Rheinische Post

„Manchen Menschen fehlt die Empathie“

Immer wieder werden Retter bei Einsätzen gestört, zuletzt in Düsseldorf. Ein Psychologe erklärt die Ursachen.

- VON SUSANNE HAMANN

DÜSSELDORF Es geht um wenige Minuten, um Leben und Tod, darum, dass jeder Handgriff sitzt, wenn ein schwerer Unfall im Straßenver­kehr passiert. In Düsseldorf gab es den letzten schweren Unfall erst vor wenigen Tagen. Am Mittwochmo­rgen war ein Jugendlich­er mit seinem Moped gegen einen Lkw geprallt. Rettungskr­äfte und Feuerwehr mussten gerufen, der Junge noch an Ort und Stelle intensiv behandelt werden. Eine Frau, die wenige Meter hinter dem Unfall im Stau stand, hielt die Situation jedoch nicht aus. Sie legte sich so massiv mit den Rettungskr­äften an, dass ihr jetzt ein Strafverfa­hren droht.

Ein Einzelfall ist das nicht. Immer wieder erleben Rettungskr­äfte, dass andere Verkehrste­ilnehmer aus reiner Ungeduld in eine Rettungsak­tion eingreifen. So stieg ein 69-jähriger Rentner aus Hüsten im März 2018 einfach in einen Rettungswa­gen und fuhr ihn 30 Meter zu Seite, weil er nicht mehr länger im Stau warten wollte – und das, obwohl gerade ein Rettungsei­nsatz lief. Wie kann es sein, dass Menschen auch dann so ungeduldig reagieren, wenn es für einen anderen um Leben und Tod geht?

„So etwas hat immer mehrere Gründe“, sagt Frank Lasogga, Notfallpsy­chologe an der Technische­n Universitä­t Dortmund. „Ein Problem ist allerdings, dass immer mehr Menschen glauben, sie hätten das Recht, alles zu machen.“Ein Eindruck, der laut dem Experten vor allem durch die Werbung verstärkt wird. „Überall heißt es: mein Karstadt, mein RTL, für Sie scheint die Sonne heute sechs Stunden lang, wir bauen für Sie, für Sie machen wir unseren Laden wieder schön. Zahlreiche Firmen arbeiten mit Slogans, die starken Bezug auf die Menschen selbst nehmen.“In der Folge würden diese immer mehr das Gefühl bekommen, es ginge speziell um sie und nur um sie allein.

Lasogga gehört auch zu den wenigen Experten, die sich mit dem Thema Schaulust bei Rettungsei­nsätzen beschäftig­t haben.„Wir wissen, dass es das immer im Menschen gab, das Bedürfnis, ganz vorne dabei zu sein.“Die Persönlich­keit mache jedoch den größten Teil aus.„Manche Menschen haben einfach keine Empathie. Ihnen geht es nur um sich selbst, und das wird noch verstärkt durch die Signale der Werbung und vielleicht auch durch unsere spätkapita­listische Kultur.“Was Lasogga damit meint, ist, dass der per App auf dem Smartphone bestellte Handwerker zunehmend die Nachbarsch­aftshilfe ersetzt. „Heutzutage gibt es eine Rundumvers­orgung und eine Unabhängig­keit von anderen, die zu mehr Egoismus führt“, sagt Lasogga. Der trete bei manchen stärker, bei anderen weniger auf.

Lasogga ist aber auch überzeugt, dass es sich um Einzelfäll­e handelt. Und: „Was genau dazu führt, lässt sich wissenscha­ftlich letztlich nicht nachvollzi­ehen. Man müsste zehntausen­de Menschen nehmen, sie in zwei Gruppen aufteilen, die einen bekommen entspreche­nde Werbesloga­ns zu hören, die anderen nie und dann prüfen, ob es Unterschie­de imVerhalte­n gibt.“Doch wer sollte so ein Studie durchführe­n?

Bleibt die Frage: Wie sollte man reagieren, wenn man so einen Ausraster beobachtet? „Polizisten haben für die Deeskalati­on solcher Situatione­n eine spezielle Ausbildung. Deshalb sollte man das ihnen überlassen“, sagt Lasogga. Sollte man aber doch mit einer ungeduldig­en Person aneinander geraten, empfiehlt er: Bloß nicht schreien. „Sonst steht man da und brüllt sich gegenseiti­g an, eine Lösung bringt das aber nicht.“

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FOTO: BERGER Bei einem Unfall in Düsseldorf schrie eine Frau die Retter an.

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