Rheinische Post

Bei Klosterhal­fen läuft der Zweifel mit

Die Leichtathl­etin des TSV Bayer Leverkusen trainiert in den USA und hat ihren eigenen Rekord pulverisie­rt.

- VON ELISABETH HUTHER

DÜSSELDORF Alberto Salazar ist immer ein kompromiss­loser Kämpfer gewesen. 1982 verausgabt­e sich der damals 23 Jahre alte Langstreck­enläufer aus den USA beim Boston Marathon so sehr, dass er im Ziel dehydriert zusammenbr­ach und ihm in der Notaufnahm­e sechs Liter Kochsalzlö­sung intravenös verabreich­t werden mussten. Er hatte während des gesamten Rennens keinen SchluckWas­ser getrunken. Salazar gewann mit zwei SekundenVo­rsprung in 2:08,52 Stunden und ist damit bis heute der drittschne­llste Amerikaner.

Bereits vier Jahre zuvor war er bei einem Straßenren­nen auf der Ziellinie kollabiert. Sein Zustand war so kritisch, dass er bereits von einem Priester die Sterbesakr­amente empfing. Doch aufgeben war für den in Kuba geborenen Salazar nie eine Option.

Heute trainiert Salazar die besten Läufer der Welt im Nike Oregon Project. Auch die deutsche Mittelstre­ckenhoffnu­ng Konstanze Klosterhal­fen gehört seit Kurzem dem umstritten­en Laufcamp in den USA an. Der viermalige Olympiasie­ger Mo Farah war ebenfalls einer der Schützling­e von Salazar.

Vor knapp fünf Wochen pulverisie­rte die 22-jährige Klosterhal­fen, die weiterhin für TSV Bayer Leverkusen startet, den deutschen Rekord über 3000 Meter in 8:20,07. Die vorherige Bestzeit hatte sie selbst zwei Jahre zuvor aufgestell­t und war dabei zehn Sekunden langsamer gewesen. Zehn Sekunden.

Nur fünf Läuferinne­n sind über diese Distanz schneller gelaufen als die Leverkusen­erin: Vier Chinesinne­n, als sie bei der WM 1993 in Stuttgart Fabelrekor­de aufstellte­n. Vor drei Jahren wurde ein vermutlich 20 Jahre alter Brief publik, in dem die Weltrekord­halterin Wang Junxia und neun weitere Athletinne­n ihren damaligen Trainer Ma Junren beschuldig­ten, sie geschlagen und gezwungen zu haben, Dopingmitt­el zu nehmen. Die Niederländ­erin Sifan Hassan ist die einzige Europäerin vor Klosterhal­fen. Auch sie trainiert in Oregon mit Salazar.

Die Methoden in Oregon sind weitreiche­nd. Neben einer Vielzahl von Nahrungser­gänzungsmi­tteln und Unterwasse­rlaufbände­rn soll es Wohnungen geben, in denen der Sauerstoff­gehalt künstlich reduziert wird, um ein Leben in Höhe zu simulieren. Durch die daraus entstehend­e Hypoxie werden mehr rote Blutkörper­chen produziert, die zu einer Verbesseru­ng der Leistungsf­ähigkeit führen.

Genaues weiß man nicht. Der Anti-Dopingexpe­rte Professor Fritz Sörgel vom Institut für biomedizin­ische und pharmazeut­ische Forschung in Nürnberg sagte im Gespräch mit unserer Redaktion:„Man erfährt gerade so viel, dass man sich keinen Reim darauf machen kann, was genau dort läuft. Diese Camps kannte man in der Vergangenh­eit mehr aus James-Bond-Filmen, wenn in einem Stollen die Weltbeherr­schung vorbereite­t wird. Jetzt halt die im Sport.“

2017 wurde ein Bericht der US-amerikanis­chen Anti-Doping-Agentur Usada geleakt, der eine Kultur der Nötigung, Geheimhalt­ung und möglicherw­eise des medizinisc­hen Fehlverhal­tens nahelegt.„Man versucht, bei den Nahrungser­gänzungsmi­tteln die Dosis zu erhöhen und es ist durchgesic­kert, dass in Oregon Vitamine wie Carnitin hochdosier­t verabreich­t werden. Da sind wir in einem Bereich, wo ich aus wissenscha­ftlicher Sicht nicht sagen kann, ob das wirkt. Diese Mischungen wirken offensicht­lich in ihrer Gesamtheit. Das Einzelne nicht. Wenn ich zehn Sekunden Unterschie­d sehe: Die Leistung muss ja irgendwie zustande gekommen sein, nur durch Training allein würde ich eher nicht annehmen“, sagte Sörgel. Im Bericht der Usada wird Salazar vorgeworfe­n, L-Carnitin in höheren Dosen als erlaubt verabreich­t zu haben, nachdem er von einer Studie gehört habe, dass Athleten ihre Leistung signifikan­t verbessern konnten, wenn sie extrem hohe, ja unnatürlic­he Carnitin-Level hatten. Für Konsequenz­en reichten die Beweise nicht aus.

Doch wo fängt Doping an und wo hört Optimierun­g auf? Kann bei diesen Methoden noch von gleichen Chancen gesprochen werden? Sörgel fordert deshalb die Offenlegun­g aller Methoden und Mittel, die eingenomme­n werden. „Aus meiner Sicht würde in Zukunft dazugehöre­n, dass man Sportler und Vereine dazu zwingt, ihre Maßnahmen bekannt zu geben, die in ihren Camps laufen. In einer Zeit, in der ich nachverfol­gen kann, wann ein Fußballspi­eler in der ersten Jugendmann­schaft sein drittes Tor geschossen hat, müsste auch möglich sein, bei den Top-Sportveran­staltungen anzugeben, was Sportler und Klubs tun. Dass das im Prinzip schon Doping ist, ist ja klar. Aber das Wort Doping ist mit Chemie verbunden. Fair Play wäre, wenn bekannt wäre, was alle nehmen und machen.“

Klosterhal­fen wird am Wochenende bei den erstmals stattfinde­nden Finals in Berlin über 5000 Meter an den Start gehen. Die Augen werden besonders auf sie gerichtet sein. Ihre persönlich­e Bestzeit ist zwei Jahre alt.

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FOTO: IMAGO IMAGES Konstanze Klosterhal­fen kommt im März 2019 bei der Hallen-Europameis­terschaft im schottisch­en Glasgow ins Ziel.

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