„Manchen Menschen fehlt die Empathie“
Immer wieder werden Retter bei Einsätzen gestört, zuletzt in Düsseldorf. Ein Psychologe erklärt die Ursachen.
DÜSSELDORF Es geht um wenige Minuten, um Leben und Tod, darum, dass jeder Handgriff sitzt, wenn ein schwerer Unfall im Straßenverkehr passiert. In Düsseldorf gab es den letzten schweren Unfall erst vor wenigen Tagen. Am Mittwochmorgen war ein Jugendlicher mit seinem Moped gegen einen Lkw geprallt. Rettungskräfte und Feuerwehr mussten gerufen, der Junge noch an Ort und Stelle intensiv behandelt werden. Eine Frau, die wenige Meter hinter dem Unfall im Stau stand, hielt die Situation jedoch nicht aus. Sie legte sich so massiv mit den Rettungskräften an, dass ihr jetzt ein Strafverfahren droht.
Ein Einzelfall ist das nicht. Immer wieder erleben Rettungskräfte, dass andere Verkehrsteilnehmer aus reiner Ungeduld in eine Rettungsaktion eingreifen. So stieg ein 69-jähriger Rentner aus Hüsten im März 2018 einfach in einen Rettungswagen und fuhr ihn 30 Meter zu Seite, weil er nicht mehr länger im Stau warten wollte – und das, obwohl gerade ein Rettungseinsatz lief. Wie kann es sein, dass Menschen auch dann so ungeduldig reagieren, wenn es für einen anderen um Leben und Tod geht?
„So etwas hat immer mehrere Gründe“, sagt Frank Lasogga, Notfallpsychologe an der Technischen Universität Dortmund. „Ein Problem ist allerdings, dass immer mehr Menschen glauben, sie hätten das Recht, alles zu machen.“Ein Eindruck, der laut dem Experten vor allem durch die Werbung verstärkt wird. „Überall heißt es: mein Karstadt, mein RTL, für Sie scheint die Sonne heute sechs Stunden lang, wir bauen für Sie, für Sie machen wir unseren Laden wieder schön. Zahlreiche Firmen arbeiten mit Slogans, die starken Bezug auf die Menschen selbst nehmen.“In der Folge würden diese immer mehr das Gefühl bekommen, es ginge speziell um sie und nur um sie allein.
Lasogga gehört auch zu den wenigen Experten, die sich mit dem Thema Schaulust bei Rettungseinsätzen beschäftigt haben.„Wir wissen, dass es das immer im Menschen gab, das Bedürfnis, ganz vorne dabei zu sein.“Die Persönlichkeit mache jedoch den größten Teil aus.„Manche Menschen haben einfach keine Empathie. Ihnen geht es nur um sich selbst, und das wird noch verstärkt durch die Signale der Werbung und vielleicht auch durch unsere spätkapitalistische Kultur.“Was Lasogga damit meint, ist, dass der per App auf dem Smartphone bestellte Handwerker zunehmend die Nachbarschaftshilfe ersetzt. „Heutzutage gibt es eine Rundumversorgung und eine Unabhängigkeit von anderen, die zu mehr Egoismus führt“, sagt Lasogga. Der trete bei manchen stärker, bei anderen weniger auf.
Lasogga ist aber auch überzeugt, dass es sich um Einzelfälle handelt. Und: „Was genau dazu führt, lässt sich wissenschaftlich letztlich nicht nachvollziehen. Man müsste zehntausende Menschen nehmen, sie in zwei Gruppen aufteilen, die einen bekommen entsprechende Werbeslogans zu hören, die anderen nie und dann prüfen, ob es Unterschiede imVerhalten gibt.“Doch wer sollte so ein Studie durchführen?
Bleibt die Frage: Wie sollte man reagieren, wenn man so einen Ausraster beobachtet? „Polizisten haben für die Deeskalation solcher Situationen eine spezielle Ausbildung. Deshalb sollte man das ihnen überlassen“, sagt Lasogga. Sollte man aber doch mit einer ungeduldigen Person aneinander geraten, empfiehlt er: Bloß nicht schreien. „Sonst steht man da und brüllt sich gegenseitig an, eine Lösung bringt das aber nicht.“