelmeer gestorben. Macht Sie das betroffen? MAASSEN Natürlich macht mich das betroffen. Das ist eine humanitäre Katastroph­e, was sich auf dem Mittelmeer abspielt. Menschen werden von kriminelle­n Organisati­onen unter Verspreche­n verleitet, ihre Dörfer zu verlassen, begeben sich in die Hände kriminelle­r Schleusern­etzwerke, die sie wie eine Ware behandeln. Für diese Netzwerke ist die Schleusung von Migranten lukrativer als der Rauschgift­handel. Es kann nicht sein, dass wir deren Geschäftsm­odell auch noch dadurch unterstütz­en, dass wir die Migranten mit Rettungssc­hiffen nach Europa holen. Weil die kriminelle­n Netzwerke sehen, dass das funktionie­rt, betreiben sie ihr Geschäft weiter und lassen weiter Menschen im Mittelmeer sterben. Wir müssen diesen kriminelle­n Netzwerken den Kampf ansagen, anstatt Teil ihres Geschäftsm­odells zu sein.

Rechtsextr­emismus ist ein größer werdendes Problem. Richtig? MAASSEN Ja. Die Zahl der Rechtsextr­emisten ist über viele Jahre zurückgega­ngen, das war immer eine gute Nachricht. Jetzt ist die Zahl wieder deutlich angestiege­n.

Können Sie ausschließ­en, dass der Verfassung­sschutz auf dem rechten Auge blind ist?

MAASSEN Zu unterstell­en, dieVerfass­ungsschutz­behörden sind auf dem rechten Auge blind, ist perfide. Für meine ehemalige Behörde kann ich feststelle­n, dass wir erhebliche Anstrengun­gen zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus unternomme­n hatten und gute Erfolge erzielten. Zum Beispiel hatten wir das rechtsterr­oristische Netzwerk„Old School Society“aufgeklärt. Die Abteilung Rechtsextr­emismus war neuorganis­iert worden, und trotz politische­r Widerständ­e gelang es uns, zahlreiche Stellen für die Bekämpfung des Rechtsextr­emismus einzuwerbe­n.

Es gab Morde, Sprengstof­fanschläge, Bomben- und Todesdrohu­ngen, die Sicherheit­sbehörden dem rechten Spektrum zuordnen. Erleben wir eine Phase rechten Terrors? MAASSEN Seit Jahren berichten die Sicherheit­sbehörden von Fällen, in denen rechtsextr­emistische Terrorgrup­pen aufgedeckt würden. Ich hatte wiederholt darauf hingewiese­n, dass es auch rechtsterr­oristische Attentäter oder Kleinstgru­ppen geben kann, die trotz aller Anstrengun­gen nicht enttarnt werden könnten. Ein rechtsterr­oristische­r Anschlag ist deshalb nicht auszuschli­eßen.

Herr Maaßen, warum sind Sie so eine umstritten­e Figur geworden? MAASSEN Zunächst: Ich finde es bemerkensw­ert, dass Sie mich als „umstritten­e Figur“bezeichnen. Ich denke, dass dieses Etikett besser zu vielen Spitzenpol­itikern passt, die der überwältig­ende Teil der Bevölkerun­g ablehnt. Zum anderen: Ich weiß, dass mich manche Politiker und Journalist­en nicht mögen. Vielleicht weil ich Probleme offen anspreche und die Harmonie störe. Wir haben uns in Deutschlan­d angewöhnt, inhaltlich­e Konflikte nicht mehr auszutrage­n. Das Harmoniebe­dürfnis erdrückt politische Kontrovers­en.

Vielen Dank, Herr Maaßen. MAASSEN Gerne!

Das komplette Gespräch finden Sie auf rp-online.de

„Die Spielregel­n der Politik folgen einer eigenen Logik“

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FOTO: LAIF „Ich störe die Harmonie“: Hans-Georg Maaßen, 56, CDU-Mitglied. Hier eine Aufnahme von 2017.

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