Von Audi auf die Anklagebank
Trotz Diesel-Skandal räumte Rupert Stadler seinen Posten beim Autohersteller erst, als er verhaftet wurde. Nun muss er wohl vor Gericht.
MÜNCHEN (dpa) Seit einem Jahr ist Rupert Stadler aus der Öffentlichkeit verschwunden. Demnächst könnte ihm wider Willen noch einmal ein großer Auftritt bevorstehen – als Angeklagter vor Gericht.
Die Staatsanwaltschaft München will den früheren Audi-Chef vor Gericht stellen. Wegen Betrugs in der Dieselaffäre habe sie Anklage gegen Stadler und drei weitere Beschuldigte erhoben, teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. Ob es auch zum Prozess kommt, muss nun das Landgericht München entscheiden – vielleicht sogar erst nächstes Jahr.
Stadler will auf jeden Fall kämpfen. „Er wird sich gegen die Anklagevorwürfe verteidigen“, kündigte sein Anwalt Thilo Pfordte an. Die Verteidigung müsse jetzt erst einmal die Anklage studieren und werde dann später Stellung nehmen.
Rund 400 Seiten lang ist die Anklageschrift, dazu kommen noch 7000 Seiten im Anhang – das Ergebnis jahrelanger Ermittlungen der Staatsanwälte. Dem 56-jährigen Stadler werfen sie vor, er habe spätestens Ende September 2015 von den Abgas-Manipulationen bei Audi-Dieselmotoren gewusst und denVerkauf der Autos trotzdem nicht verhindert. „Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung“lautet der Vorwurf. Bei einer Verurteilung könnten den Angeklagten theoretisch bis zu 15 Jahre Gefängnis drohen.
Die drei zusammen mit Stadler angeklagten Manager und Ingenieure sollen bei Audi Dieselmotoren mit einer verbotenen Abschaltfunktion entwickelt haben. Damit stießen die Motoren auf dem Prüfstand weniger Abgas aus als auf der Straße.
DieWirtschaftsstrafkammer unter Richter Alexander Kalomiris muss nun entscheiden, ob sie die Anklage zulässt. Das kann dauern – alle Beteiligten müssen sich einarbeiten, danach bekommen sie Zeit für Stellungnahmen.
Stadler war zwölf Jahre lang Audi-Chef gewesen. Der Bauernsohn aus dem oberbayerischen Landkreis Eichstätt hatte zuvor eine steile Karriere im Konzern hinter sich. Er studierte Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Augsburg, fing bei Audi im Vertrieb an, wurde Bürochef von VW-Konzernchef Ferdinand Piëch in Wolfsburg. Der schickte ihn 2003 als Audi-Finanzvorstand nach Ingolstadt zurück. Als erster Nicht-Ingenieur und mit gerade mal 43 Jahren wurde er 2007 Vorstandschef, als Nachfolger von Martin Winterkorn, der VW-Konzernchef wurde. Zwischenzeitlich galt er sogar als Kandidat für die Nachfolge Winterkorns.
Dann aber flog der Dieselskandal auf.Winterkorn und sechs Audi-Vorstände gingen – Stadler blieb. Eine Mitwisserschaft oder gar Beteiligung an Diesel-Manipulationen hat er stets bestritten. Die Ermittler hatten bei Razzien in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk Neckarsulm Material sichergestellt, sein Privathaus bei Ingolstadt durchsucht und sein Telefon abgehört. Wegen Verdunkelungsgefahr war er im Juni 2018 noch als Vorstandschef verhaftet worden und hatte vier Monate lang in Augsburg in Untersuchungshaft gesessen.
Nach Aufgabe seiner Ämter als Audi-Chef und VW-Konzernvorstand und der Ernennung von Bram Schot zum Nachfolger wurde er im Oktober unter Auflagen aus der U-Haft entlassen. Seine Verfassungsbe
schwerde gegen ein umfassendes Kontaktverbot blieb erfolglos.
Wie Stadler haben auch ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und ein ehemaliger leitender Ingenieur aus Neckarsulm in München in Untersuchungshaft gesessen. Ein Verteidiger des jetzt mitangeklagten leitenden Ingenieurs Giovanni P. sagte, sein Mandant habe sich ausführlich geäußert und Unterlagen vorgelegt.
Der Skandal hat Audi seit 2015 rund 3,4 Milliarden Euro gekostet. Audi erklärte am Mittwoch, es sei „im Interesse der Mitarbeiter, der Anteilseigner und des ganzen Unternehmens, die Sachverhalte, die zur Dieselkrise geführt haben, juristisch restlos aufzuklären“. Unter Stadler sei „Audi ein international erfolgreiches Unternehmen geworden. Bis zur Klärung der Vorwürfe gilt für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung“. Mit Stadler hatte Audi von 2007 bis zur Aufdeckung des Dieselskandals 2015 Umsatz und Betriebsgewinn verdoppelt und Mercedes bei denVerkaufszahlen überholt. Dann folgte das unrühmliche Ende.