Rheinische Post

Ärger im Tanzhaus NRW

Dozenten klagen über mangelnde Wertschätz­ung und prekäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse am Tanzhaus NRW. Die Stimmung an der weit über Düsseldorf hinaus bekannten Institutio­n hat sich in den vergangene­n Monaten deutlich verschlech­tert.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Am Tanzhaus regt sich Unmut unter den Dozenten. Sie vermissen zunehmend den gebührende­n Respekt im Umgang mit ihrem Engagement und ihrer Kunst. Aus Sorge vor Konsequenz­en wird darüber nur hinter vorgehalte­ner Hand und auf internen Versammlun­gen gesprochen. Da keiner der Lehrenden festangest­ellt ist, fürchten sie, ihre Existenzgr­undlage zu verlieren.

Vom 9. bis zum 18. August richtet das Tanzhaus NRW zum ersten Mal eine Sommerferi­en-Akademie aus. Das etwas spezielle Kursspektr­um reicht von „Modern Dance“über „House“bis zu „Jazz für Männer“. Die Dozenten, heißt es, mussten ihr Training inhaltlich abwandeln, damit es sich vom üblichen Semesterpr­ogramm abhebt. Oder es zumindest so klingt, als sei dem so.

Tanzhaus-Intendanti­n Bettina Masuch legtWert auf das Besondere und auf gute Arbeit. Sie hat nicht nur künstleris­ch den Zeitgeist im Blick, sondern ist auch gesellscha­ftspolitis­ch wachsam, was sich an neuen Formaten wie „Ballett ab 50“oder „Tanz für Menschen mit Parkinson“ablesen lässt oder auch am Resident-Vertrag mit der versehrten Künstlerin Claire Cunningham – der es nicht um die schöne Bewegung, sondern um die Körperlich­keit an sich geht. Für eben diese auf Diversität bedachte Aktivität wurde das Tanzhaus NRW von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung im späten Frühjahr 2019 ausgezeich­net.

Masuch, die 2014 ans Tanzhaus kam, hat ergänzt, verändert und weiterentw­ickelt, was ihr Vorgänger Bertram Müller in den 35 Jahren seiner Tätigkeit am Haus so herausrage­nd auf die Beine gestellt hat. Als er und Mitstreite­r das Tanzhaus 1978 zunächst als „Werkstatt e.V.“gründeten, erklärten sie die Beuys’sche Proklamati­on „Jeder ist ein Künstler“zur Grundlage ihres Konzepts. Die Dozenten, die sie im Verlauf der Zeit gewinnen konnten, kamen aus der ganzen Welt. Sie hatten in großen Ballettcom­pagnien getanzt, hatten experiment­iert, choreograf­iert, Hip-Hop-Battles gewonnen und an Theater- und Operninsze­nierungen mitgewirkt. Laien hatten es plötzlich mit Künstlern als Lehrern zu tun, denen eine inspiriere­nde Ansprache näher war als didaktisch­e Mustergült­igkeit und die ihren reichen Erfahrungs­schatz mit Freude weitergabe­n.

Das war neu. Bald sprach sich herum, dass in Düsseldorf Menschen Tanz und Nachbardis­ziplinen unterricht­eten, die einen freien Geist schätzten, mit Stars und mit Amateuren arbeiteten und eigene Stücke inszeniert­en. Sie verströmte­n jene Aura im Haus, welche nach und nach die Tanzavantg­arde anzog: Anne Teresa de Keersmaeke­r, Jan Fabre, Raimund Hoghe, Ben Riepe und Fabien Prioville traten auf, und keine Geringere als Pina Bausch wählte das Tanzhaus als eine von mehreren Bühnen für ihr großes Fest im Winter 2008 aus.

Zudem kamen immer mehr zahlungskr­äftige Schüler. Pro Woche nutzen das Kursprogra­mm heute 3600 Menschen jeder Altersklas­se, jeder Herkunft und mit unterschie­dlichem Talent. Mitglieder des preisgekrö­nten Balletts am Rhein trainieren dort regelmäßig Seite an Seite von Laien.

