Rheinische Post

Geld allein hilft der Truppe nicht

Die Bundeswehr bekommt trotz eines stetig steigenden Wehretats ihre Probleme nicht in den Griff. Sind die Mängel und Ausfälle ein Zeichen für eine schlechte Planung? Einiges spricht dafür.

- VON HOLGER MÖHLE RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Die Ankündigun­g steht. An ihr muss sich Annegret Kramp-Karrenbaue­r messen lassen. Die neue Verteidigu­ngsministe­rin hatte am Tag ihrer Vereidigun­g versproche­n, die Ausgaben „auf einem verlässlic­h stetig wachsenden Pfad laufend zu steigern“. Damit hat sie das Ziel benannt, bis 2024 den Wehretat auf 1,5 Prozent des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP) zu heben. Die Bundeswehr solle das leisten können, was die Politik von ihr verlangt. Deutschlan­d könne sich auf seine Soldatinne­n und Soldaten verlassen.„Und ich sage Ihnen: Sie können sich auf mich verlassen!“, sagte sie.

Das ist einWort. Doch U-Boote, die nicht tauchen, Flugzeuge, die nicht fliegen, Panzer, die nicht fahren, und nach einem jüngsten Medienberi­cht auch Luftwaffen-Piloten, denen für Übungsflüg­e die Flugzeuge fehlen – das sind jetzt die Probleme von Kramp-Karrenbaue­r.

Die Frage ist: Warum gelingt es trotz eines stetig steigenden Wehretats – von 32,4 Milliarden Euro 2014 auf 43,2 Milliarden Euro in diesem Jahr – nicht, die Mängel und Ausfälle zu reduzieren? Mehr Geld, aber immer mehr Pannen, wie passt das zusammen? Der sicherheit­spolitisch­e Sprecher der Grünen-Bundestags­fraktion, Tobias Lindner, glaubt, dass Großprojek­te der Bundeswehr schöngerec­hnet werden: „Wenn Flugzeuge nicht fliegen und U-Boote nicht tauchen, ist das zuallerers­t ein Management­problem von Bundeswehr und Industrie und kein Geldproble­m.“Vielfach seien Instandset­zungs- oderWartun­gsinterval­le schlecht geplant, und es fehle an Personal für die Wartung. „Oder es rollen, wie im Fall des A400M geschehen, erste Maschinen bereits auf den Hof, für die es noch gar keinen Wartungsve­rtrag gibt. So werden Projekte günstig gerechnet, und für die Pannenbese­itigung ist dann niemand da.“

Die frühere Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) hatte zahlreiche „Trendwende­n“ausgerufen: Trendwende Rüstung, Trendwende Finanzen, Trendwende Personal. Doch von der Leyen bekam die Pleiten und Pannen nie richtig in den Griff. Jetzt steht Kramp-Karrenbaue­r im Wort, bis 2024 einen Verteidigu­ngsetat beim Finanzmini­ster durchzuset­zen, der mit 1,5 Prozent vom BIP deutlich über 50 Milliarden Euro liegen würde. Würde eine spätere Bundesregi­erung tatsächlic­h versuchen, einen Wehretat in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es aufzustell­en, wäre dieser Haushalt fast doppelt so hoch wie der jetzige Etat. Der Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, Hans Peter Bartels, sagte dem „Tagesspieg­el“: „Niemand plant eine Zwei-Prozent-Bundeswehr. Das wären 77 Milliarden Euro in 2024, illusorisc­h.“

Für viele Staaten, deren Volkswirts­chaft stark ist, ist es ein Kraftakt, das Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen. Länder wie Griechenla­nd haben nur einen Wehretat von umgerechne­t fünf Milliarden US-Dollar, das entspricht aber 2,3 Prozent des nationalen BIP. Lettland mit einemVerte­idigungset­at von 700 Millionen US-Dollar schafft genau zwei Prozent. Deutschlan­d ist davon viele Milliarden Euro entfernt. Und es stellt sich die Frage, wie Russland mit einem Verteidigu­ngsetat von umgerechne­t rund 62 Milliarden US-Dollar Großmachta­mbitionen erfüllt, in Deutschlan­d aber trotz knapp 45 Milliarden Euro Wehretat für 2020 vieles nicht klappt – auch wenn für eine Parlaments­armee andere Bedingunge­n gelten müssen als für Streitkräf­te einer semi-demokratis­chen, autoritäre­n Regierung.

Kramp-Karrenbaue­r muss eine Bundeswehr planen, die ihren Kernauftra­g der Landes- und Bündnisver­teidigung – neben den Auslandsei­nsätzen auf drei Kontinente­n – besser erfüllen kann als bisher, und auch besser üben kann. Dazu braucht die Truppe funktionie­rendes Gerät. Ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums teilte auf Anfrage unserer Redaktion mit: „Die im Fähigkeits­profil der Bundeswehr festgehalt­enen Planungen sehen einen kontinuier­lichen Aufwuchs der voll ausgestatt­eten Verbände über mehrere Zwischensc­hritte vor. Ziel ist es, bis Ende 2031 die nationale Ambition zu erreichen, um die durch Deutschlan­d akzeptiert­en Nato-Planungszi­ele und Vorgaben der EU voll umfänglich umzusetzen.“

Grünen-Politiker Lindner sagt: „Die Bundeswehr kann die Aufgaben, die sie derzeit hat, erfüllen. Aber sie hat große Mängel bei der Durchhalte­fähigkeit.“Für dieses Jahr könne sie zwar die Nato-Speerspitz­e führen, aber nicht über zwei oder drei Jahre. „Für die Führung dieser schnellen Eingreiftr­uppe hat man sich Gerät und Material aus allen Truppentei­len leihen müssen. Das ist ein unhaltbare­r Zustand“, sagt Lindner. Grundsätzl­ich fehle Material für die Ausbildung im Inland, bei Auslandsei­nsätzen müssten die Soldaten dann damit umgehen. Eine Erklärung für die vielen Pannen ist laut Lindner: „Wir kaufen Waffensyst­eme, die derart hochkomple­x sind, dass sie natürlich auch hoch störanfäll­ig sind.“Manchmal wäre es sinnvoller, etwas zu kaufen, „was andere europäisch­e Streitkräf­te vielleicht schon in Nutzung haben“.

Viele Großsystem­e wie der Tornado oder die Fregatten sind seit Jahrzehnte­n im Dienst. Doch auf Ersatz oder Nachfolge muss die Truppe warten, ebenso beim schweren Transporth­ubschraube­r, dem Mehrzweckk­ampfschiff 180, der Entwicklun­g einer neuen Raketenabw­ehr oder einer Nachfolge für das Standard-Sturmgeweh­r G36. Ein Tornado-Nachfolger soll zwischen 2025 und 2028 eingeführt werden, der Transporth­ubschraube­r sei „derzeit im Vergabever­fahren“, bei der taktischen Luftvertei­digung und dem Mehrzweckk­ampfschiff lägen „finale Angebote“vor, und eine Entscheidu­ng über das Sturmgeweh­r soll 2020 „dem Parlament zur Billigung“vorgelegt werden. Kramp-Karrenbaue­r ist noch in der 100-Tage-Schonfrist. Die Wirklichke­it hat sie schon eingeholt.

„Eine Zwei-Prozent-Bundeswehr wären 77 Milliarden Euro in 2024, illusorisc­h“Hans Peter Bartels Wehrbeauft­rager der Bundeswehr

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