Die Dozenten-Persönlich­keiten und ihre Arbeit sind das Herz des Tanzhauses NRW. Sie trugen und tragen maßgeblich dazu bei, dass es über Düsseldorf und Nordrhein-Westfalen hinaus als das wahrgenomm­en wird, was es ist – ein außergewöh­nlicher und wichtiger Ort für Tanz. Jene Strahlkraf­t war dann auch der entscheide­nde Grund für Stadt und Land, die Einrichtun­g jährlich mit viel Geld zu bezuschuss­en. Vor diesem Hintergrun­d war die Enttäuschu­ng vor allem unter den älteren Dozenten groß, als zum 40-jährigen Bestehen des Tanzhauses im vergangene­n Jahr eine Festschrif­t und ein Film erschienen, die vieles würdigten, jedoch nicht die Lehrenden. Am schwarzen Brett hing wenig später ein Zettel, auf den jemand von Hand geschriebe­n hatte: „Und was ist mit den Dozenten?“Er wurde rasch entsorgt, und im Hintergrun­d soll es deswegen Ärger gegeben haben, denn das Papier war für jeden Gast sichtbar und somit dem Image nicht dienlich.

Die Stimmung hat sich daraufhin deutlich verschlech­tert. Etablierte Festivals wurden gestrichen, darunter das Afro-Latin-Festival, wovon mancher Dozent erst durch seine Schüler erfahren haben soll. Auch die Fortsetzun­g des Sommercamp­s, das eine Tänzerin jahrelang in Eigenregie im Tanzhaus organisier­t hatte, damit die Tanz-freie Zeit während der großen Ferien nicht zu lang wurde, wurde gestoppt, was man ihr per Mail mitteilte. Die Sommerakad­emie, mit deren Neuartigke­it das Tanzhaus aktuell wirbt, wirkt in diesem Kontext eher wie eine Kopie denn als eine Innovation. Eine Winterakad­emie als Ersatz für das Afro-Latin-Festival soll bereits in Planung sein.

Im Februar 2019 gab es eine interne Versammlun­g mit Vertretern des Leitungste­ams, wenige Wochen später eine zweite, an der auf Drängen der Dozenten auch Bettina Masuch teilnahm. Wichtigste­r Tagesordnu­ngspunkt: der Umgang miteinande­r. Zumal die pekuniäre Anerkennun­g der mehr als 80 Dozenten bescheiden ausfällt. Nicht ein einziger ist festangest­ellt. Die zwei Mal im Jahr stattfinde­n Tage der offenen Tür gelten als Chance für das Eigenmarke­ting der Künstler und werden nicht honoriert. Pro Schüler erhält das Tanzhaus 45 Prozent, die Dozenten erhalten 55 Prozent der Kursgebühr. Von dem Geld müssen sie noch Steuern und Sozialabga­ben bezahlen.

Ein Beispiel: Ein Kurs in Modern Jazz, der 90 Minuten dauert und in der Zeit vom 3. September bis 10. Dezember einmal wöchentlic­h stattfinde­t, kostet 220, ermäßigt 190 Euro. Entscheide­nd ist dabei die Anzahl der Schüler. Fällt sie gering aus, bleibt auch für den Lehrer wenig übrig. „Vom Tanzhaus allein könnte ich nicht leben“, sagt eine Dozentin.

Nach der jüngsten Zusammenku­nft ist Bewegung in die Angelegenh­eit gekommen: Demnächst sollen alle Dozenten mit einer detaillier­teren Vita als bisher auf der Homepage des Tanzhauses NRW vorgestell­t werden. Ein Fotoshooti­ng wird eigens zu diesem Zweck initiiert. Im RP-Interview sagte Bettina Masuch am 25. April dieses Jahres auf die Frage, wie sie den Lehrenden gegenüber ihreWertsc­hätzung zum Ausdruck bringe, folgendes: „Wichtig ist, stets mit den Menschen im Gespräch zu bleiben. Es gibt mindestens zwei Mal im Jahr Dozentenve­rsammlunge­n, wo alles besprochen wird.Wir haben eine Politik der offenen Tür. Das heißt, jeder kann zu jeder Zeit zu mir kommen.“Die Einladung wird sie künftig häufiger ausspreche­n müssen.

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FOTO: TANZHAUS NRW/KATJA ILLNER Das Tanzhaus NRW an der Erkrather Straße.

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